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Christian Gerhaher zur Initiative "Aufstehen für die Kunst" "Die Kunst darf sich nicht rechtfertigen müssen"

Anne-Sophie Mutter, Kent Nagano, Sasha Waltz, Rolando Villazón oder Edgar Selge – es mangelt nicht an Prominenz unter den Unterstützern der Aktion "Aufstehen für die Kunst", die sich in den vergangenen Monaten neben vielen anderen Vertretern der Kultur lautstark zu Wort gemeldet hat: mit Forderungen, den Kulturlockdown in der bisherigen Form zu beenden. Auch der Sänger Christian Gerhaher gehört dazu. Warum man mit einem Eilantrag vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof momentan noch wartet, erklärt der Bariton im Interview mit BR-KLASSIK.

Christian Gerhaher | Bildquelle: © Felix Broede

Bildquelle: © Felix Broede

BR-KLASSIK: Herr Gerhaher, Sie kommen von der entscheidenden Sitzung der Initiative "Aufstehen für die Kunst". Es ging in den Beratungen darum, ob Sie einen Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen den Kultur-Lockdown stellen. Sie scheinen sich schneller einig geworden zu sein als die Politiker in ihren Verhandlungen.

Christian Gerhaher: Nein, wir sind uns eigentlich nicht einig. Wir sind uns vor allem nicht schlüssig. Die Entschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin begrüßen wir insofern, als die Kultur überhaupt erwähnt wird und ab dem 22. März auch ein gewisses Öffnungsszenario bekommt. Aber die Beschlüsse, wie sie jetzt zu lesen sind, erweisen sich als noch relativ schwammig und unklar. Kompetenzen werden auf die Kreisverwaltungsreferate verteilt, die sich dann aber immer mit dem bayerischen Gesundheitsministerium abstimmen müssen. Wir haben die Befürchtung, dass die Öffnung – wie sie dem Einzelhandel jetzt in Aussicht gestellt wurde – sich bei uns noch länger hinziehen könnte und wir so ein bisschen an der Leine gehalten werden. Andererseits wollen wir unseren Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof auch nicht irgendwie verschießen. Das heißt, wir müssen leider immer noch abwarten. Es stehen noch ein paar Gespräche zwischen Intendanten und bayerischen Politikern bevor. Doch wir würden den Eilantrag am liebsten sofort stellen, weil wir denken, die Rolle der Kultur muss nun endlich gewürdigt und geklärt werden.

Wir wollen unseren Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof nicht verschießen.
Christian Gerhaher, Bariton

Rolle der Kunst – grundsätzliche Klärung

BR-KLASSIK: Der Eilantrag wird also jetzt noch nicht gestellt?

Christian Gerhaher: Im Moment noch nicht. Wir warten noch auf ganz konkrete Entschlüsse und können den Eilantrag nicht ins Blaue hinein einbringen. Wir überlegen aber, diese wirklich wichtige Rolle der Künste – wie sie auch in den Verfassungen des Freistaats Bayern beziehungsweise von der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz niedergelegt ist – innerhalb dieser ganzen Krise grundsätzlich klären zu lassen. Die Schädigung der Künste, wie sie durch den "Lockdown light" erfolgt ist, darf sich nicht noch einmal wiederholen. Denn selbst wenn wir jetzt am 22. März das Szenario hätten, dass Theater und Konzertsäle öffnen dürfen, besteht ja immer noch die Gefahr, dass sie – anders als beispielsweise im Einzelhandel – unter Umständen auch sofort wieder schließen müssen.

BR-KLASSIK: Wie wollen Sie diese grundsätzliche Klärung herbeiführen?

Christian Gerhaher: Wir brauchen eine bessere Grundlegung vonseiten der Regierung, und zwar, dass sie uns klarer mitteilt, wie unsere Möglichkeiten sind. Denn ein Theater am 22. März aufzusperren, dürfte kein Problem sein, aber sofort wieder zuzusperren, wenn die Inzidenz wieder hochgeht – das ist keine gute Alternative.

BR-KLASSIK: Politische oder juristische Mittel wollen Sie dafür aber erstmal nicht einsetzen?

Christian Gerhaher: Politische Mittel haben wir nicht. Wir sind keine Politiker. Wir sind eine Initiative, die eine juristische Klärung sucht. Die juristischen Mittel wollen wir eigentlich schon einsetzen, wenn es nötig ist – eben beim Verwaltungsgericht. Was wir aber erwägen, ist eine grundsätzliche Klärung dieser Benachteiligung, also eine Verfassungsklage. Das ist eine andere Alternative, die uns noch vorschwebt.

Wir sind keine Politiker, wir sind eine Initiative, die eine juristische Klärung sucht.
Christan Gerhaher

Geplanter Antrag wurde verschoben

BR-KLASSIK: Der Eilantrag Ihrer Initiative "Aufstehen für die Kunst" war ja schon im Dezember geplant, wurde dann nach der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern kurz vor Weihnachten verschoben. Ende Februar wurde er dann wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dann kam die Stellungnahme, dass es keinen Eilantrag gibt, weil die geltende Regelung noch läuft, aber bald ausläuft. Wenn man immer ankündigt, dass man Eilanträge stellt, und es dann doch nicht tun... Haben Sie keine Angst, dass darunter die Autorität Ihrer Initiative leidet?

Christian Gerhaher: Natürlich ist das eine Gefahr. Aber warum sollen wir einen Eilantrag stellen, wenn im Dezember absehbar war, dass wir überhaupt keine Chance haben. Wir wollen ja auch nicht, dass nur wir aufmachen dürfen und alle anderen nicht. Das ist ja gar nicht unser Ziel. Wir wollen nur keine Benachteiligung. Wenn jetzt eine Besserung der pandemischen Situation sichtbar ist, dann werden wir natürlich mit unserem Eilantrag wieder irgendwie zur Gesellschaft reden, damit man uns hört. Es geht uns nicht ums Klagen an sich. Es geht uns darum, dass Kultur wieder ermöglicht wird.

BR-KLASSIK: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Politik mit der Kunst und Kultur so schwertut?

Christian Gerhaher: Ich habe da eine gewisse Einschätzung … Bei der Ausrufung des "Lockdown light" im November wurden die Künste als Freizeitaktivitäten bezeichnet hat. Das wurde nach größtem Aufschrei – nicht nur seitens der Kultur – zwar bald widerrufen, aber das entspricht nun wirklich nicht der Freiheit, die vom Grundgesetz im Artikel 5 für die Kunst garantiert wird. Die Kunst darf sich nicht rechtfertigen müssen. Deswegen hat sie diese Freiheit. Und wenn man sagt, sie ist eine Freizeitaktivität, dann ist das ein Konterkarieren unsere Möglichkeiten und unserer Bedeutung. Ich finde, die Kunst erklärt sich per se durch ihre Handlung, durch ihre Aufführung sowie durch ihre Produktivität. Und nicht dadurch, dass sie sagt: ich unterhalte, ich bin Freizeitaktivität oder ich erbaue, so wie es Herr Söder im April der Kunst zugeschrieben hat.

Kunst erklärt sich per se durch ihre Handlung.
Christian Gerhaher

Sendung"Leporello" am 5. März 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Freitag, 12.März, 16:14 Uhr

Andreas Boeck

Hinauszögern falsch oder richtig?

Für einen Eilantrag auf den passenden Moment zu warten ,ist eine richtige Entscheidung. Die Anrufung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden.

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