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Frank Schönenborn zu seinem Wagner-Buch Der Mann, der den ganzen Wagner kennt

"Wagneruniversum": der Titel von Frank Schönenborns Buch ist so umfassend, wie es sein Inhalt verdient: In mehreren Bänden schreibt der Autor über sämtliche Ton- und Bildaufnahmen von Wagners Musikdramen, die es jemals gegeben hat. Bislang gibt es zwei Bände, der im Sommer 2018 erschienene Band zwei nimmt den "Ring des Nibelungen" unter die Lupe.

Das komplette Interview zum Anhören:

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BR-KLASSIK: Sie sind Fluglotse von Beruf und als Hobby sammeln Sie Wagneraufnahmen. Wie kam es dazu?

Frank Schönenborn: Das war ein längerer Weg. Ich war schon von frühester Jugend an ein bisschen mit Klassik geimpft: Meine Mutter hat mich mit Rachmaninow, Schubert und Beethoven gefüttert. Anfang der Neunzigerjahre habe ich angefangen, Opern zu hören. Und dann bin ich sehr schnell bei Wagner gelandet, weil ein guter Freund mir mal den ersten Akt der Walküre gebrannt hat. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen, das hat einen Nerv bei mir getroffen und ich bin nun so nach und nach immer weiter in die Materie 'reingesunken.

Ab und zu die Ohren freimachen

BR-KLASSIK: Tausende von Stunden haben Sie mit Wagners Musik zugebracht. Sie hören jetzt nichts anderes mehr, oder?

Frank Schönenborn: Ab und zu muss ich die Ohren auch mal freimachen. Ich höre sehr viel Wagner, natürlich, aber nicht nur. Im Opernbereich mag ich Strauss gerne, höre aber auch völlig andere Musik: Rockabilly, Psychobilly oder auch ganz einfach Mainstream-Radio. Man kann nicht nur 24 Stunden am Tag Wagner hören, auch wenn ich da durchaus eine gewisse Ausdauer habe.

Mir wurde schnell klar, dass das ein bisschen länger als ein Jahr dauert
Frank Schönenborn zur Arbeit an seinem Buch

BR-KLASSIK: Wann kam Ihnen denn die Idee, Ihren Schatz an gehörten Aufnahmen zu archivieren und die Notizen, die Sie vielleicht bei jedem Hören gemacht haben, auch in einem Buch herauszubringen?

Buchcover: Frank Schönenborn: "Wagneruniversum", Band 2 | Bildquelle: Königshausen & Neumann Frank Schönenborn: Die Notizen waren schon länger da. Ich habe mir halt immer wieder neue Aufnahmen gekauft; Freunde hatten viele schon und man hat sich ausgetauscht – der eine hatte das und der andere hatte jenes. Und dann habe ich angefangen, Notizen zu machen, um mich auch an Sachen erinnern zu können. Der konkrete Beginn, das wirklich noch mehr zu forcieren, war 2011. Damals hing ich noch der Illusion an, dass das in einem Jahr ja gemacht sein würde. Es wurde mir aber schnell klar, dass das ein bisschen länger dauern würde.

Das Knistern wird weggefiltert

BR-KLASSIK: Sie haben auch eine Sammlung von Schellack-Platten. Jetzt Knistern für unsere digital verwöhnten Ohren die Schellackplatten natürlich ganz gewaltig. Worin liegt der Reiz? Ist das die damit verbundene Zeitreise? Denn so ein richtiges Urteil fällen kann man ja eigentlich gar nicht.

Frank Schönenborn: Das sehe ich anders. Man filtert das irgendwann weg. Es gibt eine Aufnahme aus San Francisco unter Fritz Reiner, der zweite Akt des "Tristan"; da hört man selten was, und wenn doch, dann geht die Sonne auf und man brennt dafür. Dann hat man das Gefühl, man hat eine Sternstunde verpasst, weil man nicht in diesem Opernhaus gesessen hat. Das hat schon seinen Reiz.

Es geht darum, die Gesamtheit aller Aufnahmen auch erfassen zu können.
Frank Schönenborn

BR-KLASSIK: Wo bewahren Sie diese Aufnahmen auf? Eine Schellackplatte muss ja auch gehütet und gepflegt werden. Vielleicht braucht sie eine bestimmte Raumtemperatur?

Frank Schönenborn: Die darf halt nur nicht hinfallen; Schellack ist deutlich empfindlicher als Vinyl. Die bewahre ich schon sicher auf, meine Schellack-Schätze. Ansonsten gibt es sehr viele CDs im Keller in Kisten gestapelt, weil ich mir mittlerweile fast alles auf eine Festplatte gezogen habe.

BR-KLASSIK: Nehmen Sie uns mal mit: Sie haben freien Tag und sagen: Heute will ich Kirsten Flagstadt hören, und dann finden Sie die Aufnahmen, setzen sich hin und wissen, was sie erwartet?

Frank Schönenborn: Ja, wobei ich das nicht an Sängern festmache. Das habe ich durchaus gelegentlich, wenn ich mal wieder, um ein Reset zu machen, mir die "Walküre" von Furtwängler von 1954 anhöre und genieße. Aber ich gehe – dadurch, dass ich ja auch fertig werden will – chronologisch vor und höre mir eine Aufnahme nach der nächsten an, teilweise auch sehr viel im Auto. Sonst würde ich das nicht schaffen. Es geht darum, die Gesamtheit aller Aufnahmen auch erfassen zu können.

Neue und alte Aufnahmen miteinander vergleichen

BR-KLASSIK: Das heißt, Sie haben selber auch eine große Festplatte im Hirn. Und können das ad hoc abrufen?

Frank Schönenborn: Einige Sachen haben sich bei mir sehr tief emotional eingebrannt. Das ist meistens auch mit irgendwelchen Situationen verbunden. Und das sind auch Aufnahmen, die ich sehr ins Herz geschlossen habe. Ich habe vieles parat, aber noch lange nicht alles; dafür ist es einfach mittlerweile zu viel.

BR-KLASSIK: Jetzt muss ich mir das noch mal bildlich vorstellen: Sie sitzen dann abends zu Hause, haben ihren Fluglotsen-Alltag hinter sich gebracht und sagen sich: So, heute höre ich mir "Wotans Abschied" an, und zwar von 1954. Ist das so?

Frank Schönenborn: Manchmal ist mir danach, dann mache ich das. Ich höre viele der Aufnahmen im Auto, um meine Familie zu Hause nicht zu sehr zu belästigen. Wenn, dann höre ich ohnehin über Kopfhörer. Und das mache ich immer wieder - einfach, um mir zu vergegenwärtigen, was Gesangsleistungen bedeuten, und auch um diese Interpretationen mit neuen Aufnahmen zu vergleichen. Ich kann nicht immer klar definieren, was mich dann besonders trifft.

Ich weiß nicht, ob es nochmal einen wie Jon Vickers als Tristan geben wird.
Frank Schönenborn

BR-KLASSIK: Sie sind vielleicht die einzige Person auf der Welt, die diese ganzen Aufnahmen tatsächlich gehört hat. Ich versuche mir vorzustellen, was dann bei Ihnen passiert. Wenn Sie eine neue Aufnahme hören und dann wieder zurückspringen in eine alte Einspielung: Hört man die alte dann anders? Alles speichert sich ja irgendwo ab auf irgendeiner dieser vielen "Hirn-Wagner-Festplatten".

Ein großer Wagner-Sänger: der Tenor Jon Vickers | Bildquelle: Royal Opera House Frank Schönenborn: Man ist immer wieder beeindruckt ob der Qualität, die damals schon existiert hat. Nehmen Sie zum Beispiel die "Götterdämmerung" unter Janowski in Bayreuth von 2017. Das ist absolut fantastisch. Der Racheschwur am Ende des zweiten Aufzugs: So etwas ist – ich will nicht sagen, schwieriger zu finden, aber es ist nicht unbedingt mehr geworden mit der Zeit, weil Wagner heutzutage viel häufiger gespielt wird als noch vor 50 Jahren. Die Möglichkeiten sind größer geworden und viel mehr Leute denken, sie müssen Wagner machen. Ich weiß nicht, ob es nochmal einen wie Jon Vickers als Tristan geben wird, in dieser Qualität.

Keine Einsteigerliteratur

BR-KLASSIK: Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben - 600 Seiten Auflistungen von Wagner-Einspielungen?

Frank Schönenborn: Zuerst auf jeden Fall für mich persönlich, weil ich das alles komplett haben möchte. Es ist keine Einsteigerliteratur, das gebe ich zu, wobei ich schon auch sehr viel Feedback von Leuten bekommen habe, die nicht in der Materie sind. Ich möchte auch die Menschen begeistern und sagen: Hey, da ist noch so viel mehr jenseits der offiziellen Aufnahmen, die man normal im Laden auf CD oder DVD kaufen kann. Das ist ein Kosmos, der immer wieder aufs Neue begeistert.

Sendung: "Leporello" am 09. Oktober 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK