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Album der Woche – Leif Ove Andsnes spielt Dvořák Poetische Stimmungsbilder

Er ist einer der beliebtesten klassischen Komponisten. Trotzdem gibt es Überraschendes von ihm zu entdecken: Antonín Dvořák. Gerade hat der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes ein Album mit Klaviermusik von ihm herausgebracht, die kaum jemand kennt. Höchste Zeit, dass sich das ändert, findet Bernhard Neuhoff.

CD-Cover – Antonín Dvořák: Poetische Stimmungsbilder, gespielt von Leif Ove Andsnes | Bildquelle: Sony Classical

Bildquelle: Sony Classical

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Antonín Dvořák: Ein Seven-Hit-Wonder

Ein One-Hit-Wonder ist Antonín Dvořák natürlich nicht, aber vielleicht ein Six- oder Seven-Hit-Wonder. Dabei hat er so unglaublich viel großartige Musik mit Hit-Potenzial komponiert. Doch die Klassikwelt ist da stur. Was der Klassikfan nicht kennt, frisst er nicht. Unter Dvořáks neun Symphonien wird die Neunte, die "Aus der Neuen Welt", quasi rund um die Uhr gespielt, die Achte oft, die Siebte selten und der Rest praktisch nie. Von seinen 14 Opern wird, wenn überhaupt, nur die "Rusalka" aufgeführt, von seinen 14 Streichquartetten praktisch nur das Amerikanische, das aber ständig, von seinen vier Klaviertrios praktisch nur das Dumky-Trio, das aber ständig. Und sein Klavierwerk? Kennt fast niemand.

Ein buntes, experimentierfreudiges Werk

Dvořák ist ein extrem populärer klassischer Komponist. Im Rampenlicht steht aber nur ein ganz kleiner Ausschnitt von einem unglaublich breiten und reichen, bunten und experimentierfreudigen Riesenlebenswerk. Was wir Klassikfans da verpassen, davon gibt dieses wunderschöne Album des norwegischen Pianisten Leif Ove Andsnes eine, wie ich finde, höchst appetitanregende Kostprobe. Andsnes hatte das Glück, dass er einen tschechischen Klavierlehrer hatte. Der machte ihn darauf aufmerksam, dass Dvořák, ein Komponist, den eigentlich jeder kennt, wunderschöne Klaviermusik geschrieben hat, die so gut wie niemand kennt. Da sie auf Konzertprogrammen schwer unterzukriegen ist, weil Veranstalter scheu sind, hatte Andsnes sie zwar immer geliebt, aber selten gespielt. Erst in der Corona-Zeit nahm er sich eines von Dvořáks schönsten Klavierwerken wieder vor, den Zyklus "Poetische Tonbilder".

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… diese tolle Musik kaum bekannt ist – und unser Bild von Dvořák komplettiert.

Dieses Album hört man am besten …
… indem man sich eigene Bilder vors innere Auge zaubern lässt – und erst dann die Titel liest.

Dieses Album wird lieben, wer ...
… romantische Klaviermusik liebt.

Reiche Harmonik und überraschende Klangwelten

Er stammt aus Dvořáks kreativster Zeit, entstanden zwischen der Siebten und Achten Symphonie – also keineswegs ein unausgegorenes Frühwerk, sondern ein absolut souveränes Meisterwerk. Mit allen Vorzügen, die Dvořáks bekannte Stücke zu Recht so populär machen: Inspirierte Melodien, die sofort im Gedächtnis bleiben, betörende Klangwirkungen, die alle Möglichkeiten des Instruments idiomatisch nutzen – Dvořák muss ganz offenbar, obwohl er in jungen Jahren eigentlich als Bratscher und Organist sein Geld verdient hat, auch ein ziemlich fitter Pianist gewesen sein. Und dann ist da die faszinierend reiche Harmonik. Wo man bei anderen Komponisten froh ist, wenn nach fünf Minuten endlich mal ein unerwarteter Tonartwechsel kommt, ist Dvořák harmonisch schon längst über alle Berge und quer durch die überraschendsten Klangwelten geeilt – was magische Wirkungen hervorruft, die einen emotional ganz unmittelbar erwischen.

Hoch inspirierte Musik mit bildhaften Titeln

Die Titel der 13 "Poetischen Tonbilder" (oder "Stimmungsbilder", wie es in früheren deutschen Ausgaben hieß) haben sofort verständliche, bildhafte Wirkung, auch wenn sie in der deutschen Übersetzung gelegentlich ein bisschen betulich klingen: "Nächtlicher Weg", "Die alte Burg", "Koboldstanz", "Plauderei". Vielleicht liegt hier einer der Gründe dafür, dass diese großartige Musik nie wirklich populär wurde: Solche programmatischen Titel wurden von vielen einflussreichen Kritikern im 19. Jahrhundert als künstlerisch zweitrangig abgetan. Dabei kann man diese hoch inspirierte Musik auch ohne die bildhaften Titel ganz unmittelbar hören und verstehen. Vor allem, wenn sie so liebevoll, leidenschaftlich und brillant gespielt wird wie von Leif Ove Andsnes. Dvořák, ein nur halb entdeckter Kontinent – dieses Album erweitert den Horizont für Fans der romantischen Musik auf eigentlich naheliegende, aber gerade deswegen umso überraschendere und höchst erfreuliche Weise.

Infos zur CD

Antonín Dvořák:
Poetische Stimmungsbilder, op. 85


Leif Ove Andsnes (Klavier)

Label: Sony Classical

Sendung: "Piazza" am 03. Dezember 2022 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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