Sechs Länder in zehn Tagen - BR-KLASSIK-Redakteur Fridemann Leipold resümiert über die letzten Stationen der Europatour des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und spricht über die Faszination brandneuer und altehrwürdiger Konzertsäle.
Bildquelle: BR/Ralf Wilschewski
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Frideman Leipold hat das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf den beiden letzten Stationen in Luxemburg und am letzten Abend ins Concertgebouw in Amsterdam begleitet. Direkt vom Flughafen ist er zu mir ins Studio gekommen und sieht eigentlich ganz munter aus. Herzlich willkommen zurück, Fridemann!
Fridemann Leipold: Hallo Sylvia, danke.
BR-KLASSIK: In Luxemburg hast Du das Orchester in einem modernen Konzertsaal gehört, der 2005 eröffnet wurde. Gestern Abend der Abschluss im Concertgebouw: altehrwürdig, majestätisch, aus dem Jahr 1888 - das ist eigentlich ein spannender Kontrast, oder?
Fridemann Leipold: Absolut! Es war faszinierend, diese zwei Säle zwei Abende hintereinander erlebt zu haben. Die Philharmonie in Luxemburg hat eine ganz imposante Form: Die sieht nämlich von außen wie ein Auge aus weißen Säulen aus - und man ist dann ganz erstaunt, wenn man reinkommt. Denn innen ist es eine schwarze, klassische "Schuhschachtel". Das Concertgebouw in Amsterdam ist ein klassizistischer Saal nach dem Vorbild des alten Leipziger Gewandhauses - ebenfalls in Schuhschachtelform, berühmt, gerühmt - aber sehr breit, fast quadratisch. Das Concertgebouw fasst 2.000 Plätze, Luxemburg 1.500 Plätze. Es wirkt aber nicht so groß in Amsterdam: Wir waren oben auf der Empore und das Podium war gar nicht weit weg. Ein besonderer Effekt ist, wenn Dirigent und Solistin wie auf einer Showtreppe nach unten aufs Orchesterpodium kommen. Das ist natürlich ein großes "Hallo" und "Ah" und "Oh" im Publikum.
Es gibt keinen perfekten Konzertsaal.
BR-KLASSIK: War das denn auch ein akustischer Kontrast, Fridemann? Oder anders gesagt: Welcher Saal klingt besser und warum?
Fridemann Leipold: Das kann man eben so nicht sagen. Es gibt keinen perfekten Konzertsaal, das haben mir auch die Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters bestätigt. Das hat natürlich auch immer mit der persönlichen Klangvorstellung zu tun und hängt, banal gesagt, auch in jedem Saal vom Sitzplatz ab . Beide Säle sind aber fraglos sehr, sehr gute!
In Luxemburg hat man einen relativ hellen Klang. Dort wurde die 9. Symphonie von Gustav Mahler gespielt - da gibt es viele kammermusikalische Stellen und mir ist aufgefallen, dass man die Einzelstimmen sehr gut gehört hat - die Flöte, das Fagott. Und in Amsterdam ist es so, dass die Musiker gesagt haben, dass es im leeren Saal überakustisch ist und viel Nachhall gibt, man hört sich nicht so gut. Aber wenn dann die 2.000 Plätze besetzt sind, mischt es sich fantastisch. Im Concertgebouw hat man wirklich einen natürlichen Klang, also völlig unmanipuliert - so wie die Musiker spielen.
BR-KLASSIK: Eine solche Tournee durch Europa, so eng getaktet, Musizieren zwischen Koffer Ein- und Auspacken bedeutet natürlich auch Stress für die Musiker. Und dazu muss man sich dann auch noch tatsächlich auf eine neue Akustik einstellen: Wie ist es, wenn es voll ist, wie ist es, wenn es leer ist? Was bringt so eine Tournee denn für das Renommee eines Orchesters?
Fridemann Leipold: Das bringt eine ganze Menge. Man stellt sich der internationalen Konkurrenz, dem internationalen Vergleich. In München hat das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks natürlich sein treues Stammpublikum, aber in Wien, Paris und Amsterdam geben sich die Stars und Spitzenorchester wirklich die Klinke in die Hand. Wenn man da als Global Player mitspielen will im "internationalen Konzert", muss man sich natürlich auch beweisen. Der andere Grund dieser Reise war: Das Management und das Symphonieorchester wollten neue Konzertsäle kennenlernen - auch im Hinblick auf den geplanten Saal in München. In der Pariser Philharmonie von 2015 waren sie zum ersten Mal, wie auch in den Konzertsälen in Kattowitz und Breslau, die offenbar alle sehr gut sind.
BR-KLASSIK: Und was hat Dir jetzt diese Reise gebracht, Fridemann? Gibt es irgendein Erlebnis, das Dich besonders bewegt hat oder das Du im Gedächtnis oder Herzen bewahrst?
Fridemann Leipold: Das ist schön gesagt! Das war tatsächlich Amsterdam, das Concertgebouw. Wer noch nie dort war, dem kann ich nur unbedingt raten, dort einmal hinzugehen: Das ist ein Prunkstück aus dem 19. Jahrhundert, man kann sagen eine Edelschatulle, aber es ist eben auch ein Wohnzimmer für die Musik. Und ich war von der Atmosphäre begeistert: Das ist ein ganz bunt gemischtes Publikum, viel lockerer als bei uns, das sind vielleicht die Holländer auch generell. Die Garderobe hängt man einfach im Treppenhaus an einen Haken! Also dieses unsägliche Anstehen an der Garderobe fällt völlig weg, da kann man sich etwas abschauen für unseren Konzertbetrieb.
Also, gegen das Concertgebouw kann man alle modernen Konzertsäle vergessen.
Zum Klang kann man sagen: Als der Konzertmeister Tobias Steymans von der Bühne abgegangen ist, hat er im Vorbeigehen gesagt: "Also, gegen das Concertgebouw kann man alle modernen Konzertsäle vergessen." Das kann ich nur bestätigen, also das war wirklich ein Erlebnis. Und Amsterdam war natürlich ein Heimspiel für Mariss Jansons, er war ja bis 2015 Chef des Concertgebouw-Orchesters. Der wurde gestern Abend wie ein Gott gefeiert: Es gab Standing Ovations am Ende für die Symphonischen Tänze von Sergej Rachmaninow. So viel Nostalgie, das ist mir direkt unter die Haut gegangen. Und das Tolle daran ist: Auch im Fortissimo gibt es im Concertgebouw einen vollen, warmen, runden, satten Klang.
Das Gespräch führte Sylvia Schreiber live in der Sendung "Leporello" auf BR-KLASSIK.