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Kommentar zu Andris Nelsons' Rückzug aus Bayreuth Keine anderen Götter

In diesem Jahr sollte er in Bayreuth den "Parsifal" dirigieren. Nun hat Andris Nelsons überraschend um die Auflösung seines Vertrags gebeten. Ist diese Absage ein Skandal oder einfach nur normal? Ein Kommentar von BR-KLASSIK-Redakteur Bernhard Neuhoff.

Wagnerbüste in Bayreuth | Bildquelle: imago/Schöning

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Kommentar zum Eklat in Bayreuth

Andris Nelsons schmeißt hin

Auf den ersten Blick ist es der ganz normale Opernwahnsinn. Kurzfristige Absagen vor Premieren sorgen immer wieder mal für Aufregung, besonders gern, aber beileibe nicht nur in Bayreuth. Mal versteht sich eine Anna Netrebko nicht mit einem Hans Neuenfels, mal präsentiert man vor einer "Tristan"-Premiere gleich zweimal eine neue Isolde. So oder so gibt es alle Jahre wieder irgendein Drama auf dem Grünen Hügel. Ist die Absage von Andris Nelsons also bloß Business as usual? Das wäre die zynische Deutung. Denn bei allem Respekt vor den Sängern - bei Wagner entscheidet der Dirigent. Zumal in dieser Produktion. Die ja eigentlich der skandalroutinierte Künstler Jonathan Meese hätte inszenieren sollen. Das ist der Maler, der gern den Hitlergruß macht, und der Sachen sagt, wie: Die letzte starke Inszenierung in Bayreuth sei Hitler gewesen, was allerdings als Performance zu verstehen ist, trotzdem gelegentlich zu Strafanzeigen führt, andererseits… aber egal. Jedenfalls luden die Festspiele Meese schon im November 2014 wieder aus. Man hatte also, verglichen mit der jetzigen Situation, relativ viel Zeit, um für den diesjährigen Parsifal einen Ersatz-Regisseur zu finden. Dessen Profil dann eher solide als aufregend ausfiel: Von Uwe Eric Laufenberg wird routiniertes Theaterhandwerk erwartet.

Nelsons' begeisterndes "Lohengrin"-Debüt

Dirigent Andris Nelsons | Bildquelle: picture-alliance/dpa Andris Nelsons zieht sich vom Grünen Hügel zurück. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Umso wichtiger wird die musikalische Seite. Und umso mehr Glanz erhoffte man sich von Andris Nelsons. Der hatte in Bayreuth 2010 mit dem "Lohengrin" ein begeisterndes Debüt gegeben. Im kongenialen Zusammenspiel mit Hans Neuenfels, der für die fulminante Inszenierung mit den Rattenkostümen verantwortlich war, gelang den Festspielen dank Nelsons endlich mal wieder eine musikalisch wie szenisch gleichermaßen richtungsweisende Produktion. Und dass man von Nelsons einen hinreißenden "Parsifal" zu erwarten hatte, bewies er im Januar 2014, als er mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks konzertant den 3. Akt aufführte, hoch emotional und doch wunderbar transparent.

Grosser Scherbenhaufen

Nelsons, das kann man ganz nüchtern feststellen, gehört zu den fünf begehrtesten Dirigenten der Welt. Und eigentlich soll er 2020 in Bayreuth den "Ring" dirigieren. Die Festspiele stehen diesmal also vor einem besonders großen Scherbenhaufen. Warum? Genau wird man’s, wie in solchen Fällen üblich, wohl nie erfahren. Nelsons schreibt in seiner Presseerklärung nur, es habe unterschiedliche Auffassungen zu verschiedenen Themen gegeben, deshalb habe sich - und hier klingelt’s - die Atmosphäre nicht in einer für alle Parteien angenehmen Weise entwickelt. Man kann das unterschiedlich übersetzen. Die plausibelste Interpretation ist: Man hat ihm reingeredet, und das hat er sich nicht gefallen lassen. Darauf folgt die Frage: wer? Und vor allem: Wer ist mit "Parteien" gemeint? Wer war der Gegner?

Thielemann als Kontrahent?

Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Streit mit Andris Nelsons? - Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa Drei Personen könnten sich, kraft ihres Amtes, herausnehmen, dem Dirigenten zu widersprechen. Das wären: Die Intendantin - in diesem Fall unwahrscheinlich. Katharina Wagner hat null komma null Interesse daran, dass ein Stardirigent hinschmeißt. Dann der Regisseur - ebenfalls unwahrscheinlich. Laufenberg ist ein betriebsgestählter Pragmatiker. Oder der Musikdirektor. Dieses Amt gibt es in Bayreuth erst seit letztem Jahr. Sein Inhaber heißt Christian Thielemann. Gegenüber BR-Klassik sagte er damals, seine Position sei "dazu da, um das Handwerk ein bisschen zu vermitteln. Und um es zu konzentrieren in einer Person." Und genau da scheint das Problem zu liegen. Letztes Jahr gab es ein Zerwürfnis zwischen Thielemann und Kirill Petrenko. Dieses Jahr scheint die Zusammenarbeit zwischen Thielemann und Nelsons, sagen wir es vorsichtig, nicht so harmonisch gelaufen zu sein, wie erhofft.

Offene Fragen

Drei Fragen stellen sich nun. Erstens: Welcher Weltstar hat jetzt Lust, unter der Aufsicht von Musikdirektor Thielemann im Parsifal einzuspringen? Außer Thielemann selbst, versteht sich. Zweitens: Wie ergeht es Marek Janowski, der dieses Jahr den "Ring" von Petrenko übernimmt? Wir sind jedenfalls auf alles gefasst. Letztlich ist ja jeder irgendwie ersetzbar. Und drittens: Duldet Thielemann andere Götter neben sich? Sicher ist: Der ganz normale Opernwahnsinn nimmt seinen Lauf.

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