Im "Larghetto" aus dem Streichquintett op. 97 klingen manchmal indianische Trommelrhythmen an - abgelauscht den Tänzen der Irokesen im Mittleren Westen Amerikas. Dann wieder fühlt man sich wie in der Prärie, auf endloser Ebene, mit Sicht bis zum Horizont. Und die Melodie zu diesem Satz war überhaupt die erste, die Antonín Dvorák auf seiner Reise nach Amerika einfiel, und die er in seinem "Amerikanischen Skizzenbuch" notierte.
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1892 war der mittlerweile weltberühmte Dvorák nach Amerika aufgebrochen. Die Stelle als Direktor des National Conservatory of Music in New York mit satten 15.000 Dollar jährlich hatte ihn gelockt, aber Dvorák vermisst dort Familie und Heimat. Für die Sommermonate 1893 holt er darum kurzerhand Frau und alle Kinder nach Spillville, Iowa – ein gerade erst von böhmischen und bayerischen Einwanderern gegründetes Dorf mit katholischer Kirche und ca. 30 Indianern. Hier wird tschechisch gesprochen, gekocht und gebetet. Wenn nicht gerade die Irokesen ihre Tänze und Melodien zum Besten geben, denen Dvorák und seine Kinder neugierig lauschen. Ein Sommeridyll.
Keine vier Wochen dauert es an diesem für Dvorák fast magischen Ort, bis das Streichquintett Es-Dur op. 97 fertig wird. Bei der Uraufführung in New York sind alle begeistert, auch in Europa kommt das Quintett gut an. Da wie dort schwärmt man von Dvoráks melodischen Einfällen und rätselt über das originär "Amerikanische" in seinem Stück, in dem Kritiker "Motive aus einer anderen Welt" herauszuhören glauben. Beweisen lässt sich das Originalkolorit bis heute nicht; offensichtlich hingegen ist, dass Dvorák auch als Meister kammermusikalisch weiterhin auf den Spuren von Johannes Brahms wandelt.
Das große Vorbild war Brahms für Dvorák schon lange, spätestens seit der Komposition des Streichsextetts A-Dur von 1879. Zwischen diesem Sextett und dem Es-Dur-Quintett liegen gut zehn Jahre Arbeit und ein hörbar emanzipierter Komponist. Beide Kammermusiken, auch das frühere Sextett, strotzen vor wunderbaren Melodien: "Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle", hatte Brahms schon beim allerersten Blick in Dvoráks Noten erkannt.
Und genau da setzt bei Dvorák auch die Interpretationskunst an: Lieblich müssen sie klingen, zart und ganz natürlich, diese Melodien. Mal lustig-verspielt, mal eingetrübt, verhangen, sehnsüchtig oder elegisch. Dafür braucht es ein eingespieltes Spitzen-Ensemble wie das Jerusalem Quartet und Gäste wie die Bratschistin Veronika Hagen, die nicht protzen und auftrumpfen wollen, sich nicht manieriert in den Vordergrund spielen, sondern Spaß am Dezenten, am Understatement haben. Ein Ensemble, das sich selbst Netz und Boden und Klangteppich sein will, das Lust hat auf die Schönheit in der Einfachheit. Dieses Musikantische ist es, das bei aller kompositorischen Finesse und satztechnischen Vertracktheit am meisten aus Dvoráks Stücken strahlt und oft verzaubert – wenn es so präsentiert, wird wie vom Jerusalem Quartet auf seiner neuen CD.
Streichquintett Es-Dur, op. 97
Streichsextett A-Dur, op. 48
Jerusalem Quartet
Veronika Hagen (Bratsche)
Gary Hoffman (Violoncello)
Label: Harmonia Mundi
Sendung: "Leporello" am 26. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK