Am 10. September ging der ARD-Musikwettbewerb mit dem Finale im Fach Oboe zu Ende. Thomas Hutchinson aus Neuseeland, Kyeong Ham aus Südkorea und Juliana Koch aus Deutschland spielten im Herkulessaal der Münchner Residenz das Oboenkonzert von Richard Strauss. Kathrin Hasselbeck war dabei und erlebte einen ungewöhnlichen Ausgang.
Bildquelle: BR
Zum Anhören: ARD-Musikwettbewerb 2017 - Finale Oboe
Ein Bericht von Kathrin Hasselbeck
Wie bitte? Habe ich richtig gehört? Ich traue meinen Ohren nicht, als die Jury nach dem Finale bekannt gibt: "We have decided to award second prize to all three finalists." Das Publikum reagiert schnell: mit lauten Buhs. Ich brauche ein bisschen länger. Ein paar Stunden später habe ich meine Gefühle sortiert: Ich bin enttäuscht, weil meine Favoritin nicht gewonnen hat, obwohl sie gut war. Ich bin ratlos, weil ich diese gleichmachende Bewertung nicht mit den so unterschiedlichen Vorspielen im Finale zusammen bringe. Und ich frage mich, warum die Jury so entscheidungsunfreudig ist. Das hier ist doch ein Wettbewerb, und der Sinn eines Wettbewerbs liegt gewöhnlich darin, einen Gewinner zu ermitteln! Ich möchte verstehen, was hier passiert ist.
Sieg der Musik über die Bewertung?
Bildquelle: picture-alliance/dpa Ich erinnere mich an das letzte Wettbewerbs-Jahr. In meinem rückblickenden Text schrieb ich damals darüber, wie ich über die Runden hinweg mehr und mehr selbst zur Jurorin mutierte, und dass mir das nicht gefiel; dass ich lieber Konzerte genießen als Leistungen vergleichen möchte. Ist das jetzt also besser: drei gleichrangige (nicht wirkliche) Sieger? Kann man vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gehen? Hat hier möglicherweise die Musik gewonnen - als eine Disziplin, in der man nicht bewerten kann? Mariano Esteban Barco - der Spanier schaffte es bis ins Semifinale - sagte: Musik sei nicht wie Fußball, man könne nicht gegeneinander spielen. Aber ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass man die Jury-Entscheidung in München als einen Sieg der Musik über die Bewertung verstehen kann. Dann könnte man es ja gleich lassen, das Wettspiel.
Ich schnappe mir also zwei Jury-Mitglieder und stelle die offen gebliebene Frage: Warum? Das, was ich aus den Antworten heraushöre, ist, dass sie sich nicht einig sind, außer darin, dass sie sich nicht auf eine/n Beste/n einigen können. Der Juror Christoph Hartmann beschreibt mir die Stärken der drei Finalisten, und die liegen alle auf einem anderen Feld. Er nennt Interpretationen aus Vorrunden, Entwicklungsverläufe, individuelle Eigenschaften. Ich verstehe: Alle können aus Sicht der Jury etwas anderes besonders gut. Nur keiner kann alles. Nicholas Daniel, der Juror aus Großbritannien, der selbst in den 1980ern einen dritten Preis beim ARD-Musikwettbewerb machte, fasst zusammen: "Wenn man die drei zu einem Oboisten zusammennehmen könnte, hätte man den Pavarotti der Oboe. So haben wir Domingo, Carreras und Elisabeth Schwarzkopf."
Juliana Koch | Bildquelle: BR/Daniel Delang Und dann gibt es ja immer noch den Sieger der Herzen, den - oder besser: die, die den Publikumspreis bekommt. Das ist dieses Jahr Juliana Koch, meine Favoritin. Als ich nach dem Finale- und vor der Jury-Bekanntgabe - im Foyer vor dem Herkulessaal Stimmen der Besucher sammle, sind fast ausnahmslos alle von ihr begeistert. Laien, aber auch Profi-Musiker, ehemalige Preisträger. Das hatte ich auch schon anders erlebt. Juliana freut sich besonders über diese Auszeichnung: "Das ist der allerbeste Preis, den man hier gewinnen kann, und es ist eine riesengroße Ehre, ihn zu bekommen!" Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Auszeichnung sie mit dem Jury-Urteil versöhnt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich weiß es nicht besser als die Jury. Und ich behaupte auch nicht, dass das Publikum es besser weiß. Ich will nicht einmal, dass meine Favoritin unbedingt gewinnt. Hätte die Jury meine persönliche Reihenfolge genau andersherum bewertet, dann hätte es eine Grundlage für Diskussionen gegeben. So stehe ich nun aber am Ende als mitfiebernde Reporterin ebenso ratlos da wie das Publikum - und natürlich wie die Kandidaten selbst, die am meisten investiert haben: Hoffnungen, aber auch Disziplin, Ehrgeiz und viel, viel Arbeit. Ich meine: Dieses Ergebnis erklärt die physischen und psychischen Anstrengungen der Finalisten nicht für gleichrangig, sondern für gleichgültig.
Sendung: "Allegro" am 11. September 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK