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Anne-Sophie Mutter im Interview "André Previn hat mich musikalisch befreit"

Ein Violinkonzert als Verlobungsgeschenk – das bekam Anne-Sophie Mutter von André Previn. Ein außergewöhnliches Stück, leicht, heiter und trotzdem voller Tiefe. Im Interview erzählt die Geigerin von ihrer Beziehung zu Previn, von dessen Leben, und was der Komponist ihr noch alles hinterlassen hat.

Solistin: Geigerin Anne-Sophie Mutter. | Bildquelle: BR /Tobias Hase/Tobias Hase

Bildquelle: BR /Tobias Hase/Tobias Hase

BR-KLASSIK: Frau Mutter, es gibt ja viele große Komponisten, die Ihnen Werke gewidmet haben. Das von André Previn aber ist personalisiert wie kein zweites, es heißt "Anne-Sophie". Traut sich da überhaupt ein anderer Interpret, eine andere Interpretin ran?

Anne-Sophie Mutter: Das Interessante ist ja, dass viele, nicht alle, aber fast die meisten der Werke, die für mich geschrieben wurden, die stratosphärischen Höhen der hohen e-Saite ins Visier nehmen. Das ist wohl etwas, was Komponisten an meinem Instrument aber vielleicht auch an meiner Schwindelfreiheit dort oben fasziniert. So werden manche Werke wie beispielsweise "Gesungene Zeit" des wunderbaren deutschen Komponisten Wolfgang Rihm vielleicht etwas weniger aufgeführt. Nicht, weil sie für mich geschrieben wurden und meinen Namen tragen, sondern weil es ganz spezifische, technische Anforderungen gibt, die spezifisch auf eine Person zugeschnitten sind und jetzt nicht für alle bequem sind.

BR-KLASSIK: Wie ist das bei Previns Konzert?

Anne-Sophie Mutter: Da trifft das auch zu, weil er sehr viele extrem hohe Passagen geschrieben hat. Es verklingt ja auch auf dem hohen g, das ist dann schon eigentlich am Rand des Griffbretts.

BR-KLASSIK: Aber es geht wohl nicht nur um die technischen Fertigkeiten, die er da bei Ihnen bewundert hat, sondern Musik ist ja auch immer etwas sehr Persönliches.

Anne-Sophie Mutter: Nun, es war ja ein Verlobungsgeschenk.

Ein gemeinsames Gefühl wird Musik

BR-KLASSIK: Finden Sie sich da selber wieder in der Musik? Fühlen Sie sich gut getroffen?

Die Salzburger Filmemacher Chris Weiß und Carl Plötzeneder haben Anne-Sophie Mutter bei der "Neuerforschung" und Erarbeitung der Mozart-Kompositionen mit der Kamera begleitet. Interviews mit Anne-Sophie Mutter und ihren musikalischen Mitstreitern, u.a. dem Dirigenten Sir André Previn, lassen die Zuschauer die Neuinterpretationen mitverfolgen. [Das Foto wurde uns dankenswerterweise von der "Deutsche Grammophon" zur Verfügung gestellt.] | Bildquelle: BR/Harald Hoffman/DG Anne-Sophie Mutter mit André Previn. | Bildquelle: BR/Harald Hoffman/DG Anne-Sophie Mutter: Nun, ich glaube nicht, dass es da um mich geht. Vielleicht geht es um ein gemeinsames Gefühl, das wir natürlich hatten, sonst hätten wir uns nicht verlobt und hätten auch nicht geheiratet und wären auch nicht – wenn auch sehr kurz – verheiratet geblieben und lebenslang befreundet. Das finde ich wieder in dem Konzert, das hochromantisch ist; das aber auch von Andrés Kindheit in Deutschland handelt. Er war ja Jude und musste mit seinen Eltern, als er neun oder zehn Jahr alt war, Berlin verlassen. Und hatte Glück, weil die Familie von einem Gestapo-Offizier – sein Vater war ja ein sehr arrivierter Anwalt in Berlin – gewarnt wurde, dass man sie abholen würde. Sie sind dann nach Paris geflohen mit André, der eigentlich Andreas Ludwig heißt.

BR-KLASSIK: André Previn ist dann in den USA aufgewachsen.

Anne-Sophie Mutter: Er hat dann in Kalifornien Fuß gefasst, hat dort Jascha Heifetz kennengelernt und nicht zuletzt in Hollywood dann auch seine Karriere als Filmschaffender begonnen, wie viele große Künstler. Das Violinkonzert ist aber eine Reminiszenz an seine Zeit in Berlin und nimmt im letzten Satz…

BR-KLASSIK: … "wenn ich ein Vöglein wär‘" habe ich da gehört…

Anne-Sophie Mutter: ... genau, das Thema seines Lieblingskinderliedes auf. Während er komponierte, hat er mich natürlich nicht gefragt, welches meines sei. Und ich war letztlich tief berührt, dass er da auch mein liebstes Kinderlied gewählt hat.

BR-KLASSIK: War André Previn denn ein heiterer Mensch?

Er war einer - wenn nicht der charmanteste Mann, dem ich je begegnet bin. Nicht umsonst habe ich ihn geheiratet.
Anne-Sophie Mutter

Anne-Sophie Mutter: Er war einer der witzigsten Erzähler, einer, wenn nicht der charmanteste Mann, dem ich je begegnet bin. Nicht umsonst habe ich ihn geheiratet. Und ein begnadeter Jazz-Musiker. Aber Künstler sind vielschichtig. Und wer vielschichtig ist, kann auch das Gegenteil sein.

BR-KLASSIK: Wie ist er denn mit seiner Geschichte umgegangen? Viele, die durch den Holocaust Schlimmes erlebt haben, sprechen ja nicht gern darüber. Und auch ins Exil zu gehen, ist ein unglaublich tiefer Einschnitt. Hat er darüber gesprochen?

Anne-Sophie Mutter: Er hat deutsche Literatur, deutsche Malerei wirklich geliebt. Er hat natürlich perfekt Deutsch gesprochen. Kannte Autoren, die man als Nicht-Deutsche nicht wirklich kennt, so wie Heinrich Böll. Er hat mir immer erzählt, er hätte die Flucht als großes Abenteuer gesehen. Es scheint den Eltern gut gelungen zu sein, ihm in der Kinderzeit die schreckliche Tragweite und die Gründe der Flucht so darzulegen, dass es bei ihm zu keinem Schock geführt hat. Natürlich hat die Familie schrecklich darunter gelitten. Besonders der Vater, der als Anwalt beruflich in Kalifornien nicht Fuß fassen konnte, sondern dort Klavierunterricht gab und wohl ein verbitterter Mensch wurde. Darunter litt dann die ganze Familie. André musste auch sehr früh Geld verdienen, er hat mit 16 Orgeln verkauft und von Kindesbeinen an eigentlich pausenlos gearbeitet.

BR-KLASSIK: 2019 ist André Previn gestorben. Gibt es etwas, was sie musikalisch von ihm mitnehmen?

Andre Previn, Dirigent des Oslo Philharmonic Orchestra, und die Geigerin Anne-Sophie Mutter treten am 01.09.2004 bei einem Konzert beim Luzern-Festival in Luzern auf. Previn heiratete im August 2002 in fünfter Ehe die verwitwete Violinvirtuosin, schreibt seitdem überwiegend für sie und erscheint auch meist mit ihr im Konzertsaal. An der Seite der glamourösen Geigerin toppt Previn jetzt erstmals auch als Komponist die klassischen Charts, so mit der gemeinsamen CD "Tango Song and Dance". Der von der Deutschen Grammophon herausgegebene Mitschnitt eines 2002 in Boston uraufgeführten Violinkonzerts mit drei Sätzen, das er Mutter gewidmet hat, brachte ihm international Anerkennung. F oto: Urs Flüeler | Bildquelle: Urs Flüeler/picture-alliance / dpa | epa Keystone Flueeler Andre Previn als Dirigent des Oslo Philharmonic Orchestra und Anne-Sophie Mutter bei einem Konzert beim Luzern-Festival 2004. | Bildquelle: Urs Flüeler/picture-alliance / dpa | epa Keystone Flueeler Anne-Sophie Mutter: Ich glaube, dass er mich in vielem musikalisch befreit hat. Befreit von einer wunderbaren Schulung. Meine Geigenlehrern Aida Stucki ist über jeden Zweifel erhaben. Aber da geht es vielleicht nicht um etwas geigerisch-, sondern etwas Repertoire-Bedingtes. Vielleicht auf etwas zutiefst Deutsches, was nicht unbedingt nur positiv besetzt ist. Eine gewisse Starrheit, gerade wenn es um Repertoire außerhalb der tradierten zeitgenössischen Musik geht. Meine Hinwendung zu Gershwin beispielsweise oder auch wieder die Besinnung auf Kreisler. Auf Werke großer Interpreten und Komponisten, die vergessen sind, weil wir uns so auf dieses Core-Repertoire konzentrieren. Die musikalische Verbindung zu André hat letztlich auch die Verbindung zu John Williams, die musikalisch-menschliche Begegnung, erst ermöglicht. Man glaubt es kaum, aber ich bin ein schüchterner Mensch, ich hätte mich nie getraut, ihn einfach so zu kontaktieren.

Er war immer der Meinung, ich könne Jazz spielen und improvisieren und wir sollten das jetzt mal auf der Bühne tun. Aber ich weiß auch, wo meine Grenzen sind.
Anne-Sophie Mutter

BR-KLASSIK: Und Jazz?

Anne-Sophie Mutter: Er hat mich natürlich auch dem Jazz näher gebracht. Er war immer der Meinung, ich könne Jazz spielen und improvisieren und wir sollten das jetzt mal auf der Bühne tun. Aber ich weiß auch wo meine Grenzen sind.

BR-KLASSIK: André Previn hat mich befreit. Gibt es ein schöneres Kompliment als dieses?

Anne-Sophie Mutter: Musikalisch befreit! Nicht in allem. Und er hat für mich um die zehn Werke geschrieben, die alle phantastisch sind. Auch für die Stipendiaten meiner Stiftung. Das Konzert für Kontrabass und Geige, das wirklich – ohne Witz – bedeutend ist für Kontrabass. Und es gibt noch zwei weitere von mir noch nicht uraufgeführte Werke.

Anne-Sophie Mutter live

Am 20. Mai 2022 spielt Anne-Sophie Mutter das Violinkonzert "Anne-Sophie" von André Previn live mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Vasily Petrenko in der Isarphilharmonie in München.

Sendung: "Leporello" am 17. Mai 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (3)

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Samstag, 28.Mai, 08:03 Uhr

Ingr

ANN-SOPHIE MUTTER i

Ich finde das Interview sehr interessant und möchte unbedingt die erwähnten Musiken hören. Danke

Montag, 23.Mai, 13:50 Uhr

Norbert Ippen

Previn - Mutter

.....Musikalisch befreit! 1)
Nicht in allem.............. 2)

1) Dieses zu glauben, liegt nicht fern.
2) Was das wohl ist, wüsste man gern!

Sehr geehrte Damen und Herren,

DANKE für die Übermittlung dieses schönen Interviews mit Frau A. S. Mutter.
Mein kurzer Kommentar s. oben!

Alles Gute und herzliche Grüße aus Köln
Norbert Ippen

Mittwoch, 18.Mai, 09:10 Uhr

Erwin Inderau

Previn Mutter

Ich finde es seltsam, daß A.S. Mutter Werke von Previn aufführt.
Sie wurde ja von ihm geschieden.
Die Liebe geht seltsame Wege.

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