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Der neue Thomaskantor Andreas Reize "Wer Angst hat, kann nicht singen"

Ein Schweizer – und dann auch noch Katholik. Als Außenseiter ging Andreas Reize ins Rennen um den Posten des Thomaskantors. Aber schon nach dem ersten Probedirigat ist klar: Er bringt wirklich alles mit, was das traditionsreiche Amt verlangt. Im Sommer 2021 wird er der 18. Nachfolger von Johann Sebastian Bach in Leipzig.

Thomaskantor Andreas Reize | Bildquelle: PR

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Für den neuen Thomaskantor Andreas Reize ist mit Blick auf die Tradition des Amtes klar, was an erster Stelle seiner Arbeit mit den Thomanern stehen muss: "Dass ich ihnen mein Herz schenke, und sie mir das ihrige". Nur auf dieser Basis funktioniert für ihn eine Zusammenarbeit. Vertrauen ist die Basis für inspirierende Arbeit: "Wer Angst hat, kann nicht singen."

Kindheit zwischen Orgel und Legokasten

Seine eigene Kindheit verbringt Andreas Reize zwischen Cembalo, Orgel, Legokasten, auf den Wiesen rund um Solothurn und bei den Singknaben der St. Ursenkathedrale. Später studiert er Kirchenmusik, Orgel, Cembalo, Klavier, Chor und Orchesterleitung. Dafür geht er nach Luzern, Bern, Zürich und Graz. Andreas Reize besucht Meisterkurse und begegnet Nikolaus Harnoncourt, der ihn in seiner spontanen und doch so durchdachten Art des Musizierens beeindruckt und beeinflusst.

Bach als große Konstante im Leben

Johann Sebastian Bach, Denkmal vor der Thomaskirche in Leipzig | Bildquelle: picture-alliance/dpa Johann Sebastian Bach war der berühmteste Thomaskantor. Im Sommer 2021 tritt Andreas Reize in seine Fußstapfen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Im Jahr 2001 – gerade mal fünf Jahre nach dem Abitur – gründet Andreas Reize das cantus firmus Vokalensemble und consort, 2006 den cantus firmus Kammerchor. Seit 2006 ist er außerdem Musikdirektor der Oper Schloss Waldegg und bringt dort Barockopern auf die Bühne. Und weil ihm nach wie vor die jungen Musiker am Herzen liegen – ganz besonders die Knaben – beginnt Andreas Reize 2007 als Leiter der Solothurner Singknaben. Neues Repertoire gehört für ihn genauso selbstverständlich dazu wie Bearbeitungen von Pop-Songs und Motetten von Heinrich Schütz und Bach – immer wieder Bach! Dessen Passacaglia c-Moll für Orgel war für Andreas Reize das musikalische Schlüsselerlebnis. Die Düsternis, das Irdische, das über Tonleitern wie auf einer Jakobsleiter ins Himmlische aufsteigt, berührt ihn – so sehr, dass er bereits mit 15 beschließt, Musiker zu werden.

Andreas Reize: Vertrauen ist wichtig

Um das Image der Knabenchöre ist es schlecht bestellt. Es hat ihn den letzten Jahren massiv gelitten. Mehr und mehr kam an die Öffentlichkeit, wie brutal und rücksichtslos mit den Kindern umgegangen wurde: Mit unpädagogischen, despotischen Maßnahmen wie Schlägen oder Beleidigungen versuchten Chorleiter die jungen Sänger zu Höchstleistungen zu bringen – oder besser gesagt – zwingen.

Wer den Bauch verkrampft, kann nicht atmen.
Andreas Reize

Chorleiter Andreas Reize | Bildquelle: Andreas Reize Andreas Reize konnte beim Probedirigat mit den Thomanern überzeugen | Bildquelle: Andreas Reize Die Liebe zur Musik ist für Andreas Reize die treibende Kraft. Herumbrüllen sei nicht förderlich für das Miteinander, sagt er. Trotzdem sieht sich der Familienvater nicht als Ersatz-Papa: "Das sind keine Knaben, die alle mit der Bibel unterm Arm herumlaufen. Die haben auch ihr Leben, ihre Handys, Computerspiele und so. Aber wenn sie in den Chorsaal kommen, dann bleibt das draußen. Da findet mit ihnen eine kleine Veränderung statt!"

Reize plant Experimente mit dem Gewandhausorchester

Die größte Veränderung wird es für Andreas Reize sein, dass er nicht "nur" mit einem Knabenchor arbeiten wird, sondern auch mit einem riesigen Orchester, dem Gewandhausorchester. Eine Herausforderung! Auf den Klang von Chorstimmen und Symphonieorchester freut er sich besonders – und hat schon ein paar Ideen: "Früher war es ja so, dass der Chor vor dem Orchester stand, damit der Klang nicht vom Orchester überrollt wird. Damit möchte ich auch ein wenig experimentieren!"

In Bachs Fußstapfen, aber ohne Pferdewagen

Im kommenden Sommer geht's los. Dann zieht der neue Thomaskantor von der Schweiz nach Leipzig – nicht wie Bach mit einem vollbepackten Pferdewagen, sondern mit einem großen Laster. Eine umfangreiche Notenbibliothek muss mit, viele viele Bücher, ein normales Cembalo, ein Pedalcembalo und ein paar Möbel. Erstmal wird sich Andreas Reize alleine in der sächsischen Fremde eingewöhnen. Dann sollen Frau und Kinder nachkommen.

Sendung: "KlassikPlus" am 4. März 2021 ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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