Es war kein Abend der dezenten Zwischentöne: Als lautes und grelles Spektakel inszeniert Regisseur Jens-Daniel Herzog Verdis Oper, bei der alle Klischees bedient werden. Dirigentin Joana Mallwitz lässt die Staatsphilharmonie zur Saisoneröffnung ohrenbetäubend toben und die Sänger schreien bis zur Heiserkeit.
Bildquelle: © Ludwig Olah
Im echten Leben war dieser Don Carlos ein Waschlappen, nämlich kindisch, unentschlossen und etwas irre. Andernfalls hätte er wohl kaum literweise Eiswasser getrunken und einen Diamantring verschluckt. Insofern zeigte Regisseur Jens-Daniel Herzog am Staatstheater Nürnberg einen ziemlich realistischen spanischen Thronfolger, also gerade nicht den Helden, den Friedrich Schiller und später Verdi aus dem früh verstorbenen Mann gemacht haben. Stattdessen ist er hier ein antriebsloser und leicht verwahrloster Intellektueller, so antriebslos, dass er es nicht mal schafft, die Rotwein-Flasche zu öffnen, die unverdrossen neben seinem lindgrünen Club-Sessel steht.
Historisch geht das also völlig in Ordnung, aber taugt das auch zur Oper? Eher nicht, wie sich schnell herausstellt. Was dieser Don Carlos eigentlich will, erschloss sich über dreieinhalb Stunden nicht, dafür wurde um so deutlicher, was Jens-Daniel Herzog mit dem Stück vorhatte, nämlich Krawall zu machen, und zwar so grell und laut wie möglich. In seinem Spanien wird permanent geschrien und geschossen, gemeuchelt und geheuchelt, erstochen und erbrochen. Und das Volk lässt dazu die Konfettikanonen platzen und Luftballons aufsteigen.
Bildquelle: © Ludwig Olah Natürlich verträgt "Don Carlos", diese Oper über Gedankenfreiheit, derbe Aktualisierungen, starke, brutale Bilder. Wenn sie aber so oberflächlich und überfrachtet sind wie in Nürnberg, wird das schnell langweilig und bald ärgerlich. Kein Klischee wird ausgelassen: König Philipp II. lässt wahllos Menschen ermorden, kann aber selber kein Blut sehen. Seine Leibwache schaut grimmig, ist aber feige, wenn´s darauf ankommt. Rodrigo, der Marquis von Posa, trägt als Freiheitskämpfer ständig einen Bombenkoffer mit sich herum. Und damit auch klar wird, dass die Welt sich niemals verbessern wird. Eine kleine Thronfolgerin muss ständig Grausamkeiten ansehen, sie wird traumatisiert, gefühlskalt gemacht, damit sie ihrem künftigen Job gewachsen ist.
Dabei hat sich Jens-Daniel Herzog wohl von dem berühmten Gemälde "Las Meninas", die Hoffräulein, inspirieren lassen, mit dem Diego Velazquez 1656, also hundert Jahre nach Don Carlos, eine fünfjährige Infantin unsterblich gemacht hat. Besucher des Prado in Madrid stehen noch heute tief beeindruckt davor, staunend darüber, wie staatstragend hochadelige Kinder damals in Szene gesetzt wurden. Ausstatter Mathis Neidhardt hatte vier holzgetäfelte Wände entworfen, die jeweils zu düsteren Hallen der Macht zusammengeschoben wurden. Und wenn es mal besonders fies zuging, wurden die blendend weißen Rückseiten sichtbar und Neonröhren von der Decke gelassen. Spanien als Schlachthaus! In diesem wild bewegten Getümmel bekamen alle Mitwirkenden wahre Schreikrämpfe: Verwunderlich, dass am Ende nur Don Carlos total heiser war.
Die derzeit viel gefeierte und preisgekrönte Joana Mallwitz, eigentlich eine behutsame, sorgsam analysierende und ungemein disziplinierte Dirigentin, feuerte die Nürnberger Staatsphilharmonie diesmal zu einem Getöse an, das geradezu schmerzhaft wurde. Keiner der Sänger konnte dabei auch nur ansatzweise charakterliche Tiefe entwickeln, alle waren nur noch Zerrbilder, übrigens auch stimmlich, als ob da jemand die Lautsprecherboxen bis über den Klirrfaktor hinaus aufgedreht hatte. Immerhin: Der Radau passte zur plakativen Optik der Inszenierung.
Bildquelle: © Ludwig Olah Die einzige, die sich wacker behauptete, war die unverwüstliche Emily Newton als Elisabetta: Eine platinblonde, unerschrockene Frau, die sich dem König und Gatten zuliebe eine aufgepolsterte Schürze umbindet, um eine Schwangerschaft vorzutäuschen. Das blieb auch der einzige, zaghafte Lacher des Abends. Der polnische Tenor Tadeusz Szlenkier in der Titelrolle dagegen laserte die Noten fast in die Luft, so scharf und metallisch klang er. Nicolai Karnolsky als König Philipp II. röhrte und donnerte, ohne sich dabei wirklich Respekt zu verschaffen. Bedauerlich, denn eigentlich steht er im Mittelpunkt der Oper, ist seine Zerrissenheit zwischen falsch verstandener Staatsräson und Menschlichkeit doch das Interessanteste an dem Drama. Auch Taras Konoshchenko als Großinquisitor tönte durchdringend, ohne deshalb Furcht und Schrecken zu verbreiten. Martina Dike als Prinzessin Eboli schrie sich die Seele aus dem Leib, was einige Zuschauer als leidenschaftlichen Auftritt beklatschten. Auch insgesamt durchaus freundlicher Beifall, keine Proteste gegen die Regie, aber etliche leere Sitze im Saal.
Musikalische Leitung: Joana Mallwitz
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Mit u.a. Emily Newton, Nicolai Karnolsky, Tadeusz Szlenkier
Mehr Informationen auf der Homepage des Staatstheaters Nürnberg.
Sendung: "Allegro" am 30. September 2019 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (10)
Mittwoch, 09.Oktober, 09:02 Uhr
fristra
Don Carlos Nürnberg
Auf einen Nenner gebracht: Aufführung großartig, zuvorderst das Dirigat von Joana Mallwitz. Kritik bewußt verletzend, beckmesserisch, frauenfeindlich, unwürdig, einfach indiskutabel.
Tipp: SZ lesen, Brembeck kanns unendlich viel besser
Donnerstag, 03.Oktober, 14:23 Uhr
Caroline Kuhlmann
Don Carlos in Nürnberg
Ich fand die Inszenierung, die Sänger, die gesamte Aufführung am Premierenabend über alle Maßen atemberaubend gelungen!
Donnerstag, 03.Oktober, 13:58 Uhr
Lampart
Eckhard Stein, das kann gerne als Rundumschlag gesehen werden. Leider werden Opernbesucher seit etlichen Jahren in nicht wenigen Inszenierungen an diversen Theatern mit aufdringlichen Videoeinblendungen und anderen optischen Ablenkungen traktiert. Der Mensch ist nun mal ein "Augenwesen" und kann nicht anders, als optischen Eindrücken zu folgen, nur leider wird er dadurch von der Musik abgelenkt, ohne es zu wollen. In der Münchner Inszenierung von "Simone Boccanegra" steht während des ersten Aktes ein Auto auf der Bühne, mit permanent eingeschalteter Warnblinkanlage, das STÖRT einfach, am besten schließt man die Augen.
Man könnte noch zahlreiche Beispiele aufführen, Fazit ist, mit der Oper geht es den Bach runter. Mittlerweile scheut man nicht mal davor zurück, "Techno-Musik" "einzustreuen", so geschehen in "Sizilianische Vesper". Ich hätte die Aufführung sofort unter Protest verlassen, am Radio dachte ich an eine Störung der Übertragung.
Mittwoch, 02.Oktober, 04:21 Uhr
Eckhard Stein - Seifer
Don Carlos
Lampart - Sie beschreiben „hässliche Inszenierungen“! In diesem Fall geht es nur um eine, die neue Don Carlos Inszenierung in Nürnberg. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie hier zu einem Rundumschlag ausholen? Vielleicht sogar ohne die neue Inszenierung gesehen zu haben? Es gab hervorragend herausgearbeitete Personenregie, gute bis hervorragende Gesangsleistungen, ein Orchester, das zugegeben manchmal laut war, aber im Kontext mit Handlung und Regie und deshalb stimmig. Und es gab Anregungen zum nachdenken und diskutieren - wie man ja hier auch bemerkt. Und wenn in einem Tulpenbeet mal Löwenzahn blühen sollte, stört mich das gar nicht - um zum Blumenvergleich zurückzukommen. Wäre ja vielleicht sogar ein farblicher Kontrast. Und nach zwei Jahren oder später würde ich immer noch vom „Tulpenbeet mit dem Löwenzahn“ reden, das ganz normale Beet würde schlicht und einfach in der Masse der „nur schönen“ Beete untergehen.
Dienstag, 01.Oktober, 19:18 Uhr
Klowat, Antje
Kritik
Natürlich schreibt hier sicher ein kompetenter Journalist, den es mir nicht zusteht an der Stelle kritisieren zu wollen. Ich möchte nur aus meiner Sicht als Literatur- u Theaterliebhaberin verdeutlichen, dass Interpretationen einer Opernaufführung auch Geschmack sind und der Blick darauf auch immer aus der eigenen Erfahrungswelt beruht, gepaart von externen Einflüssen. Diese Inszenierung fand ich zumindest sehr gelungen, da einzelne Rollen faszinierende emphatische Details enthielten und der Regisseur mit besonders klugen Inszenierungseinfällen, dieser Oper auch einen aktuell politischen Hauch verlieh, der die Zuschauer zum Denken animiert und das schon allein erfordert Beifall.
Es verdient Würdigung und einen Blick auf die Komplexität des Werkes, so auch des Zusammenspiels von Regie, Maske, Kostüm,Regie, Bewegung, gesanglichen Fähigkeiten und Dramaturgie. Mir fehlte bei dieser Kritik die Fragen nach dem Wie u Warum der Fülle an den großartigen kleinen Dingen, die wertvoll sind.
Montag, 30.September, 22:56 Uhr
Krisztina horvath
Don carlos
Interessant. Mal was anders
Montag, 30.September, 22:49 Uhr
Lampart
hässliche Inszenierungen
Opernbesuch ist eine Freizeitbeschäftigung, demzufolge soll er Freude bereiten. Wenn ich eine Gartenschau besuche, möchte ich auch schöne Blüten sehen und keine verwelkten oder Komposthaufen. Bei derart hässlichen Inszenierungen (warum bitte soll man sich das als Zuschauer antun?) bleibt man am besten zuhause und hört sich die Musik im Radio an.
Montag, 30.September, 13:10 Uhr
Peter Müller
Don Carlos - Nürnberg
Ich kann dem Rezensent zustimmen. Ein wirklich lauter, greller wie oberflächlicher Abend. Warum nur muss der Regisseur noch eins draufsetzen, dazu billig und plakativ. Das Orchester viel zu laut, vor allem die Bläser, mit etlichen technischen Unsicherheiten dazu. Der Sänger des Rodrigos hätte erwähnt werden müssen! Sein Schicksal scheint es zu sein, ähnlich wie im vorzüglichen Lohengrin, immer herausgetragen zu werden....
Keine Empfehlung für weitere Besuche im Freundes-wie Bekanntenkreis.
Montag, 30.September, 10:45 Uhr
Stein - Seifer
Eckhard
Die Kritik ist ebenso zwiespältig wie die Aufführung selbst. So war es nun mal: Im Spanien Phillip‘s II. wurde gemeuchelt, gefoltert, erstochen, erschossen, vergewaltigt und wahrscheinlich auch erbrochen. Wie deutlich man das zeigen muss, ist manchmal allerdings eine Frage des Geschmacks. Dazu passend die von Ihnen kritisierte, aber teilweise angemessene, Lautstärke des Orchesters. Ich habe keinen „röhrenden“, sondern überforderten Phillip und einen - von Beginn an - stimmlich angeschlagenen Don Carlos erlebt, aber auch einen hervorragend singenden - vom Publikum gefeierten -Rodrigo, der leider bei Ihnen gar nicht vorkam. Mit Frau Newton’s Leistung die beste des Abends. Ihrer Eboli (und versteckter Publikums-) Kritik kann ich nur zustimmen. Übrigens: Wenn Sie mehrere - und nicht nur „zaghafte“ - Lacher erwarten, empfehle ich Ihnen die Produktion der „PIRATES“ im kommenden Jahr. Oper kann (und muss!!) nicht immer schön sein. Sie darf auch aufrütteln - szenisch wie akustisch!
Montag, 30.September, 08:18 Uhr
Hartmut Pablo Günther
Don Carlos in Nürnberg
Danke für diese Kritik - weise in meiner "Zeitung für die elegante Welt" ab sofort darauf hin: https://elegantewelt.de/index.php#1
Ihr treuer Hörer PabloSaster