BR-KLASSIK

Inhalt

Interview mit Cellist Abel Selaocoe Vom Township ans Konservatorium

Als Kind übte Abel Selaocoe das Cellospielen zunächst auf einem Besenstiel — seine Familie konnte sich kein Instrument leisten. Mit Hilfe eines Stipendiums schaffte er es aus dem Township in der Nähe von Johannesburg ans Konservatorium in Manchester. Heute ist der Südafrikaner weltweit erfolgreich als Cellist, Sänger und Komponist unterwegs. Dabei verbindet er westliche Musik mit den Klängen seiner Heimat.

Komponist, Sänger und Cellist Abel Selaocoe aus Südafrika | Bildquelle: Christina Ebenezer

Bildquelle: Christina Ebenezer

BR-KLASSIK: Wenn wir das Cello anschauen, verbinden wir damit gleich eine bestimmte Musik – wir denken an die großen Cellokonzerte von Dvorak, Elgar, an Kammermusik, an Orchester. Was fühlst du, wenn du auf dein Instrument blickst?

Abel Selaocoe: Wenn ich ein Cello anschaue, sehe ich ein Zuhause. Und ein Zuhause das ist der Ort, an dem man sich neu erschaffen kann, er gibt dir Kraft, das zu sein, was du sein willst. Es ist ein Ort der Fantasie, das ist ein Zuhause. Die Geige, die Bratsche, das Cello, diese Instrumente, die westlich erscheinen, sind schon an verrückte Orte dieser Welt gekommen. Die Geige gibt es in Südamerika, in Indien, in Mexiko, in Südafrika und es ist so wichtig, dass sie sich verändert. Ich meine damit, dass sie die Farbe, die Textur, die Würze des Ortes annimmt, an dem sie sich befindet. Wenn wir erwarten, dass alles ursprünglich bleibt, bedeutet das, dass wir die Tradition als fortschrittliche Idee zurückhalten. Für mich ist Tradition eine progressive Idee, keine, die nur an einem Ort bleibt.

BR-KLASSIK: Wie ist es mit deiner Stimme – wie hast du sie entdeckt?

Abel Selaocoe: Sie ist wie dein Schatten, du hast keine Wahl: Wenn es Licht gibt und du deinen Schatten siehst, folgt er dir überall hin. Er ist immer bei dir, taucht in unterschiedlichem Licht auf, er ist ein richtiger Teil von dir. Ich glaube, als ich auf die Welt gekommen bin, haben alle um mich herum gesungen und Geschichten erzählt – deswegen habe ich das Gefühl, dass ich mir das gar nicht wirklich ausgesucht habe. Es ist einfach ein Teil von mir. Ich habe angefangen zu üben, ich habe es versucht. Einfach allein. Ich wollte lernen, wo meine Stimme hingehen kann.

Wenn ich ein Cello anschaue, sehe ich ein Zuhause.
Abel Selaocoe

Komponieren in der Tradition mündlicher Überlieferungen

BR-KLASSIK: Wie erzeugst du zum Beispiel diesen kehligen Ton? Das braucht doch sicher viel Übung.

Abel Selaocoe: Bevor es Sprache gab, haben wir schon mit Geräuschen kommuniziert. Und ich glaube, dass da der Kehlkopfgesang herkommt – aus der vorsprachlichen Zeit. Es ist eine Methode, Klänge zu sammeln und fast wie aus der Ferne zu rufen. Und ich glaube, es spielt in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Rollen. In der Xosa-Kultur in Südafrika wird er für Jungen gesungen, die vom Initiationsritus kommen und meistens machen das die Frauen. Ich finde meine eigenen Wege, diese Technik einzubauen. Es geht dabei ums Räuspern und dann nimmt man einen Ton mit rein. Danach kommt die Zunge dazu, die den Ton stoppen und wieder rauslassen kann, und dann merkst du, du kannst die Töne ändern kannst.

BR-KLASSIK: Wie ist es beim Komponieren – wie gehst du an deine Stücke – mit dem Cello, mit der Stimme oder ganz anders?

Abel Selaocoe: Ich arbeite meistens mit dem Cello und der Stimme. Ich schreibe nicht als erstes Noten auf ein Blatt Papier auf – weil afrikanische Musik eine mündliche Tradition ist. Du lernst zum Beispiel ein Lied von deiner Cousine und dann nimmst du die Melodie und nimmst sie auseinander und machst sie dir zu eigen und bringst sie jemand anderem bei, und so geht das immer weiter. So schreibe ich also meine Musik, ich nehme alles auf, aber benutze es wie eine mündliche Tradition.

BR-KLASSIK: Notierst du deine eigenen Kompositionen? Lässt sich das alles in Noten abbilden oder entsteht noch viel mit den Musikerinnen und Musikern mit denen du die Musik dann aufführst?

Abel Selaocoe: Ich spiele mit Orchestern und ich sage ihnen: "Hey, schaut nicht in die Noten, schaut mich an. Lasst uns das nach Gehör lernen." Und das ist eine große Herausforderung beim ersten Mal, aber sobald wir das machen, ist es so erfüllend. Alle finden einen Weg, da reinzukommen. Ich bin sehr dafür, nach Gehör zu unterrichten. Aber ich bin auch dafür, Dinge hinter sich zu lassen, damit die Leute es besser lernen können. Deshalb schreibe ich die Musik auch gerne auf.

Wir sind wie Ärzte. Wir verschreiben Medizin.
Abel Selaocoe

Öffnung für ein neues Publikum

BR-KLASSIK: Was denkst du über das deutsche Publikum? Wenn wir singen müssen, schämen sich viele von uns. Was machst du da? Du bist ein bisschen wie ein Zauberer, die Leute vergessen, was da passiert und plötzlich singen sie, obwohl sie sich sonst eigentlich nicht trauen würden.

Komponist, Sänger und Cellist Abel Selaocoe aus Südafrika | Bildquelle: Christina Ebenezer Bildquelle: Christina Ebenezer Abel Selaocoe: Wenn eine Person ins Konzert geht, soll sie nicht das Gefühl haben, dass sie zu einem Event geht, wo sie sich etwas als Individuum anschaut und danach wieder genauso nach Hause geht. Wenn man in ein Konzert oder auch ins Kino geht, sitzt man mit Leuten zusammen und schaut gemeinsam was an, man fühlt die Reaktionen um sich herum. Das zu spüren ist sehr wichtig. Und ich glaube beim Singen ist es genauso. Wenn man laut singt, gibt man jemand anderem die Erlaubnis, auch laut zu singen. Wenn niemand er oder sie selbst ist, halten sich alle zurück. Wir beeinflussen uns alle gegenseitig: "Sei du selbst und du gibst den anderen die Erlaubnis, auch sie selbst zu sein."

BR-KLASSIK: Und wie fühlst du dich in diesen alten klassischen Konzertsälen? Hast du manchmal das Gefühl, dass du alles auf den Kopf stellen willst?

Abel Selaocoe: Ich glaube, wir können in Zukunft Menschen in den Konzertraum hereinlassen, die so etwas wie ein klassisches Konzert noch nie erlebt haben. Ich meine Leute, die das nicht in der Schule lernen oder einen bestimmten Bildungshintergrund haben und eine bestimmte Etikette erfüllen müssen. Es geht einfach darum, unter Menschen zu sein. Das ist meine Meinung.

BR-KLASSIK: Spürst du bei einem Konzert sofort, was das Publikum braucht?

Abel Selaocoe: Ja. Wir sind wie Ärzte. Wir verschreiben Medizin – deshalb fragen mich Leute oft nach einem Programm, sie wollen wissen, was passieren wird. Und manchmal sage ich: "Ich weiß es nicht. Ich kann dir sagen, was ich spielen werde, aber nicht in welcher Reihenfolge." Manchmal kommt man in den Raum und die Stimmung ist angespannt – also muss man manchmal vielleicht ganz anders anfangen. Wenn man diesen Raum zulässt, hilft das dem Publikum, Vertrauen aufzubauen und Mut zu haben, mitzumachen.

Abel Selaocoe Live

Am Dienstag, den 28. November, spielt Abel Selaocoe in München – ab 20 Uhr im Prinzregententheater. Begleitet wird er vom Bantu Ensemble.

Sendung: "Allegro" am 24. November 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player