Frauen im Männerstreik, ein österreichischer Butler, der an Kalauern leidet und ein amerikanischer Kfz-Milliardär, der wortreich seine "Armut" beklagt: Mit 34 wagte Lehár ein schräges Experiment, das mit Schopenhauer und Wagner angereichert ist.
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Wir wissen ja eigentlich alle, wie sie enden, die Abenteuer und Experimente abseits des Alltags, vor allem die amourösen: Mit Kopfschmerzen. Trotzdem wollen sich immer wieder Leute einen "Jux machen", wie es der Wiener Volkstheaterdichter Johann Nepomuk Nestroy in einem Schwank 1842 ausgedrückt hat, und in der Hauptstadt mal richtig auf die Pauke hauen. Bei Nestroy kehrt der kleine Gewürzladen-Verkäufer reumütig von seiner großen Sause zurück und hat für alle Zeiten genug davon, ein Draufgänger zu sein.
Und die hier viel zitierten Automobile waren um 1900 noch eine reichlich exotische Sache für einige wenige, reiche Spinner. Wenn daher ein amerikanischer Milliardär die Auslieferung seines 20.000 Modells feiert, von Tempo 180 schwärmt und dankbar dafür ist, dass sein einstiger Schwiegersohn im Fahrzeug einer anderen Firma zu Tode kam, dann werden das nicht alle lustig gefunden haben. Trotzdem ist die "Juxheirat" eine Entdeckung wert, und die Musikalische Komödie in Leipzig hat es auf gewohnt professionellem Niveau gewagt.
Die Frauen haben einen Verein gegründet, "Los vom Mann, so laute die Parole", und beim Blick ins Programmheft ist es ihnen nicht zu verübeln: Dort waren Zeitungsanzeigen aus den fünfziger Jahren zu sehen, in denen der Ehemann seine Angetraute doch tatsächlich aufs Knie legt, weil sie nicht in der Lage war, frischen Kaffee zu kaufen. Und der Erwerb einer neuen Krawatte sollte garantieren, dass die Gattin vor Ehrfurcht in die Knie geht.
Gut, alle aufständischen Frauen sind dann doch zum Finale unter der Haube - bis auf eine, die wird Pathologin, damit ihr die "Männer endlich zu Füßen liegen". Etwas mehr Gender-Wahnsinn und ätzendere , aktuellere Kritik an eingeübten Geschlechterrollen hätte die Produktion gewürzt, so war sie doch sehr familientauglich, aber gleichwohl ein zeitgemäßes Vergnügen. Und der Butler aus Österreich klagte immerhin über Menschen, die im Mittelmeer ertrinken und schmelzende Polkappen und ließ damit aufblitzen, dass nicht nur Milliardäre Probleme haben.
Dirigent Tobias Engeli hatte hörbar seinen Spaß an einer Partitur, die wegen der vielen Nummern im Marsch-Rhythmus viel mehr nach einer Berliner als nach einer Wiener Operette klang. Unter den Solisten überzeugten vor allem Michael Raschle als leidgeprüfter Auto-Milliardär, Adam Sanchez als erstaunlich schüchterner Liebhaber, Nora Lentner als zigarrenpaffender Männerschreck, Julia Ebert, die eine verblüffende Metamophose hinlegte, und Lilli Wünscher als Selma. Fazit: Auch Franz Lehár ist nicht als Meister vom Himmel gefallen, aber doch mit viel Fantasie.
Sendung: "Leporello" am 4. Oktober 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK