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Instrumentenwissen Das Cello – Raubtier mit Schmelz

Ob zärtliche Melodie oder erdige Bassbegleitung – das Cello ist sehr vielseitig einsetzbar. Mit seinem sonoren, weichen Klang verzaubert es. Nachhaltige Hölzer wie Fichte und Ahorn bilden dafür die Grundlage. Manchmal aber stören sogenannte Wolfstöne den Klang. Wie die gebändigt werden können, warum Frauen früher anders spielen mussten als Männer, und was die Helmholtz- Resonanz ist, erfahren Sie im BR-KLASSIK-Instrumentenwissen.

Cello und Cellobogen | Bildquelle: picture alliance / ZB | Jens Kalaene

Bildquelle: picture alliance / ZB | Jens Kalaene

"Es ist ein Instrument, das man umarmt", schwärmt Sebastian Klinger, Solo-Cellist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. "Und die Resonanz spürt man ganze deutlich, wenn das Cello vibriert. Es liegt ja an der Brust auf und an den Knien. Das hat schon etwas sehr Erdiges." Das spürt man besonders bei den tiefen Tönen. Dafür fällt gerade in der Höhe die kantable Seite des Instruments auf. Klanglich ist das Cello der menschlichen Stimme sehr ähnlich, findet Sebastian Klinger: "Es ist einerseits ein sehr lyrisches Instrument, ein Cantabile-Instrument. Und gleichzeitig kann man aber auch sehr gut damit 'sprechen' – etwa in der Alten Musik."

BR-KLASSIK-Instrumentenwissen

Ob heller Streicherklang oder tiefes Blech, ob gezupft oder geschlagen: Wir stellen Ihnen verschiedene Instrumente vor – und räumen mit so machen Mythen und Klischees auf. Alle bisher vorgestellten Instrumente im Überblick

Violoncello - Was bedeutet der Name eigentlich?

Das Violoncello gehört zur Violin-Familie. Im Italienischen wird unterschieden zwischen "viola da braccio" (am Arm gespielt) und "viola da gamba" (zwischen den Beinen gehalten). Während "Violine" (Geige) die Verkleinerungsform der Viola ist, bezeichnet die Vergrößerungsform "Violone" das Bassinstrument. Weil die Bezeichnung "Violone" in der Musikgeschichte auch für den Kontrabass genutzt wurde, wurden im 17. Jahrhundert für das Cello wieder Verkleinerungsformen angehängt: Nun hieß es "Violoncino" bzw. "Violoncello". Letztere Bezeichnung hat sich durchgesetzt. Damit war klar: Es handelt sich um das kleine Bassinstrument. "Violoncello" bedeutet wörtlich also: kleine große Viola. Heute ist umgangssprachlich die verkürzte Form "Cello" üblich.

Für Frauen früher "unschicklich" - so wird das Cello gespielt

Heute wird das Cello von Cellistinnen und Cellisten in der Regel auf einem Stachel stehend zwischen den Beinen im Sitzen gespielt. Da diese Spielweise für Frauen lange Zeit als unschicklich galt, hielten sie das Instrument seitlich vom Körper und spielten mit geschlossenen Beinen. Die ersten Celli wurden übrigens ohne Stachel gebaut und beim Spielen einfach zwischen den Beinen festgehalten. Gerade in Alte-Musik-Ensembles kann man diese Spielweise auch heute noch beobachten.

Was ist der Unterschied vom Cello zur Geige?

Auf den ersten Blick sieht das Cello aus wie eine große Geige. Die Proportionen sind allerdings völlig anders. "Das Faszinierende am Cello ist, dass es eigentlich im Gegensatz zur Geige ein großes akustisches Problem darstellt", erklärt Geigenbauer Martin Schleske. "Die Geige ist im Grunde das Verhältnis von Korpusgröße zu abgestrahlter Frequenz und damit zur Luftwellenlänge ein ideales Instrument. Das Cello ist eigentlich zu klein."

Das Cello ist das sinnlichste, irdischste, fast erotischste Instrument.
Martin Schleske, Geigenbaumeister

Um die Grundfrequenz der tiefen Töne mit seinem Korpus produzieren zu können, müsste das Cello eigentlich mindestens doppelt so groß sein. Dann könnte aber niemand darauf spielen. Also haben Geigenbauer schon vor Jahrhunderten das Problem auf andere Weise zu lösen versucht: Zum einen hat das Cello eine wesentlich höhere Zarge. So nennt man den geschwungenen Holzrahmen zwischen Decke und Boden des Instruments. Das Cello ist deshalb viel "dicker" als die Geige – auch proportional gesehen.

Kurz erklärt: Die Helmholtz-Resonanz

Martin Schleske | Bildquelle: Janina Laszlo Martin Schleske in seiner Werkstatt. | Bildquelle: Janina Laszlo "Die höhere Zarge hilft aber nur für die Luftresonanzen, die sogenannte Helmholtz-Resonanz", sagt Martin Schleske. "Bei der Resonanz atmet das ganze Instrument wie ein Brustkorb. Da strömt dann die Luft durch die f-Löcher ein und aus. Diese Helmholtz-Resonanz schafft die Grundtönigkeit der G-Saite beim Cello und ein bisschen auch bei der C-Saite. Das heißt, die tiefen Töne werden durch diese Luftresonanz ermöglicht und bekommen diese Wärme. Aber für die ganzen Plattenresonanzen ist das Cello eigentlich zu klein." Das hat Einfluss auf die Klangfarbe. "Für mich ist das Cello eigentlich das irdischste, das sinnlichste, fast erotischste Instrument, was es gibt", verrät Schleske. "Das hat dieses schnurrende 'ssss' im Ton, diesen unglaublich sinnlichen, fokussierten Ton. Und das liegt eben daran, dass sehr viel Obertöne zum Einsatz kommen, und das gar nicht so die Grundtönigkeit des Instruments ist."

Psychoakustische Täuschung und der Trick mit den Obertönen

Obwohl die ganz tiefen Grundtöne vom Cello praktisch nicht produziert werden, können wir sie trotzdem "hören". Das hängt mit einem Phänomen aus der Psychoakustik zusammen. Sind die entsprechenden Obertöne vorhanden, ergänzt unser Gehirn den dazugehörigen Grundton, auch wenn er akustisch gar nicht vorhanden ist. "Das ist die große Gnade des Cellos", sagt Schleske. Für ihn als Geigenbauer bedeutet das: "Ich muss mich darauf konzentrieren: Wie schaffe ich es, diese Obertonreihe möglichst genial abzustrahlen?"

Ein Cello muss wie ein Jaguar sein.
Martin Schleske

Nachhaltige Hölzer fürs Cello: Fichte und Ahorn

Dafür braucht er vor allen Dingen das richtige Holz: eines mit hoher Schallgeschwindigkeit und geringer Dichte. "Fichte ist für den Klang von Resonanzplatten mit Abstand das beste Holz, was denkbar ist", so Schleske. Aus Fichte wird die Decke des Cellos angefertigt. Für Boden und Zargen wird Ahorn verwendet. In Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit durchaus ein wichtiger Aspekt: "Zum Glück wird mit Fichte und Ahorn gearbeitet, weil es von beidem sehr viel gibt weltweit. Es ist kein 'kompliziertes' Holz in dem Sinne wie etwa Tropenholz. Trotzdem: Die besonderen Klang-Fichten müssen sehr weit oben gewachsen sein, in 1700, 1800 Meter Höhe an der Baumgrenze, magerer Boden usw." Wenn Martin Schleske auf seiner Werkbank über das Holz streicht, kann er schon an diesem Rauschen die Resonanzfähigkeit erkennen. Bevor er die Decke für sein neues Cello aufleimt, klopft er sie ab und kann so die Eigentöne der Decke überprüfen. "Ich will Instrumente bauen, wo ich sag: Das ist eine Autorität, das kann ich bändigen. Ein Cello muss wie ein Jaguar sein, wie ein wildes Tier, ein Raubtier, das ich gezähmt habe."

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Dumky Trio - Sebastian Klinger, Lisa Batiashvili, Milana Chernyavska im BR | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk (via YouTube)

Dumky Trio - Sebastian Klinger, Lisa Batiashvili, Milana Chernyavska im BR

Wolfstöne - und wie sie zu beherrschen sind

Ein Instrument mit einer starken eigenen Persönlichkeit ist für Musikerinnen und Musiker reizvoll. Aber es kann auch Probleme mit sich bringen: die sogenannten "Wolfstöne", oder einfach kurz "Wolf". Wolfstöne entstehen auf dem Cello, wenn die Frequenz des gespielten Tones genau der Eigenschwingung des Korpus entspricht. "Dann kommt es zu einer Resonanzkatastrophe. Wenn ich den Korpus über den Steg mit diesen Eigenschwingungen errege, dann schaukelt sich der Korpus auf und bekommt immer mehr Energie. Irgendwann schwingt er so stark, dass über den Steg die Schwingung zurückgeht auf die Saite. Der Korpus entzieht der Saite mehr Energie als sie nachliefern kann. Und dann bricht die Schwingung einfach zusammen."

Wolfstöne häufig bei sehr guten, alten Celli

Weil der Bogen aber weiterstreicht, baut sich die Schwingung erneut auf, bricht wieder zusammen, usw. "Das passiert ungefähr zehn Mal pro Sekunde. Und dann entsteht dieser rasselnde, heulende Ton", erklärt Martin Schleske. Interessanterweise ist dieses Phänomen bei alten und sehr guten Celli besonders häufig zu finden. Warum Wolfstöne bei Celli häufiger vorkommen als beispielsweise bei der Geige, hat mit den unterschiedlichen Proportionen beim Steg zu tun, ebenso mit der Dicke der Instrumenten-Decke. "Die Schönheit des Instruments liegt in seinen Resonanzen", so Schleske. "Aber genau die Resonanzen machen es dem Spieler auch schwer." Nur ein Instrument mit einer so starken Schwingungsfähigkeit erzeugt auch diese starke Wolfsresonanz. Schleskes Fazit: "Ein Cello, das keinen Wolf hat, ist möglicherweise – oder tendenziell – ein langweiliges Instrument."

Den Wolf bändigen geht auch mit "Wolfstöter"

Wenn man das Cello kennt, dann kann man den Wolf gut beherrschen.
Sebastian Klinger, Cellist

Sebastian Klinger | Bildquelle: Astrid Ackermann Der Cellist Sebastian Klinger | Bildquelle: Astrid Ackermann Und welche Musikerinnen und Musiker will schon auf einem langweiligen Instrument spielen, das selbst nicht richtig schwingt? Dann lieber den Wolf bändigen, findet auch Sebastian Klinger: "Bei den meisten Celli existiert ein Wolf. Aber bei den meisten alten guten Celli kann man den Wolf auch mit Kniedruck ein bisschen beherrschen – oder auch mit der Kontaktstelle des Bogens, der Bogenmenge, dem Vibrato… Also, wenn man das Cello kennt, dann kann man den Wolf eigentlich gut beherrschen." Ansonsten schaffen sogenannte Antiresonatoren Abhilfe, auch "Wolfstöter" genannt, sagt Martin Schleske: "Das ist ein anderes Resonanzsystem an der Seite, das die Energie dann aufnimmt und damit weniger Energie in den Korpus gibt. Und durch die Kopplung mit der Korpusresonanz entsteht dann so eine gespaltene Resonanz. Dann habe ich zwei kleine Wolfstöne, die aber im Idealfall zwischen den musikalischen Halbtönen liegen, und somit gar nicht erst angeregt werden."

Stachel – Ärgernis oder Klanggeheimnis?

Ob solistisch, in der Kammermusik oder im Orchester, ob in Bassfunktion oder als singendes Melodieinstrument – das Cello ist sehr vielseitig einsetzbar. So gesehen, ist es überall beliebt – abgesehen vielleicht von seinem spitzen Stachel, auf dem der Cellist oder die Cellistin das Instrument beim Spielen auf dem Boden abstützt. "Gerade in Privathäusern muss man da aufpassen", weiß Sebastian Klinger. "Wenn man den Stachel einfach in den Holzboden reinrammt, ist da ein Loch drin." Trotzdem ist der Stachel im Konzertsaal unersetzlich. Denn er ist Teil des Klanggeheimnisses. "Auf Bühnen aus Holz ist das sogar gewünscht und gut. Der Kontakt vom Stacheln auf dem Holzboden bringt die Bühne zum Schwingen. Dadurch werden wichtige Bassresonanzen erzeugt."

Sendung: "Allegro" am 26. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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