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Kritik - "Turandot" mit Anna Netrebko in Verona Heiße Liebe

Anna Netrebko war einmal der heiß umworbene Liebling der großen und ganz großen Opernhäuser. Ihre freundschaftliche Haltung zu Kremlchef Putin hat sie in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Engagements in aller Welt gekostet. Zur Zeit macht sie vor allem Open Air von sich reden: in der Arena von Verona hat sie diesen Sommer gleich zwei Engagements: im Juli war sie als Verdis Aida zu hören – und jetzt ist sie für drei Vorstellungen Puccinis Turandot. An ihrer Seite: ihr Ehemann. Die Premiere am 4. August ging bei subtropischen Temperaturen über die Bühne.

Anna Netrebko in Puccinis "Turandot" in der Arena von Verona | Bildquelle: Foto Ennevi

Bildquelle: Foto Ennevi

Die Arena kocht - und Calaf singt zwei Mal

23.15 Uhr: Die nicht ausverkaufte Arena von Verona kocht – nicht nur, weil es immer noch 29 Grad hat, sondern weil Yusif Eyvasov als Calaf soeben sein "Nessun dorma" in das weite Rund des Amphitheaters geschickt hat. Die Lautstärke war noch nie das Problem des aserbaidschanischen Tenors – aber das sensibler Ohren. Eyvazov produziert in der voll ausgesungenen Höhe ein nicht sehr attraktives, leicht blechernes Nebengeräusch. Und das Piano ist ausdruckslos und trägt nicht. Sei's drum: Das Publikum fordert die Arie ein zweites Mal ein. Eyvazov bringt auch die Wiederholung anständig zu Ende und biegt anschließend, schauspielerisch nicht überzeugend, mit Gattin Anna ein ins große Schlussduett.

Sensationeller Chor

Aber Puccinis erratische "Turandot" ist keine Oper für große Sängerdarsteller; hier werden Stimmen gefeiert. Und der Chor, wenn er gut ist. Der Chor der Arena von Verona ist eine Sensation. Wie eine Welle überspült er jede Szene – lupenrein, immer zusammen, mit atemberaubenden dynamischen Wirkungen. Dirigent Marco Armiliato hält die Massen bewundernswert zusammen. Der Abend hat noch einen zweiten Star: Maria Teresa Leva als Liù traut sich, in diesem Riesenraum zart-gläserne Pianissimi zu setzen. Und gewinnt damit das Publikum im Sturm.

Anna Netrebko schwächelt

Auch Anna Netrebko, die als Titelheldin ja erst mitten im zweiten Akt in diese eigenartige Liebesgeschichte einsteigt, bemüht sich um lyrische Töne – und ist nicht durchgehend großartig. Zu selten führt sie ihr immer noch faszinierendes Timbre vor; es schleichen sich erstaunlich viele intonatorische Wackler ein. Schlechter Tag? Oder hat sich da doch was von der Atmosphäre der vergangenen Monate auf die Stimmbänder gesetzt? Wahrscheinlich ist es aber auch nicht ihre Rolle. Turandot braucht Stahl, sonst wird die Figur nicht rund.

Eine Inszenierung voller Wimmelbilder

Die Inszenierung ist eine Hommage an den unvergessenen Franco Zeffirelli, der sie 2010 für die Arena geschaffen hat. Eine Bühne voller Wimmelbilder mit Akrobaten und Sklaven, mit Fahnenträgern und zwei Dutzend Tücher schwingenden Jungfrauen in Weiß und Rosa. Im zweiten Akt öffnet sich spektakulär ein goldener Palast, der in seiner bunten Pracht nur in solcher Kulisse seine Wirkung entfalten kann und heftig beklatscht wird. Personenführung: Fehlanzeige. Man wendet sich ab, wendet sich wieder einander zu, geht von rechts nach links und wieder von links nach rechts.

Schweißtreibende Kostüme

Die 73-jährige Bass-Legende Ferruccio Furlanetto singt den Timur – ein berührendes Wiederhören. Schweißtreibend die Kostüme: Calaf trägt einen schweren Pelzmantel, mit dem er Liù nach ihrem Selbstmord zudeckt. Und Turandot wirkt im silber-schwarzen Federkleid wie ein erschöpfter Vogel. Der einzige, der unter den vielen Tausenden an diesem subtropischen Abend vermutlich nicht schwitzt, ist der Prinz im ersten Akt, der mit nacktem Oberkörper und luftig-leichten Pluderhosen zur Hinrichtung schreiten darf.

Sendung: "Allegro" am 5. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (13)

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Dienstag, 09.August, 14:35 Uhr

Eusebius

Warum Netrebko?

Mag ja sein, dass so manchem Netrebko- Fan die Stimme gefällt. Mir erschließt sich bis heute nicht, warum man einer Kulturschaffenden, die sich öffentlich sehr weit aus dem Fenster lehnte (Foto mit verbrecherischen Seperstistenführern), so viel Entgegenkommen zeigt. Hier geht es um unsere Kultur, um unser Menschsein. Es geht nicht um tolle Spitzenröne - dann geht zum Sport! Wer in der Kultur nebenher Barbarei (und das war es schon ansatzweise 2014- und was Dich daraus entwickelt hat) goutiert und wer solchen Künstlern noch nacheifert, der verkauft die Seele der Kultur! Selbst Wirtschaftsbosse sind weiter, als die Kultur und distanzieren sich von Putin. Den Netrebko- Fans scheint der Belcanto als Hülle schon zu genügen. Kultur und politische Einstellung völlig egal… mir drehts den Magen um. Frau Netrebko, sollte sie in der Kultur wieder ernst genommen werden, muss ihren höchst politischen Fehler eingestehen, dass ihre Unterstützung von damals und die Folgen daraus sie nicht bedacht hat.

Sonntag, 07.August, 21:41 Uhr

Klaus Krauth

Turandot in Verona

Ich war in derselben Vorstellung und finde den Kommentar und die Schlussfolgerungen zu Anna Netrebko ziemlich daneben. Mir ist keine Sängerin bekannt, die mit ihrer Stimme einen riesigen Chor und Orchester ohne technische Hilfsmittel übertönen kann. Die lyrischen Töne sind bei Turandot nicht so sehr gefragt und das Timbre in den Tiefen ist wie eh und je. Ich habe viele Opern von ihr gehört und war entsetzt über den Boykott in München und ich habe auch ihre Stellungnahme sorgfältig gelesen und kann diese unterstellte Putinfreundschaft nicht nachvollziehen, aber ich kenne die hämischen Kommentare über einen „gefallenen“ Engel. Vielleicht hat der Kommentator diese Brille doch noch nicht abgesetzt. Deshalb am Ende noch der zynische Hinweis auf die Atmosphäre der letzten Zeit.

Sonntag, 07.August, 12:30 Uhr

Eberhard Thauer

A.Netrebko0Stimm

Stimme vibriert +flattert sie hat zu viel gesungen, nun bleibt ihr nur noch Wagner,-da kann sie schreien!

Sonntag, 07.August, 09:55 Uhr

Fred Keller

Michael Atzinger - Verona Turandot Polibesprechung

Kritik kann man das Produkt nicht nennen, eher blos ein Politbeitrag zu des Verfassers Ansichten.

Sonntag, 07.August, 09:40 Uhr

Thorsten Wakaliuk

The most Italian place in the world

Wahrscheinlich hat der Kritiker recht,es erinnert mich aber eher an Restaurantbewertungen.
"...nicht durchgehend großartig "..mag sein.
Ich war selbst dort. Ich habe 14 Monate dafür gebraucht und eine 20 stündge Anfahrt in kauf genommen .
Das erste Mal im Smoking,für mich ein unvergessliches Erlebnis. Der Chor hat mich...weggeblasen.
Mit tausenden in der gleichen Sekunde die Luft anzuhalten..zu spüren,daß und wie die Arena "lebt".
Schade,wenn "Überwissen" einem die Freude nimmt.
Ich fand es großartig,es ist die Atmosphäre ,der Ort,die Darsteller,die Zuschauer..
Es gibt einen lieben Gott und er ist Italiener.
Grazie mille, Verona.

Sonntag, 07.August, 06:49 Uhr

C. Aggens

Anna N.

Es ist ungerecht, wie Anna N. Behandelt wird,
Nur weil sie Putin die Hand gereicht hat.
Wer weiß schon wirklich was sie denkt.

Samstag, 06.August, 23:05 Uhr

Wolfgang Selle

Anna Netrebko

Ich finde es erbärmlich, wie mit Künstlern aus Russland umgegangen wird. (besonders hier in Deutschland) Das erinnert mich an McCarthy Zeit in Amerika. Dort wurden auch Künstler,die angeblich Kommunisten waren, gejagt.

Samstag, 06.August, 21:33 Uhr

Nena

Schande

Eine große Schande an mittlerweile politisch orientierten kulturellen "Journalismus"
Wäre das in der Ukraine nicht passiert, hat man die russisch stammenden Künstler wie immer bisher über alle Töne gelobt!

Samstag, 06.August, 16:20 Uhr

Kati Thieme

Turandot

Diese Kritik hat bei mir bewirkt, dass ich versuchen werde, Tickets für Aufführungen mit Anna Netrebko zu bekommen.

Als Wissenschaftlerin kenne und schätze ich die Unabhängigkeit der Forschung Von der Politick, wie beschrieben in Nature March2022: "... As COPE states: "Editorial decisions should not be affected by the origins of the manuscript, including the nationality, ethnicity, political beliefs, race, or religion of the authors. Decisions to edit and publish should not be determined by the policies of governments or other agencies outside of the journal itself."

Daher bitte ich, dass Journalisten durchdenken, "aufstehen" und verdeutlichen, welche Bedeutsamkeit das Fehlen toxischer Einflüsse auf die Schönheit der Musik hat und wie sehr die Musik uns hilft, unser eigenes Leben in seiner Güte, seinem Reichtum, seiner Schönheit zu sehen
A.Netrebko, Y. Eyvasov sind Beispiele für viele Musiker, die hart arbeiten und auf vielfältige Weise das Leben anderer Menschen bereichern

Freitag, 05.August, 21:47 Uhr

Papa P.

Arena di Verona

Ihr habt ja wenig Gutes zu sagen.
Wir hingegen haben es über die Maßen genossen.
Natürlich weit entfernt von Eurem Expertenwissen erlebten wir einen unglaublichen Abend der uns in diesen Zeiten in andere Welten entführt hat und uns wieder gezeigt hat, wer nicht mehr genießen kann, wird ungenießbar

Freitag, 05.August, 17:52 Uhr

Adalbert Krims

Turandot

Schade, dass der Kommentar weniger mit der tatsächlichen Performance von Netrebko und Eyvazov zu tun hat, sondern mehr mit der politisch motivierten Abneigung des Rezensenten gegenüber den beiden. Zum Glück hat es das Publikum in Verona anders gesehen und auch durch seine Reaktionen zum Ausdruck gebracht!

Freitag, 05.August, 15:44 Uhr

Noemi Gita

Anna performed splendidly as a more humane Turandot, exchanging loud static voices with a range of human emotions, which the text allows. It was a fantastic performance. Yusif discharged his Nessun Dorma with great rigor, which appealed to the audience. He has improved enormously. If the world gave Anna a break from its unfortunate ban. We will enjoy her for many years to come

Freitag, 05.August, 10:46 Uhr

Gufo

Turndot

Eyvazofs Stimme ist punktgenau beschrieben. Im geschlossenen Raum eines Opernhauses ist des " leicht blecherne" noch deutlicher zu hören. Auch Netrebkos Stimme bleibt nicht ewig jugendlich frisch. Das muß man akzeptieren und vor allem bewundern, was alle Akteure bei diesen Temperaturen und diesen schweißtreibenden Kostümen geleistet haben.Chapeau !

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