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Kritik - "Fidelio" an der Staatsoper Berlin Oper als gediegener Seminarabend

Zusammen sind sie zufällig genau 300 Jahre alt, und alle haben eindrucksvolle Weltkarrieren hinter sich: Dirigent Daniel Barenboim, Intendant Jürgen Flimm, Regisseur Harry Kupfer und der finnische Bass-Sänger Matti Salminen. Was für ein Veteranentreffen!

Szenenbild aus Beethovens "Fidelio" an der Berliner Staatsoper | Bildquelle: © Bernd Uhlig

Bildquelle: © Bernd Uhlig

In dieser Kombination werden sie nie wieder für eine Produktion verantwortlich sein, denn Matti Salminen hat bereits angekündigt, dass dieser "Fidelio" seine letzte Premiere war. Es war also klar, dass dieser Abend an der Berliner Staatsoper vor allem eine große künstlerische Bilanz sein würde, eine Bilanz von Männern mit einer staunenswerten Lebensleistung. 

Demut vor dem grossen Werk

Und wie das so ist mit dem Alter: Auch die, die früher keck und experimentierfreudig waren, werden mit den Jahren demütig und respektvoll, wenn es um die großen Werke der Opernliteratur geht. Entsprechend melancholisch stimmte der Abend. Regisseur Harry Kupfer, inzwischen 81 Jahre alt, verlegte den "Fidelio" in den berühmten Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Fernsehzuschauer kennen ihn ja vom Neujahrskonzert. Ein Dozent versammelt seine Studenten um sich, sie alle haben Beethovens "Fidelio"-Partitur in der Hand und improvisieren die Oper. 

Flügel auf der Bühne

Auf den ersten Taktschlag fällt der prächtige Prospekt vom Musikvereinssaal in sich zusammen und gibt den Blick frei auf einen düsteren Kerker. Die Wände sind mit Inschriften der Gefangenen übersät, auf der Bühne steht überraschenderweise ein Konzertflügel, darauf steht eine Beethoven-Büste - alles sehr gravitätisch. Am Ende, wenn die Not ausgestanden und der verzweifelte Staatsgefangene Florestan vor der Hinrichtung bewahrt ist, also rechtzeitig zum Happy End, prunkt wieder das Bild vom Musikvereinssaal hinter dem Chor. 

Salbungsvolle Heldenverehrung

Das Ganze wirkt über knapp drei Stunden wie ein Oratorium, sehr staatstragend, sehr feierlich, etwas langweilig - und tatsächlich wird Beethoven ja bis heute vorgeworfen, sein "Fidelio" sei gar keine richtige Oper. Alles Quatsch, meint dazu Harry Kupfer, richtig sei vielmehr, dass sich Beethoven um die zu seiner Zeit geltenden Gesetze der Oper nicht geschert habe. Wie auch immer: Dieser "Fidelio" wirkte wie eine ungemein salbungsvolle Heldenverehrung. Daniel Barenboim stand im Schlussapplaus so unbewegt wie ein Denkmal seiner selbst inmitten der traditionsreichen Staatskapelle, die er zuvor mit größtmöglicher Breite geführt hatte, mehr Zeremonienmeister als Antreiber. Intendant Jürgen Flimm hatte alle Hände voll zu tun, freundlichst mit dem anwesenden Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu plaudern. 

Pflichtschuldiger Applaus

Das Berliner Kultur-Establishment war zum Tag der Deutschen Einheit vollzählig angetreten. Alles also wahrhaft gediegen, verdienstvoll, untadelig. Das Publikum applaudierte pflichtschuldig, aber Ovationen blieben aus. Das lag zweifellos am allzu devoten Regiekonzept: Sicher, "Fidelio" ist nicht nur eine revolutionäre Freiheitsoper, und es müssen auf der Bühne nicht immer tagesaktuelle Zeitbezüge hergestellt werden, aber etwas mehr Furor, etwas mehr Leidenschaft wären von Vorteil gewesen, schließlich war Beethoven selbst ein glühender Anwalt der Humanität, ein Prediger der Utopie, frei nach der Schiller-Ode "Alle Menschen werden Brüder". Gerade diese Utopie ist hierzulande ja gerade höchst gefährdet - ein Thema, das leider verschenkt wurde.

Nachdenklicher Seminarabend

Matti Salminen als Gefängnisaufseher Rocco war in seiner letzten Premieren-Rolle so souverän und unaufgeregt wie immer. Auch Bassbariton-Urgestein Falk Struckmann als Bösewicht Don Pizarro zelebrierte seinen Part gewohnt jovial und robust. Camilla Nylund als Leonore hatte wenig schauspielerische Möglichkeiten, sang jedoch berührend. Der neue österreichische Tenor-Star Andreas Schager als Florestan schmetterte seine Arie mehr frohgemut als verzweifelt, die Kerker-Leiden waren ihm weder anzusehen noch anzuhören. Das gehörte natürlich zum Regiekonzept: Nicht platter Realismus wurde geboten, es war eher ein nachdenklicher Seminarabend über Beethoven. Der Beweis, dass "Fidelio" tatsächlich eine Oper ist, wurde einmal mehr nicht erbracht.

Kommentare (3)

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Sonntag, 16.Oktober, 19:52 Uhr

Peter Zimmermann

Fidelio

Kann ich nur empfehlen. Solchen Orchesterklang hört man kaum. Schon das Quartett im ersten Akt nahm mich endgültig für die Aufführung ein. Das berührte mich sehr. Nie gab es wahreren Gesang als wenn der großartige Salminen sang: Ich bin ja bald des Grabes Beute. Welch ein Augenblick rührt zu Tränen. Einzig eine andere Ouvertüre hätte ich mir gewünscht

Montag, 10.Oktober, 09:00 Uhr

splittgerber

Kritik Fidelio Staatsoper Berlin

Ich hab sie jetzt gesehen und mich hat die das ganz kaum überzeugt oder ich habe es vielleicht auch nicht verstanden. Am Ende wirkte es, als sollte Beethoven wohl nicht nur als "Befreier der (musikalischen) Form" gelten sonder als globaler und gar göttlicher Befreier? Bei aller Verehrung für Beethoven für mich war diese Aufführung wirklich ein langes und leidvolles durchs Dunkel ans Licht. Insofern auch wieder sehr passend. Nur die Schlussszene war dann doch versöhnlich. Also mich hat es nicht überzeugt. Weder die Inszenierung, das Orchester, der Dirigent, noch die Sänger.

Dienstag, 04.Oktober, 22:19 Uhr

ernst horn

Kritik Fidelio Staatsoper Berlin

Da hat anscheinend jemand Beethovens Ideen und seine Musik wichtiger genommen, als den Hype im Feuilleton. Schau ich mir an! Danke für den Tipp!

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