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BR-Klassik vergibt 2023/2024 einen Operetten-Frosch Der Frosch geht an die Staatsoperette Dresden für "Clivia"

Der BR-KLASSIK - "Operetten-Frosch" 2023/24 geht an die Staatsoperette Dresden für "Clivia". Inszeniert von Peter Lund.

Steckbrief

"Clivia" an der Staatsoperette Dresden- inszeniert von Peter Lund

Los geht´s
... mit Kinosound aus dem Orchestergraben und einem Filmvorspann im Ufa-Stil, bis man bei Dreharbeiten im südamerikanischen Dschungel landet, wo gerade ein Revolver-Duell im Tango-Takt und mit Filmklappen als Kastagnetten getanzt wird.

Aha-Effekt:
Wie Regisseur Peter Lund die im Libretto angelegten Motive zu Ende denkt, die Texte deshalb behutsam und doch pointiert verändert und so die durchaus hanebüchene Geschichte von Clivia plausibel macht. Fast alle Liebesduette sind Teil der schon bei Dostal vorhandenen Dreharbeiten, werden ästhetisch überhöht und durch die Realität immer wieder gebrochen. Das ist sehr komisch und sehr menschlich - so wenn Clivia mitten in einer Liebesszene anfängt, Rühreier zu kochen. Und die sind auch noch echt! Und echt sind hier auch die bei Dostal als typische Revue-Girls in kurzen Hosen aufmarschierenden Amazonen, denn bei Lund sind sie echte Partisaninnen, die mit Maschinengewehren für die Sache der Revolution kämpfen. So wie ihre Anführerin Jola Sanchez, die im Gegensatz zu ihrem Rollentyp und zum Genre, die Revolution bis zum Schluss ernst nimmt. Franziska Becker spielt das absolut überzeugend, ganz und gar unoperettig und etabliert so die realistische, politische Ebene des Stücks. Denn Boliguay ist bei Lund mehr als ein fiktiver Operettenstaat, sondern eine reale sozialistische Utopie, die sich gegen den amerikanischen Imperialismus in Gestalt des Filmproduzenten Potterton wehren muss, von Markus Liske nonchalant verkörpert.

Urkunde "Clivia", Staatsoperette Dresden | Bildquelle: © BR-Klassik Operetten-Boulevard Bildquelle: © BR-Klassik Operetten-Boulevard

Stilsicher:
Wie die andere Ebene des Stücks, die Liebesgeschichte zwischen dem Filmstar und dem Gaucho in aller revuehaften Opulenz ausgekostet wird.  Nicht nur Dostals Musik beschwört sie herauf, auch der Bühnenbilddschungel von Jürgen Franz Kirner und die großartigen 30er-Jahre Kostümen von Daria Kornysheva tun das - eine wahre Augenweide!  Nicht minder stilsicher die Darsteller:  Gero Wendorf gibt den Latin Lover mit Schmelz in der Stimme, hin und her gerissen zwischen der Revolution, deren Anführer er ist, und seinem Traum, selbst Filmstar zu werden, bis er an Clivias Wechsel von echten und falschen Gefühlen fast kirre wird. Dieses Wechselspiel beherrscht Steffi Lehmann meisterhaft. Nicht nur kocht sie ähnlich handfest wie Marlene Dietrich, sondern sie tanzt mit ihrem Gaucho auch wie Ginger mit Fred, gibt das kesse Cowgirl im Marikka-Rökk-Revuebild genauso überzeugend wie die große Diva, wenn sie wie Zarah Leander ihre Gefühle mit allem Chorbombast zelebriert.

Überraschend:
… wie gut diese Zitate aus Ufa-Filmen die historische Dimension eines Werks wie Clivia geschickt ins Spiel bringen, kann es doch seine Entstehungszeit nicht verleugnen, auch wenn es noch so unpolitisch daherkommt. Auch die Figur der Clivia selbst wird so als typisch unpolitische Künstlerin sehr konkret. Sie findet am Ende als Generalsgattin weniger ihre neue Liebe, geschweige denn ihre politische Mission, sondern ihre neue Rolle - als Evita: „Weint nicht um mich Bologuayaner!“ - Eine wunderbare Schlusswendung!

Überragend:
… wie auch die anderen Figuren Profil gewinnen. Allen voran Franziska Becker als taffe Revolutionärin, die am Ende auch noch „Ich bin verliebt singt“ und ihrem Gringo-Reporter Lelio erliegt. Andreas Sauerzapf spielt ihn mit hinreißender Komik und mit Schmäh, ein charmanter Loser mit Gigolo-Charme und tänzerischer Lässigkeit. Am Ende kämpft auch er für die Revolution. Im Gegensatz zu seinen Komikerkollegen Marcus Günzel und Bryan Rothfuss, die sich als hohe Militärchargen vom reichen Potterton gern bestechen lassen und selbst mit einem beinahe brecht’schen Korruptionsballett bestechen.

Überzeugend:
… ist die gesamte Besetzung, die endlich einmal zeigt, was im Ensemble der Staatsoperette steckt. Auch Ballett und Orchester zeigen das. Dirigent Christian Garbosnik schwelgt mit Verve in Dostals Kinopartitur samt Tosca-Zitat und Bart de Clercq lässt seine Revuepuppen elegant und witzig tanzen, oft mit originellen Requisiten wie Schmetterlingen oder aufklappbaren Reisekoffern…

Sei kein Frosch, küss ihn: Das Team vom BR-Klassik Operettenboulevard ist begeistert und gratuliert der Staatsoperette Dresden zu großem Operettenmut!

Musikalische Leitung: Christian Garbosnik
Inszenierung: Peter Lund
Bühne: Jürgen Franz Kirner
Kostüme: Daria Kornysheva
Choreographie: Bart de Clercq

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