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Kastraten in der Oper Vergöttert und ausgegrenzt

Jahrhundertelang haben Kastraten ihr Publikum mit ihrer engelsgleichen Knabenstimme verzaubert. Warum waren hohe Männerstimmen eigentlich damals so gefragt? Wie war es, als Kastrat zu leben? Im BR-KLASSIK Wissens-Podcast "Kosmos Musik" unterhält sich die Astrophysikerin Suzanna Randall darüber mit der Musikwissenschaftlerin Corinna Herr.

"Farinelli – Der Kastrat"; Stefano Dionisi als Farinelli | Bildquelle: © Helkon

Bildquelle: © Helkon

Neulich habe ich mir "Farinelli" angesehen: ein Film, der die Thematik der Kastraten populär gemacht hat. Eine Szene hat mich besonders beeindruckt: Der Kastrat Farinelli steht auf der Bühne, das Gesicht weiß geschminkt, ein Helm mit opulentem Federschmuck auf dem Kopf. Immer höher und höher singt er, während im Publikum die Frauen reihenweise in Ohnmacht fallen.

Lange Töne durch starke Brustkraft

Genau diese Szene analysiert die Musikwissenschaftlerin Corinna Herr gern mit ihren Studierenden an der Universität Koblenz-Landau. Der tolle lange Ton, den Farinelli singt, entspricht tatsächlich der historischen Aufführungspraxis, erklärt sie mir. "Aus Berichten wissen wir, dass Kastraten durch ihre Brustkraft sehr, sehr lange Töne aushalten oder auch sehr, sehr lange Koloraturen singen konnten."

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Film 'Farinelli' - Ombra fedele anch'io (Aria of Dario from opera 'Idaspe' by Riccardo Broschi) | Bildquelle: George Eross (via YouTube)

Film 'Farinelli' - Ombra fedele anch'io (Aria of Dario from opera 'Idaspe' by Riccardo Broschi)

Kosmos Musik: Wissens-Podcast mit Suzanna Randall

Warum ist Singen gut fürs Immunsystem? Wie klingt das Weltall? Und fördert Klavier spielen die Intelligenz? Auf diese und andere spannende Fragen antwortet der Wissens-Podcast "Kosmos Musik" mit der Astrophysikerin und angehenden Astronautin Suzanna Randall. Alle 10 Folgen der ersten Staffel finden Sie bei BR Podcast, in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

Die Kastration verhinderte Stimmbruch und Bartwuchs

Kastratensänger Farinelli, gemalt von Corrado Giaquinto | Bildquelle: wikimedia Um seine hohe Stimme zu erhalten, wurde Carlo Broschi vor der Pubertät kastriert. Später gab er sich den Künstlernamen "Farinelli". | Bildquelle: wikimedia Der starke Brustkorb war ein typisches Merkmal der Kastraten und eine Folge der hormonellen Umstellung nach der Operation. Dabei wurden Jungen vor der Pubertät die Samenstränge durchtrennt und die Hoden abgebunden. Die Jungen bekamen keinen Bartwuchs, auch die Stimmbänder wuchsen nicht weiter. Die Kastration war immer ein gesundheitliches Risiko für die Sänger. Das fing schon beim chirurgischen Eingriff an: Wenn das Operationswerkzeug nicht steril war, konnte es zu Entzündungen kommen und Antibiotika waren damals noch nicht bekannt.

Langfristige Folgen für die Gesundheit

Welche langfristige Folgen die Kastration für die Gesundheit hatte, hat ein Forscherteam der Universität Padua untersucht. Die Wissenschaftler haben dazu erstmals das komplette Skelett eines Kastraten exhumiert. Es handelte sich um Gaspare Pacchierotti, einen Star-Kastraten im 18. Jahrhundert. Pacchierotti wurde vor seinem 12. Geburtstag kastriert. Untersuchungen seines Skeletts im CT und MRT ergaben, dass Pacchierotti an Osteoporose litt, was laut der Forscher auf die hormonelle Umstellung nach der Operation zurückzuführen ist. Auch Pacchierottis Gebiss war auffällig. Es wies deutliche Spuren von Zahnknirschen auf – typisch für Menschen, die unter Stress stehen oder psychische Probleme haben. 

Illustration einer Szene aus Händel's "Flavio", zeigt Kastratensänger Berenstadt und Senesino sowie die Sopranistin Francesca Cuzzoni in der Mitte | Bildquelle: wikimedia Die Illustration zeigt die Kastratensänger Berenstadt und Senesino sowie die Sopranistin Francesca Cuzzoni in der Mitte. | Bildquelle: wikimedia Offiziell war die Kastration verboten, doch viele Familien versprachen sich von dem Eingriff eine bessere Zukunft für ihr Kind. Kastraten auf der Opernbühne waren begehrt. Das lag an der Gesangsästhetik der Zeit, so Corinna Herr: "Zwei gleich hohe Stimmen sollten das erste Paar spielten und sich umschlingen." Die männliche Hauptrolle sollte also sehr hoch singen, aber trotzdem von einem Mann verkörpert werden.

Eine Mischung aus männlicher und weiblicher Stimme?

Im Film "Farinelli" wird die Kastratenstimme mit einem Trick erzeugt: Ein Sänger und eine Sängerin haben die Partien eingesungen, am Computer werden beide Stimmen zu einer neuen gemischt. Ein Mix aus Männer- und Frauenstimme also. Doch wie haben die Kastraten der Barockzeit wirklich geklungen? Zumindest erahnen können wir das durch Tonaufnahmen von Alessandro Moreschi, der 1922 in Rom starb. Er war päpstlicher Sänger der Sixtinischen Kapelle und einer der letzten Kastraten.

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Alessandro Moreschi sings Ave Maria (no scratch)

Kastraten waren im 18. Jahrhundert die Stars der Bühne. Sie wurden gefeiert, angehimmelt und sehr gut bezahlt. Doch es gab auch eine traurige Kehrseite. Davon erzählt der Kastrat Filippo Balatri in seinen autobiografischen Zeugnissen. Vor allem die Zeugungsunfähigkeit war eine starke psychische Belastung für ihn. "Für die Kirche war Heirat zur Zeugung von Kindern gedacht. Und da die Kastraten das offiziell nicht konnten, durften sie auch nicht heiraten", erklärt mir Corinna Herr. Auf der Bühne wurden sie vergöttert, im Privatleben sozial ausgegrenzt. "Diese Dichotomie muss man erst mal aushalten."

Wissens-Podcast "KOSMOS MUSIK - Was war das Geheimnis der Kastraten?" Hören Sie hier die komplette Podcast-Folge.

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