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150 Jahre "Die Walküre" Happy End – und dann?

Die meisten Standardopern enden wahlweise mit einem dramatischen Tod – oder mit einer romantischen Hochzeit. Was danach kommt, gilt nicht als theatertauglich. Von wegen! Richard Wagner beweist in seiner Oper "Die Walküre" aus "Der Ring des Nibelungen", dass Ehefrust und Kinderstress jede Menge Opernstoff bieten. Vor 150 Jahren erlebte die knapp vierstündige "Walküre" ihre Uraufführung: am 26. Juni 1870 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München.

Peter Nicolai Arbo: "Walküre", 1865. Öl auf Leinwand. | Bildquelle: picture alliance/akg-images

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Der Standard in der Oper sind Dreiecksgeschichten. Es gibt eine Frau, einen Lover und einen Störenfried. Sopran, Tenor, Bass. Der erste Akt Walküre ist eine der stärksten Standardopern, die es gibt. Im Dreieck: Sieglinde, Siegmund, Hunding. Der zu Unrecht verfolgte Held, die schöne Frau, der brutale Fiesling. Crescendo, Durchbruch, Sieg der Liebe. Und ein Ohrwurm: Wonnemond. Unwiderstehlich.

Standardopern enden entweder mit Tod. Dann nennt man sie Tragödie. Oder mit Ehe. Dann spricht man von Komödie. Vorhang. Was danach kommt, darüber schweigen Standardopern vornehm. Weil das, was im wirklichen Leben danach kommt, als nicht theatertauglich gilt. Aber die Walküre ist keine Standardoper. Schließlich warten nach dem ersten Akt noch fast drei Stunden. Und was kommt nach dem Liebesrausch im wirklichen Leben? Nicht selten Ehefrust und Kinderstress.

Ehefrust und Kinderstress

Willkommen im zweiten Akt! Wagner zeigt nämlich nicht nur Keimen und Aufblühen der Liebe, was ja immer schön anzuschauen ist. Er zeigt auch die weniger erfreulichen Folgen. Das macht das Stück so genial. Und diese Folgen werden keineswegs beschönigt. Wotan und Fricka können längst nicht mehr miteinander. Sie können aber erst recht nicht ohne einander: Ein Ehekrieg, so bitter wie aussichtslos.

Psychologisch noch raffinierter ist der dritte Akt. Nach Liebelust und Ehefrust geht es jetzt, folgerichtig, um Erziehungsprobleme. Wotans Lieblingstochter Brünnhilde macht nicht, was der Vater sagt. Weil der nicht sagt, was er wirklich denkt. Wie wahnsinnig gut das beobachtet ist, habe ich erst begriffen, als ich selbst Kinder hatte.

Der schönste Abschied der Operngeschichte

Mit 13, als ich die Walküre zum ersten Mal sah, war für mich der Wonnemond das Highlight. Heute ist es Wotans Abschied, das Gespräch eines Vaters mit seiner Tochter. Heute ist für mich der Gänsehautmoment dieses unglaublich berührende "Leb wohl". Erwachsenwerden, Loslassen: Für mich der schönste Abschied der Operngeschichte. In dieser Musik steckt soviel Traurigkeit und Hoffnung, soviel Menschlichkeit, dass ich Wagners Mythen-Schwulst und seine pseudo-urgermanische Sprache gern erdulde. Weil in dieser Musik in diesem Moment der Geschichte soviel Wahrheit über das Leben steckt.

Und jetzt bin ich gespannt, wie ich die Oper in 30 Jahren hören werde. Ich bin mir sicher, dass ich darin wieder etwas Neues entdecken werde. Über das Stück. Und über mich. Sowas passiert einem nicht mit Standardopern.

Sendung: "Allegro" am 26. Juni 2020 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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