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Wolf Durmashkin Composition Award 2018 Zum Gedenken an Ex-KZ-Orchester

Der Zweite Weltkrieg war gerade zu Ende, da gründeten ehemalige KZ-Häftlinge in St. Ottilien bei Landsberg am Lech das Ex-Concentration Camp Orchestra. Sie spielten in Häftlingsuniformen gegen ihre Traumata an. Im Jahr 1948 kam der junge Leonard Bernstein nach Bayern und dirigierte das Orchester - ein unvergessliches Konzert für Musiker und Zuhörer. Nun soll ein Kompositionswettbewerb an dieses Ereignis erinnern.

Komponist, Dirigent und Pianist Leonard Bernstein als junger Mann an seinem Piano | Bildquelle: picture alliance/AP Photo

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Musik und Holocaust

Bernstein-Gedenkkonzert

Viele der Musiker des damaligen "Ex-Concentration Camp Orchestra" stammten aus Osteuropa, so auch die Schwestern Henia und Fania Durmashkin. Deren Bruder - der Komponist und Dirigent Wolf Durmashkin - war kurz vor Kriegsende im KZ in Estland ermordet worden. Nun trägt ein neuer internationaler Kompositionswettbewerb seinen Namen. Die Landsberger Journalistin Karla Schönebeck und Wolfgang Hauck vom Verein "dieKunstBauStelle" haben ihn zum 70. Jahrestag eines legendären Konzertes in Landsberg ins Leben gerufen: Leonard Bernstein dirigierte und spielte dort am 10. Mai 1948 mit Holocaust-Überlebenden. Zeitzeugen und Nachkommen der Beteiligten erzählen, was ihnen dieses Konzert mit Leonard Bernstein vor 70 Jahren bedeutet hat.

Außerordentliche Begegnung

"Es war wahnsinnig aufregend für sie, an diesem Konzert mitzuwirken. Symbolisch und musikalisch war das ein Meilenstein auf ihrem Lebensweg", sagt Sonia Becker. "Die Begegnung mit Leonard Bernstein war für das ganze Orchester außerordentlich, denn er verkörperte so viele wichtige Dinge: Ein freier, amerikanischer Jude, nie verfolgt, ohne diese schwere Erfahrung, der gerade eine steile Karriere in Amerika begann und in kultureller Mission nach Europa kam, um jüdische Musiker zu treffen, die überlebt hatten."
Sonia Beker ist die Tochter der Pianistin Fania Durmashkin und des Geigers Max Beker. Beide spielten im Ex-Concentration Camp Orchestra. Ihre Eltern wollten nach der Emigration in die USA nie wieder nach Deutschland zurückkehren. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, doch über die zwei Konzerte mit Leonard Bernstein in Landsberg berichtete Fania Durmashkin immer wieder gerne.

Die Begegnung mit Leonard Bernstein war für das ganze Orchester außerordentlich.
Sonia Beker, Tochter zweier Orchestermitglieder

Fast verdrängte Erinnerung

Anders als der ungarische Cellist George Horvath, erzählt dessen Tochter Janet:
"Als meine Mutter 2008 starb, versuchte ich, meinen Vater durch Gespräche über sein Cellospiel etwas aufzuheitern. Er hatte vor dem Krieg im Budapester Sinfonieorchester unter den größten Dirigenten der Zeit gespielt: Klemperer, Beecham, Barbirolli, Toscanini, und ich fragte ihn so nebenbei, ob er eigentlich auch mal unter Leonard Bernstein gespielt hätte. Da ist er beinahe ohnmächtig geworden und rief dann plötzlich: 'Ja, ich habe im Displaced Persons Camp gespielt, in dem jüdischen Orchester, und 1948 hat Leonard Bernstein uns dirigiert – wir haben die 'Rhapsody in Blue' gespielt – und es war einfach fantastisch, und wie er sich mit mir unterhalten hat!' Das war das erste Mal, dass ich davon erfahren habe."

Vision einer besseren Zukunft

Die beiden Konzerte des 29-jährigen Bernstein in Landsberg sind nach wie vor eine ziemlich unbekannte Episode. Zufällig entdeckt von der Landsberger Journalistin Karla Schönebeck: Bei der Durchsicht einer Lagerzeitung von 1948 war ihr eine Konzertankündigung für den 10. Mai in Landsberg aufgefallen: Leonard Bernstein dirigiert das Ex-Concentration Camp Orchestra. "Die Juden haben hier im Land der Täter, der Mörder darauf gewartet, das Land zu verlassen", sagt Karla Schönebeck. "Man wollte sie eigentlich nirgendwo. Also hat man mit Flüchtlingsorganisationen jüdisches Leben hier neu errichtet.  Das bezog sich nicht nur auf Bildung, sondern eben auch auf Musik."

Was diese Konzerte für die Überlebenden bedeuteten, welche Hoffnung sie ihnen gaben, berichtet Deborah Filler, die Tochter des damals 19-jährigen jüdischen Lagerpolizisten Schaja Filler. "Mein Vater liebte Musik, und als er Leonard Bernstein die 'Rhapsody in Blue' spielen hörte mit diesem Orchester, da hatte er eine Erscheinung, von der er mir immer wieder erzählt hat. Es wurde ihm klar: 'Vielleicht gibt es eine Zukunft für mich, vielleicht kann ich heiraten und eine Familie gründen? Wenn er diese wundervollen Klänge mit seinen Fingern heraufbeschwören kann, dann kann ich vielleicht wieder irgendjemand sein'."

Nun werden also in Erinnerung an dieses Nachkriegs-Ereignis am 10. Mai im Stadttheater Landsberg die Preisträger-Kompositionen des Wolf Durmashkin Composition Award aufgeführt. Dirigent Mark Mast und das Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie spielen neben der "Rhapsodie in Blue" von George Gershwin die Gewinnerstücke "Hayom" von Bracha Bdil, "Mein Schatten" von Rose Miranda Hall und "Vergiß, wer du bist" Otto Wanke.

Sendung: "Allegro" am 9. Mai 2018, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Weitere Informationen unter Wolf Durmashkin Composition Award 2018

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