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Der Tenor Benjamin Bernheim im Gespräch "Ich will jungen Künstlern Hoffnung vermitteln"

Am 19. August gab der französische Tenor Benjamin Bernheim einen Liederabend bei den Salzburger Festspielen. Im Interview spricht er über den Unterschied zwischen Opern- und Liedgesang, die Glücksfälle seiner Karriere und sein persönliches Verhältnis zu seiner Stimme. BR-KLASSIK überträgt Bernheims Lied-Recital am 1. September ab 18:05 Uhr im Radio.

Benjamin Bernheim | Bildquelle: © Christoph Köstlin

Bildquelle: © Christoph Köstlin

BR-KLASSIK: Sie haben im Haus für Mozart einen Liederabend gegeben – mit französischem und deutschem Repertoire. Wie geht es Ihnen am Tag danach?

Benjamin Bernheim: Mir geht es gut. Ich finde, es ist ein wahres Wunder, dass die Festspiele diesen Sommer stattfinden können. Es war mir eine riesige Ehre, hier aufzutreten – dass die Festspiele das Risiko eingegangen sind, einen Künstler wie mich, der eigentlich kein Lied-, sondern Opernsänger ist und kaum Liederabende gibt, überhaupt einzuladen. Wir haben auch Strauss-Lieder mitgebracht. Das war etwas ganz Besonderes, Strauss in Salzburg aufzuführen. "Und Morgen wird die Sonne wieder scheinen" – wir können trauern und emotional viel durchmachen im Leben, aber diese eine Wahrheit wird es immer geben: dass "morgen die Sonne wieder scheinen" wird. Das ist auch eine Hoffnungsbotschaft, die wir bringen möchten.

Ich bin einer der Künstler, die sehr viel Glück haben.
Benjamin Bernheim

Die Hoffnung zählt

BR-KLASSIK: Inwieweit hat Sie persönlich dieser "Aufblick zum Morgen" besonders bewegt?

Benjamin Bernheim: Ich finde, das spiegelt vor allem wider, was die Menschen auf der ganzen Welt und besonders wir Künstler in den letzten sechs Monaten durchmachen mussten. Ich bin einer der Künstler, die sehr viel Glück haben. Ich kann mich wirklich nicht beklagen über meine Karriere und das Singen, weil ich die Möglichkeit hatte, sehr schnell zurück zur Arbeit zu gehen. Ich will jungen Künstlern Hoffnung vermitteln, die gerade am Konservatorium fertig geworden sind oder Opernstudios absolviert haben. So viele Karrieren könnten durch die aktuellen Geschehnisse zerstört werden. Ich weiß, mit ein bisschen Hoffnung von "morgen" zu singen wird niemandem einen Job bringen. Aber es ist etwas, das wir seit März jeden Tag sagen können: Morgen ist ein neuer Tag, und wir werden versuchen, alles noch besser zu machen.

Benjamin Bernheim – Tenor

  • 1985: geboren in Paris
  • 2003: Studienbeginn am HEM Lausanne Conservatory (heute HEMU)
  • 2010: Ensemblemitglied am Opernhaus Zürich
  • 2012: Debüt bei den Salzburger Festspielen als Agenore in "Il re pastore" von Mozart
  • 2019: Debütalbum mit Opernarien bei der Deutschen Grammophon
  • Saison 2019 / 2020: Rollendebüt als Duca in "Rigoletto" an der Bayerischen Staatsoper.
  • Regelmäßig zu Gast: Opernhaus Zürich, Royal Opera House in London, Staatsoper Berlin, Deutsche Oper Berlin, Semperoper Dresden, Wiener Staatsoper, Opéra national de Paris, Théâtre des Champs-Élysées in Paris, Teatro alla Scala in Mailand, Salzburger Pfingst- und Osterfestspiele.

Lied als egozentrische Ausdrucksform

BR-KLASSIK: Was liegt Ihnen besonders am Liedgesang – im Vergleich zum Geschehen auf der Opernbühne?

Benjamin Bernheim | Bildquelle: Christoph Köstlin Benjamin Bernheim | Bildquelle: Christoph Köstlin Benjamin Bernheim: Ich bin ganz ehrlich: Diese Art Recital oder Liederabend ist nicht mein Lieblingsformat. Vielleicht habe ich eine falsche Meinung darüber, aber ich habe das immer als eine sehr egozentrische Darstellungsform gesehen. Ich mag an Oper so gerne, dass ich Teil einer Geschichte bin. Ich kann eine große Rolle darstellen oder vielleicht eine weniger große, aber zumindest habe ich ein Orchester mit dabei, das auch die Geschichte erzählt. Ich empfinde bei einem Liederabend eine große Verantwortung, und das mag ich mittlerweile auch, aber trotzdem bleibt es für mich eine sehr egozentrische Auftrittsform. Es ist schon wichtig zu zeigen, dass ich auch Anderes beherrsche, außer Oper und das Rausplärren hoher Töne über einem Orchester. Aber ich denke, es ist noch wichtiger, die Intimität eines solchen Liederabends zu schätzen – und langsam gefällt mir das. Was ich in der Oper nicht vermitteln kann, sind diese Farben, die intimen Momente.

Jonas Kaufmann hat den Tenor neu definiert.
Benjamin Bernheim

Mehr als Energie und Testosteron

BR-KLASSIK: Zu den von Ihnen geschätzten Sängern gehört Ihr Tenor-Kollege Jonas Kaufmann. Warum?

Benjamin Bernheim: Weil Jonas etwas ganz Besonderes ist – er hat den Tenor neu definiert. Vor Jonas Kaufmann war ein Tenor vor allem eine Person, die auf die Bühne gegangen ist, um laut und mit viel Testosteron und Energie zu singen. Jonas hat mit seiner Technik und Stimme neu erfunden, was es bedeuten kann, ein Tenor zu sein. Und ich finde, wir sollten sehr dankbar dafür sein, was Jonas Kaufmann der neuen Sängergeneration gebracht hat. Dank ihm sind wir jetzt als Tenor nicht mehr nur in dieser einen Schublade. 

Ein Gefühl der Dankbarkeit

BR-KLASSIK: Sie befinden sich an einem Punkt, wo Sie wirklich von einer großen Karriere sprechen können. Welche Kriterien mussten für dieses Ergebnis zusammenkommen?

Salzburger Festspiele: Liederabend Bernheim · Matheson 2020: Carrie-Ann Matheson (Klavier), Benjamin Bernheim (Tenor) | Bildquelle: © SF / Marco Borrelli Carrie-Ann Matheson (Klavier) und Benjamin Bernheim (Tenor) auf dem Liederabend in Salzburg. | Bildquelle: © SF / Marco Borrelli Benjamin Bernheim: Ich glaube, ich hatte sehr viel Glück. Die Leute sagen immer: "Ach, das war dein Talent, keiner konnte das übersehen" – aber dem muss ich leider heftig widersprechen. Ich bin hier, weil ich oft gescheitert bin, ich habe viele Vorsingen nicht geschafft. Ich habe viele Arbeitsproben nicht geschafft. Meine Stimme hat oft versagt, ich habe zweimal mit dem Singen aufgehört, als ich 24 Jahre alt war und dann nochmal mit 28 – für sechs Monate, weil meine Stimme nicht das gemacht hat, was mein Kopf haben wollte. Und heute ist es meistens immer noch so, der Klassiker: Du musst die richtigen Leute zur richtigen Zeit treffen. Aber du musst auch zum richtigen Zeitpunkt versagen. Denn ich muss sagen, wenn ich mit 25 oder 26 Jahren die Chancen gehabt hätte, die ich heute habe, hätte ich wahrscheinlich alle Fehler gemacht, die man machen kann: Ich hätte ganz sicher meine Stimme und mein Gedächtnis ruiniert. Heute bin ich allen dankbar, die an mich geglaubt haben – das waren sehr wenige.

Auf der Bühne ist es letztendlich wie bei einem Formel-1-Rennen.
Benjamin Bernheim

Die Stimme als Arbeitskollege

BR-KLASSIK: Ihre Stimme ist Ihr Instrument. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu diesem Instrument beschreiben?

Benjamin Bernheim: Meine Stimme ist wie ein Arbeitskollege. Ich liebe meine Stimme nicht, ich bewundere sie nicht, ich höre ihr nicht gerne zu, sie ist ein Arbeitskollege, den ich so gut wie möglich zu respektieren versuche. Aber ich sehe auch, dass meine Stimme sich sehr entwickelt hat. Meine Stimme musste mit Geduld auf eine bestimmte Art und Weise behandelt werden, aber sie musste auch leiden, ich musste was riskieren. Mit einer Tenorstimme – mit jeder Stimme – ist man ein Athlet. Auf der Bühne ist es letztendlich wie bei einem Formel-1-Rennen: Wir wissen, wo die Kurven sind. Wir wissen nur nicht, ob es verregnet oder sonnig sein wird, ob wir im richtigen Moment glänzen werden. Wir leben den Moment, ob wir vorbereitet sind oder nicht.

Sendungen:
"Meine Musik" mit Benjamin Bernheim am 29. August 2020, ab 11:05 Uhr auF BR-KLASSIK
Liederabend mit Benjamin Bernheim von den Salzburger Festspielen am 1. September 2020, ab 19:05 auf BR-KLASSIK

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