Manchmal lohnt es sich, nicht aufzugeben und etwas, was einem wichtig ist, wieder und wieder zu versuchen, bis es endlich gelingt. Und wenn man 20 Jahre dafür braucht, wie Johannes Brahms für seine 1. Symphonie. Maila von Haussen unterhielt sich 2007 mit Maestro Mariss Jansons über dieses Starke Stück.
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Die Sendung zum Anhören
Johannes Brahms war gerade mal 20 Jahre alt, scheu und sehr selbstkritisch, als Robert Schumann ihn in seinem Artikel "Neue Bahnen" als kommendes Musikgenie anpries. Schumann empfand Brahms' Klaviersonaten als "verschleierte Symphonien" und prophezeite. "Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen im Chor und Orchester ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbare Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor". Schumann sollte Recht behalten, auch wenn er die 1. Symphonie, die Brahms über 20 Jahre später fertig komponiert hatte, nicht mehr selbst erleben konnte.
Mit Brahms' Erster habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht, danach wurde ich in die Dirigierklasse aufgenommen.
Für Mariss Jansons spielte die erste Symphonie von Johannes Brahms eine Schlüsselrolle in seiner Laufbahn als Dirigent, und er blieb bis an sein Lebensende voller Begeisterung für dieses Werk: "Fantastische Musik! Alles an ihr gefällt mir, die Symphonie ist ein Meisterwerk!" Ganz besonders gefiel ihm der zweite Satz: "Das ist so eine tiefe, wunderbare, innige Musik, wie ein lyrisches Gedicht!"
Mit Beethovens Neunter hatte die Gattung Symphonie ihren Höhepunkt erreicht. Wie sollte es weitergehen? Machte es überhaupt noch Sinn, eine Symphonie zu komponieren? Brahms war sich der Problematik bewusst, versuchte es aber dennoch. An Ideen mangelte es ihm nicht. Er komponierte viel – und verwarf alles wieder, teilweise entstanden andere Werke aus den Symphonie-Versuchen, so z.B. das Erste Klavierkonzert. Nach zehn Jahren verließ ihn der Mut, und Brahms schrieb an den befreundeten Dirigenten Herrmann Levi: "Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört!"
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Maestro Mariss Jansons | Bildquelle: BR 1862 komponierte Brahms dann einen Symphoniesatz in c-Moll, dessen leidenschaftliches Kopfthema Clara Schumann und die übrigen Freunde entzückte. Dabei blieb es aber für weitere zehn Jahre. Erst die gelungenen "Haydn-Variationen" mit ihrer schönen und differenzierten Instrumentation ließen den selbstkritischen Komponisten das Symphonie-Projekt wieder angehen. So entstand 1876 endlich ein großangelegtes Finale als Gegengewicht zum bereits vorliegenden Kopfsatz. Beide Sätze erweiterte Brahms um eine langsame Einleitung. Als er auf diese Weise einen Bogen vom Beginn zum Schluss geschaffen hatte, gingen dem Komponisten die beiden Mittelsätze leicht von der Hand, so dass das Werk noch im selben Jahr in Karlsruhe uraufgeführt werden konnte. Die Folgeaufführungen leitete Brahms selbst innerhalb einer Woche in Mannheim und München.
Von der Idee her knüpft Brahms direkt an Beethovens Neunte an. "Durch Kampf von Nacht zum Licht", sagt Mariss Jansons. "So es endet mit einem Jubeln. Doch vorher gibt es Kämpfe und Zweifel." Auch die Tonart c-Moll, bestimmte rhythmisch pointierte Motive und das Hauptthema des letzten Satzes weisen bewusst auf Beethoven.
Brahms' Zeitgenossen erschien die Symphonie wenig neuartig. Sie wirke zu düster und ernst, und die Anhäufung an kompositorischen Schwierigkeiten mache es unmöglich, gleich zu folgen – so hieß es. Doch es gab auch enthusiastische Stimmen, Hans von Bülow nannte das Werk "Beethovens Zehnte". Mariss Jansons sieht darin Brahms' Verdienst, die Möglichkeit geschaffen zu haben, auch nach Beethoven noch Symphonien zu schreiben. "Auch, wenn dieses Werk in gewissem Sinne eine Fortsetzung von Beethoven ist: Ich fühle, das ist ein echter Brahms. Die Gattung der Symphonie geht mit ihm weiter."
Johannes Brahms:
Symphonie Nr. 1 c-Moll, op. 68
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mariss Jansons
Sendung: "Das starke Stück" am 06. Dezember 2022, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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