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Kritik - Jonas Kaufmann bei den Salzburger Festspielen Liebeslieder und Klatschunterricht

Das Kunstlied hat's schwer: Liederabende, vor 50 Jahren noch eine der populärsten klassischen Konzertformen, verkaufen sich seit langem meist nur schleppend. Völlig anders ist das, wenn Jonas Kaufmann auftritt. Bei den Salzburger Festspielen sang er, begleitet von Helmut Deutsch, romantische Liebeslieder vor ausverkauftem Haus. Liegt ihm das?

Jonas Kaufmann beim Liederabend in Salzburg | Bildquelle: SF / Marco Borrelli

Bildquelle: SF / Marco Borrelli

Die Kritik zum Anhören

Das Große Festspielhaus hat 2.179 Sitzplätze und eine 30 Meter breite Bühne im CinemaScope-Breitwandformat. Ist dieser 900 Quadratmeter umfassende Riesensaal der richtige Ort für geflüsterte Liebesgeständnisse? Ein Liederabend ist etwas Intimes. Schließlich geht es um Lyrik, feinste Zwischentöne und Konzentration ohne Ablenkung. Und leider – aber das ist ein Missverständnis – hat diese Konzertform auch ein leicht elitäres Image. Jonas Kaufmann definiert sie etwas anders. Auf eine unangestrengte und absolut stimmige Weise macht er aus dem Liederabend – in diesem Fall müsste es eigentlich Liedernachmittag heißen – etwas im besten Sinne Populäres. Und das, ohne den Liedern, diesen empfindlichen Gebilden, irgendetwas zuzumuten, was ihnen unangemessen wäre.

Lieder sind keine Miniopern

Zusammen mit seinem langjährigen Liedbegleiter und Berater Helmut Deutsch hat er zwei Programmhälften mit romantischen Liebesliedern zusammengestellt. Die erste Hälfte ist bunt: Von Beethovens "Adelaide" geht es über Schumann, Brahms und Grieg bis Strauss. Nach der Pause gibt es dann ausschließlich Franz Liszt. Dessen Lieder sind relativ wenig bekannt, obwohl er in diesem Genre einige seiner schönsten und inspiriertesten Stücke komponiert hat. Von Opernsängern, die gelegentlich auch mal Liederabende geben, ohne dass sie sich darauf spezialisiert haben (und genau so einer ist Jonas Kaufmann), hört man manchmal die Behauptung, Lieder seien ja eigentlich kleine Miniopern. Das ist natürlich falsch. Opern erzählen Dramen mit verteilten Rollen. In Liedern geht es um etwas völlig anderes: um Lyrik, um Gedichte, nicht um Rollenspiel.

Kaufmann, der Kommunikator

Jonas Kaufmann setzt zwar seine Stimme gelegentlich opernhaft ein – allerdings nur, wenn dies auch von den Komponisten so angelegt ist. Aber er beachtet immer mit feinem Gespür die Grenzen der Gattung. Ganz natürlich steht er da, ohne jeden Anflug von Schauspielerei lässt er Musik und Gedicht für sich sprechen. Und er schöpft seine dynamischen Möglichkeiten voll aus: Mit seinem mächtigen Forte imponiert er gern ein bisschen, was bei diesem Repertoire völlig in Ordnung geht – Liszt schreibt eben extrovertierter und opernnäher als Schubert. Aber Jonas Kaufmann geht auch in ein atemberaubendes Pianissimo zurück – und zwingt das oft ziemlich unruhige Publikum, mucksmäuschenstill zu sein. Was diesem nicht immer ganz gelingt. Als zwischen zwei Liedern Nachzügler geräuschvoll in den Saal kommen, ergreift Kaufmann die Gelegenheit und wendet sich ans Publikum. Er bedankt sich für den vielen Applaus – und bittet darum, doch möglichst nicht nach jedem Lied zu klatschen. Er sagt das sehr wertschätzend, nicht belehrend. Und fast immer geht es dann auch gut. Nur vereinzelt wird von ganz enthusiastischen Fans doch noch mal in den Anfang des nächsten Liedes hineingeklatscht.

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Der Text ist bei Kaufmann mühelos verständlich

Was wirklich schade ist, denn Kaufmann singt nach wie vor sehr kultiviert. Natürlich spürt man ständig, dass diese Stimme eigentlich für die große italienische Oper und die mittelschweren Wagner-Partien gemacht ist. Aber Kaufmann verfügt in der hohen Lage über ein sehr gut gestütztes Piano. Sein Kopfregister klingt körperhaft und natürlich. Gewisse Probleme in der Höhe gibt es allerdings bei mittlerer Lautstärke. Denn dann nimmt er die Bruststimme mit nach oben, was Kraft kostet und nicht immer rund und entspannt klingt.

Der Pianist Helmut Deutsch | Bildquelle: Shirley Suarez Helmut Deutsch ist seit Jahrzehnten einer der gefragtesten Liedbegleiter. | Bildquelle: Shirley Suarez Fantastisch ist die mühelose Textverständlichkeit. Ohne die geringste Konsonantenspuckerei ist auch über die erheblichen Distanzen dieses Riesensaales jedes Wort präsent. Helmut Deutsch am Flügel scheint jede spontane Regung seines Sängers vorauszuahnen – manchmal wirkt es, als würde er schon eine Zehntelsekunde vorher wissen, was der gleich machen wird. Ja, romantische Kunstlieder sind eine der schönsten und emotionalsten Formen, Musik zu machen. Und die Konzentration, die das fordert beim Singen, Spielen und auch beim Hören, wird reich belohnt. Jonas Kaufmann gelingt es auf überzeugende Weise, ein wirklich großes Publikum dafür zu begeistern. Schon allein dafür hat er dessen Jubel verdient.

Sendung: "Allegro" am 8. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Kommentare (2)

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Dienstag, 09.August, 12:31 Uhr

Sigrid besitze Kassetten von Jonas Kaufmann bin be

Herrliche Musik. Opernarien toll. Weihnachtssedung 2021 überwältigend.

Dienstag, 09.August, 10:08 Uhr

Elisabeth Kainz

Liederabend Jonas Kaufmann

Mit großem Interesse habe ich die Kritik von Herrn Neuhoff gelesen, die ich als sehr gelungen empfinde. Endlich schreibt jemand, der offensichtlich etwas vom Gesang und Gesangstechnik versteht. Für mich war der Abend eine „Sternstunde des Liedgesangs“ , und wenn es Kleinigkeiten gab, die nicht perfekt waren, so möchte ich als eine, die selbst diesen Beruf ausübt, bemerken, dass ein Sänger keine Maschine“ ist. Eine Frage hätte ich nur gerne beantwortet, wie kann eine Kritik am 05.08. erscheinen, wo doch der Liederabend erst am 07.07. stattgefunden hat?

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