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BR-KLASSIK feiert Beethovens 250. Geburtstag

Einführung mit Igor Levit – Beethovens "Pathétique" Musik, die Schmerzen zufügt

Der erste echte Hit von Beethoven? Eine der berühmtesten Klaviersonaten überhaupt? Sicher, all dies ist die "Pathétique". Aber eben auch ein emotionales und körperliches Ereignis, sagt Igor Levit in seinem Podcast "32 x Beethoven": "Beethoven fügt dir Schmerzen zu, er fügt dem Klavier Schmerzen zu." Levits guter Freund und Gesprächspartner Anselm Cybinski hat hier das Wichtigste über die "Pathétique" zusammengefasst.

Pianist Igor Levit | Bildquelle: © Felix Broede

Bildquelle: © Felix Broede

Die "Pathétique", sein Opus 13, schrieb Ludwig van Beethoven 1798 in Wien, mit Ende zwanzig also. Noch keines der späteren Hauptwerke existierte damals, keine Symphonie, kein Streichquartett. Erst zwei Jahre lag die Veröffentlichung der allerersten drei Sonaten zurück.
Die meisten populären Titel von Beethovens Sonaten, etwa die Bezeichnung "Mondscheinsonate", stammen nicht vom Meister selbst, sondern von eifrigen Zeitgenossen. Anders die "Pathétique". Beethoven selbst schrieb über die Noten: "Grande Sonate pathétique".

Den Podcast "32 x Beethoven" mit Igor Levit und Anselm Cybinski finden Sie hier – jede Folge behandelt eine Klaviersonate.

Beherrschte Gefühle

Beethoven betont damit auch, dass es sich um ein Einzelwerk handelt. Im Unterschied etwa zu den Sonaten op. 2 oder op. 10 gehört die "Pathétique" nicht zu einer Dreiergruppe, sondern soll ganz für sich allein wirken. Erst einige Jahre später, von der "Waldsteinsonate" an, wird Beethoven ganz auf die Gruppierung mehrerer Sonaten unter einer Opus-Nummer verzichten. Die Bezeichnung "Pathétique" dagegen verweist auf eine sehr konkrete Idee, ein klar umrissenes Konzept – das heute leicht missverstanden werden kann: "Pathetisch" meint hier nämlich gerade nicht, dass heftigste Seelenregungen hemmungslos ausgelebt werden, sondern im Gegenteil deren Beherrschung.

DAS WICHTIGSTE IM ÜBERBLICK

Klaviersonate Nr. 8 c-moll, op. 13 "Pathétique"
Entstehung: 1798
Sätze: 1. Grave – Allegro di molto e con brio, 2. Adagio cantabile, 3. Rondo Allego
Der Clou: Im ersten Satz wird die langsame Einleitung mitten im Allegro mehrmals wieder aufgegriffen.
Der Namensvetter: Auch die Symphonie Nr. 6 von Peter Tschaikowsky heißt "Pathétique".

Beethovens Selbstbild als Willensnatur

Beethoven: Klaviersonate c-Moll, op. 13 "Pathétique" | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Titelblatt der Originalausgabe der "Pathétique" | Bildquelle: picture-alliance / akg-images Ausgedacht hat sich dieses Konzept des "Pathetisch-Erhabenen" der Philosoph Immanuel Kant. Einem größeren Publikum vertraut wurde es durch die Schriften Friedrich Schillers. Gebildete Zeitgenossen haben Beethovens Anspielung darauf zweifellos verstanden. "Das Sinnenwesen muss tief und heftig leiden; Pathos muss da sein, damit das Vernunftwesen seine Unabhängigkeit kund thun und sich handelnd darstellen könne", heißt es in Schillers Schrift "Über das Pathetische". Darin geht es um die Frage, was tragische Literatur und Dramatik ausmacht. Der Grundgedanke ist eminent aufklärerisch: Erst wenn ein Mensch Schmerz und Leiden erfährt und dabei dennoch seinen inneren Kompass bewahrt, zeigt sich seine sittliche Freiheit. Denn nur solche Extremzustände wecken den "erhabenen Widerstand" einer ethisch gefestigten Persönlichkeit. Genau dies entspricht Beethovens Selbstbild als einer Willensnatur, die heroisch allen tragischen Ereignissen trotzt. "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht", schreibt der Komponist am 16. November 1801 an seinen Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler. Es ist die Zeit, in der ihn seine fortschreitende Ertaubung an den Rand der Verzweiflung treibt.

Beethoven sprengt das bis dahin auf dem Instrument Machbare. Seine Gestik hat etwas fast Gewaltsames, das dem Bedrohlichen wirklich in den Rachen zu greifen scheint.
Igor Levit in '32 x Beethoven'

 Levit baut Brücken zu Bach und Tschaikowsky

Fürst Karl von Lichnowsky (1761-1814) - Fotografie eines anonymen Ölgemäldes aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts | Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn Ihm ist die "Pathétique" gewidmet: Fürst Karl von Lichnowsky | Bildquelle: Beethoven-Haus Bonn Wie drückt sich das in der Musik aus? An kleinen Details zeigt sich, wie Beethoven die Intensität des Ausdrucks in seiner "Pathétique" auf eine bisher in der Klaviermusik nicht gekannte Weise steigert. Da gibt es melodische Leidensgesten, wuchtige Klangballungen und extreme Kontraste von Lautstärken, Lagen und Bewegungsformen.
Für Igor Levit geht es dabei immer wieder darum, wie der Pianist seinen eigenen Puls unter Kontrolle behält, wenn er diese extrovertierte Musik zum Klingen bringt. Dabei schlägt er Brücken zu Johann Sebastian Bach oder zu Peter Tschaikowsky. Dessen knapp hundert Jahre später entstandene, eindeutig autobiographische Sechste Symphonie, ebenfalls eine "Pathétique", beginnt nämlich exakt mit jenem seufzenden Motiv aus vier Tönen, das auch hier am Anfang steht – allerdings um einen Halbton abwärts, nach h-Moll versetzt. Beethoven, so lautet Igor Levits These, macht die Klaviersonate erstmals zum Medium sehr persönlicher Aussagen, er lässt die Musik förmlich "Ich" sagen.

 Ganz vorn an der Rampe

Viele Interpreten glaubten, in der "Pathétique" den Durchbruch des "wahren" Beethoven zu erkennen, den Vorboten der "Appassionata" oder der Fünften und der Neunten Symphonie. Es ist allerdings nicht so, dass Momente des Tragischen hier erstmals zur Sprache kämen. Schon das tiefsinnige "Largo e mesto" aus der D-Dur-Sonate op. 10/3 grub sich tief hinein in die Erfahrungswelt der Schwermut, auch dort war unter der klar gefassten musikalischen Form bereits ein Abgrund von Angst und Schmerz zu ahnen. Dennoch ist in Opus 13 plötzlich alles anders: Beethoven greift zur großen theatralischen Geste, er wählt einen hohen Ton und eine laute Stimme. "Er sagt nicht nur, was er leidet, er sagt es auch wirkungsvoll, tritt gleichsam vorn an die Rampe", hat Jürgen Uhde beobachtet, der Autor einer der scharfsinnigsten Bücher über Beethovens Klaviersonaten. Beethoven will verstanden werden. Deshalb verwendet er rhetorische Mittel, die zum großen Teil schon seit der Barockzeit eingesetzt wurden, wenn der Affekt von seelischem Schmerz und innerer Unruhe ausgedrückt werden sollte. Um diese zu finden, lohnt sich ein Blick auf die einzelnen Sätze:

Prinzip des maximalen Kontrasts: der erste Satz

Gemälde, Wien um 1804, von Willibrord Joseph Maehler (1778-1860) | Bildquelle: picture-alliance/dpa Beethoven um 1804, Gemälde von Willibrord Joseph Maehler | Bildquelle: picture-alliance/dpa Vor allem der erste Satz steckt voller Affekte. Sein Grundprinzip ist der maximale Kontrast. Dem immens schnellen, stürmischen "Allegro" ist eine langsame Einleitung vorangestellt, ein "Grave". Hier zieht Beethoven alle Register des Pathetischen. Dabei lehnt er sich an den zeremoniellen Stil der barocken Französischen Ouvertüre an. Am Beginn der Durchführung und kurz vor Schluss des Satzes wird dieses "Grave" verkürzt wieder eingeblendet: Die langsame Einleitung bringt sich wieder in Erinnerung. Beethoven hat dieses Verfahren schon in einem Frühwerk angewendet, der zweiten seiner sogenannten Kurfürsten-Sonaten, entstanden 1783 in Bonn, die er allerdings nicht als gültige Werke zählen ließ. Die Gegenüberstellung der beiden konträren Satztypen innerhalb des größeren Organismus ist ein origineller dramaturgischer Kniff, der dem explosiven schnellen Satz noch zusätzliche innere Dynamik verleiht.

Der langsame Satz: Die Gegenwelt

Eine tröstliche Gegenwelt dazu entwirft der zweite Satz, das "Adagio" in As-Dur. Seine Melodie ist eine der großen Eingebungen des frühen Beethoven. Dieses innige Lied ohne Worte ist so rein und klar, dass es keine echte Entwicklung braucht, sondern vielmehr nach entspanntem Verweilen zu verlangen scheint. Johannes Brahms hat das Thema in seiner frühen f-Moll-Sonate op. 5 fast wörtlich zitiert. Auch Billy Joel – ein Künstler, den Igor Levit sehr bewundert – hat es aufgegriffen: Der Refrain seines Songs "This Night" aus dem Jahr 1982 verwendet Beethovens Melodie.

Das Finale: Kompromisslos tragisch

Das Hauptthema des Final-Rondos ist verwandt mit dem Seitenthema des ersten Satzes, und es nimmt auch dessen c-Moll-Unruhe wieder auf. Die theatralische Geste ist einem sehr viel maßvolleren Auftritt gewichen, könnte man meinen. Doch sind die Kräfte zum Ausgleich gebracht? Wohl kaum: Beethoven gewährt keinerlei Aufhellung nach Dur. Der utopische Schluss der Fünften Symphonie in strahlendem C-Dur ist noch in weiterer Ferne. Die tragische Vehemenz der letzten Takte ist kompromisslos. Für Igor Levit ist die ungeheure Kraft dieser Musik, ihre physische Energie, eine Form von komponierter Gewalt: "Diese Musik ist zu nah, zu schmerzhaft, zu langsam, zu schnell" – und gewinnt gerade aus dieser "fast übergriffigen" Intensität ihre Faszination.

Sendung: "32 x Beethoven" am 25. Februar 2020, 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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