BR-KLASSIK

Ein krasser Gegensatz: Die Qualität der Werke von John Browne und Thomas Ashwell ist herausragend, beide sind jedoch nahezu unbekannt. Ihnen und damit der englischen Renaissance widmet das Vokalensemble Graindelavoix seine neuen CD.

Bildquelle: © glossa

Der CD-Tipp zum Nachhören

Die klassische Karriere eines Sänger-Komponisten in vorbarocken Zeiten: Thomas Ashwell begann als Chorknabe an der St. George's Chapel im Schloss Windsor und wurde schließlich 1513 choirmaster an der Kathedrale von Durham. Über sein Leben wissen wir heute fast gar nichts mehr, gerade mal zwei sechsstimmige Messen sind von ihm noch komplett erhalten. Eine davon ist die Missa Ave Maria.

Ätherische Transzendenz

Dieser mehr oder weniger vergessenen Musik hat sich die belgische Ausnahme-Vokalgruppe Graindelavoix um Björn Schmelzer angenommen. Ashwell kreierte mit ausgefeilter kontrapunktischer Technik sehr durchsichtige und lichte Linien. Dafür allerdings eignet sich die typisch raue und ungeschliffene, eben körnige Färbung der Stimmen nur bedingt. Es klingt fast schon zu bodenständig und archaisch, man wünscht sich etwas zügigere Tempi und größere Beweglichkeit. Dennoch, in den besten Momenten gelingt eine ätherische Transzendenz, die ihresgleichen sucht.

Unbekannt und doch bedeutend

Umrahmt wird diese Messe von einem Salve regina und Stabat mater von John Browne. Einem ähnlich unbekannten Komponisten, der enorm flüssige und ganz natürlich wirkende Meisterwerke geschaffen hat. Die sind tatsächlich aber hochkomplex und sorgfältig geplant. Browne wird daher folgerichtig als bedeutendster englischer Komponist zwischen Dunstable und Taverner eingeordnet. Hier nun passt die Ästhetik von Graindelavoix ohne Einschränkungen.

Musik wie diese von Thomas Ashwell und John Browne lässt das abgenutzte Wort vom "Musikarchäologen" ganz lebendig erscheinen - und höchst relevant dazu. Zeugt sie doch vom enormen Reichtum und der herausragenden Qualität einer ganzen Epoche fernab der großen Namen. Und auch der spezielle Ansatz von Graindelavoix bedeutet im Prinzip nichts anderes, als den expressiven Kern der Musik freizulegen. Wer sich darauf einlässt, den erwartet ein bewegendes und berührendes Musikerlebnis.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 30. September 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK