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Kritik – Wagners "Meistersinger von Nürnberg" in Berlin Vexierbild zum Mitraten

Hans Sachs ist an der Deutschen Oper überraschenderweise ohne Schuhe unterwegs und rät zu Massagen und Yoga. Das überzeugte das Publikum dieser "Meistersinger"-Premiere nicht vollends. Das Team um Regisseur Jossi Wieler hinterließ mit intellektuellen "Pirouetten" Fragezeichen.

Meistersinger von Nürnberg | Bildquelle: Thomas Aurin/ Deutsche Oper Berlin

Bildquelle: Thomas Aurin/ Deutsche Oper Berlin

Ein Schuster, der selbst grundsätzlich barfuß unterwegs ist und allen anderen erst mal eine Fußreflexzonen-Massage und orthopädische Lockerungsübungen verpasst, statt ordentliche Schuhe, der dürfte es auf dem freien Markt schwer haben. Also hat sich dieser Hans Sachs mehr oder weniger vom Geschäft verabschiedet und sich als Musikprofessor für Schlagzeug an einer Musikhochschule engagieren lassen. Den Fotos im Programmheft nach zu urteilen ist es die Münchner, wo bekanntlich früher mal die Nazis ihre Parteizentrale hatten.

Referenz an den Fall Siegrfried Mauser

Die düsteren holzgetäfelten Säle sehen nicht sonderlich anheimelnd aus und die Herren Meistersinger haben sich hinter grauen Bürotüren verschanzt. Was sie dort so alles treiben, lässt sich erahnen, nicht erst seit den diversen Missbrauchs-Skandalen. Macht wird eben auch in der Kunst gelegentlich rigoros ausgenutzt. Der Fall Siegfried Mauser ist nicht nur in München noch in "schlechtester" Erinnerung. Dass der Berliner Hans Sachs dem Münchner Klavier-Professor, der jetzt in Österreich wegen sexueller Nötigung einsitzt, so verdächtig ähnlich sah, sei nur nebenbei erwähnt.

Das Regieteam aus Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito deutet nicht nur an, dass hier rund um Hans Sachs jede Menge Körpersäfte ausgetauscht werden, freiwillig wie unfreiwillig. Und der augenscheinlich so leutselige Barfuß- und Yoga-Fan selbst erweist sich am Ende als übler Volks-Erreger und Populist mit einem Hang zur Deutschtümelei. Dafür gab es ein wildes Durcheinander aus Protest- und Bravorufen.

Kommentar zur krisengeschüttelten Musikausblidung

Klar, die "Meistersinger von Nürnberg", uraufgeführt in München, sind sehr widersprüchlich, wie auch im Programmheft zu lesen war. Dort haben sich übrigens vier Komponisten den Spaß gemacht, Gutachten über Walther von Stolzing zu schreiben, der ja als verarmter Ritter in diesem Musikdrama nicht nur umschwärmter Tenor und Liebhaber ist, sondern auch die Aufnahmeprüfung zum Meistersinger absolviert und nur durch öffentliche Zustimmung besteht.

Die (echten) Komponisten rieten allesamt von der Aufnahme an der Uni ab, weil sich Wagners Held auf "Hobbygärtner-Tonarten" beschränke und nur zusammenhanglose Phrasen dresche. Kein Wunder, dass der Mann mit seiner Braut Eva nichts Besseres zu tun hat, als schleunigst die Bühne auf Nimmerwiedersehen zu verlassen, wohl ahnend, dass er an diesem merkwürdigen Konservatorium nicht glücklich würde. Ja, diese Inszenierung lässt sich als Kommentar zur krisengeschüttelten Musikausbildung lesen, zu Allmachtsphantasien von Professoren und opportunistischen Studenten, die vor allem am eigenen Vergnügen interessiert sind. Natürlich ist es auch eine Abrechnung mit Richard Wagners rechtslastiger Kunstreligion. Allerdings drehte das Regieteam ein paar intellektuelle Pirouetten zu viel, manches blieb konfus, womöglich mit Absicht, denn die Widersprüchlichkeit scheint dramaturgisches Konzept gewesen zu sein.

Dirigent Markus Stenz bewährt sich als Einspringer

Warum ausgerechnet Gesundheitslatschen aus Plastik verteilt werden, blieb ebenso fraglich, wie ein unvermittelter Gewittersturm ohne nennenswerte Schäden und ein Hans Sachs, der als Schlagzeuger arg "softig" daher kam. Immerhin: Ungewöhnlich und anspielungsreich waren diese "Meistersinger" auf jeden Fall, fast schon ein Vexierbild zum Mitraten.

Dirigent Markus Stenz bekam völlig zu Unrecht ein paar vernehmliche Buh-Rufe. Einerseits war er kurzfristig für den erkrankten Donald Runnicles eingesprungen, andererseits sorgte er für eine sängerfreundliche Lautstärke und ordentlich Tempo. Dass die Ouvertüre nicht besonders ausbalanciert klang und hier und da mal die Bläser zu scharf gerieten, wird an den kurzen Proben gelegen haben.

Nicht ale Sänger*innen überzeugen

Der dänische Bariton Johan Reuter in der Titelrolle bewies stimmliches Format und größte schauspielerische Präsenz. Dass er so lange Passagen weit hinten auf der Bühne zu absolvieren hatte, war enorm kräftezehrend. Bayreuth-Star Klaus Florian Vogt begeisterte als Walther von Stolzing, allerdings mit leicht angerauter Stimme, die Amerikanerin Heidi Stober als Eva neigte für diese Rolle etwas zum Überspielen oder Over-Acting - so extrovertiert ist Wagners Heldin eigentlich nicht.

Insgesamt jederzeit unterhaltsame "Meistersinger" für Mitdenker, Mitdiskutanten und Mitstreiter. Neulinge unter den Zuschauern dürften mit manchem Fragezeichen nach Hause gegangen sein. Allerdings nicht barfuß.

Sendung: "Allegro" am 13. Juni ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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