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CD - Annika Treutler spielt Klavierwerke von Brahms

Beim ARD-Musikwettbewerb 2014 kam sie nur ins Halbfinale, Karriere gemacht hat die junge Pianistin Annika Treutler dennoch. Sie ist in Konzerthäusern wie der Berliner Philharmonie aufgetreten und mittlerweile Kammermusikpartnerin von bekannten Künstlern wie dem Cellisten Daniel Müller Schott. Nach CDs mit Werken von Schumann und Mendelssohn hat sie gerade ihre dritte Solo-CD veröffentlicht, sie gilt Johannes Brahms.

Der CD-Tipp zum Anhören:

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Wirklich gläubig war er nicht. Aber bibelfest, das war er. Johannes Brahms hatte ein widersprüchliches Verhältnis zur Religion: Protestant durch und durch, zugleich durch und durch skeptisch. Dass er in seinen letzten Jahren nach dem Vorbild von Johann Sebastian Bach eine Reihe von Choralvorspielen für Orgel komponierte, dürfte mit dem Tod seiner geliebten Freundin Clara Schumann zusammenhängen. Es sind kleine Meisterwerke, in denen Brahms eine Form aus dem Barock mit seiner romantischen Gefühlswelt neu belebt.

Fein abgestufte Klangfarben

Ferruccio Busoni hat diese eigentlich für Orgel komponierten Choralvorspiele für Klavier bearbeitet. Was Sinn macht, denn Brahms hat diese Musik ganz sicher am Flügel geschrieben. Die junge Pianistin Annika Treutler hat einige der schönsten ausgewählt und zum roten Faden einer klug zusammengestellten Brahms-CD gemacht. Geschickt vermeidet sie einen dicken, pauschal "orgelnden" Klang. Stattdessen setzt sie auf fein abgestufte Klangfarben und differenzierten Anschlag. Schließlich hat das Klavier keine Register – aber seine ganz eigenen Möglichkeiten, einzelne Stimmen herauszuarbeiten. Hier sind es jene protestantischen Choralmelodien, die der alte Brahms so sehr liebte, ohne an die Botschaft zu glauben.

Heller, leuchtender Klavierton

Es sind Meditationen eines einsam zurückbleibenden, vom Leben Abschied nehmenden Künstlers. Das gilt auch für die Fantasien op. 116. Wenn man diese melancholischen und zugleich betörend klangsinnlichen Miniaturen hört, fühlt man sich in die Intimität von Brahms‘ Salon versetzt. Da sitzt ein korpulenter, kleiner, alter Herr am Flügel, weißbärtig, starken Kaffee trinkend, eingehüllt in den Qualm seiner dicken Havanna, zwischendurch immer wieder vom Flügel ans Stehpult wechselnd. An der Wand hängen ein Bismarck-Relief, eine Beethoven-Büste und eine Kopie von Rafaels Sixtinischer Madonna. "Wiegenlieder meiner Schmerzen" – so nannte Brahms seine späten Klavierstücke. Diese Musik gehört nicht auf die große Bühne, legt es nicht darauf an, mit Virtuosität große Wirkungen zu erzielen. Annika Treutler spielt sie innig und zugleich ganz unsentimental, mit hellem, leuchtendem Klavierton.

Souveräner Überblick

Dass sie auch ihr Virtuosenhandwerk souverän drauf hat, beweist sie in den monumentalen Händel-Variationen. Auch hier bezieht sich Brahms auf die Barockmusik. Aber diesmal nutzt er spieltechnisch alle Möglichkeiten des Klaviers: Vollgriffige Akkorde, weit ausgreifend über die ganze Tastatur, funkelnde Läufe, Überkreuz-Spielen der beiden Hände – da ist was geboten. Annika Treutler behält noch in den vertracktesten Abschnitten souverän die Fäden in der Hand, arbeitet die wichtigen Stimmen raus und verliert sich nie in etüdenhaft leerlaufender Mechanik. Und siehe da: Brahms, der skeptische Melancholiker, konnte manchmal geradezu euphorisch sein.

Annika Treutler spielt Brahms

Johannes Brahms:
Händel-Variationen op. 24
Fantasien op. 116
Choralvorspiele op. 112

Annika Treutler (Klavier)

Label: Hänssler Classic

Sendung: "Leporello" am 15. Juni 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK