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Kritik - "Die Frau ohne Schatten" in Hamburg Reichlich überfrachtet

Es ist die wohl exaltierteste Oper von Richard Strauss: In der "Frau ohne Schatten" geht es um einen Gebärstreik, Erotikträume und Männerfantasien. In Hamburg versuchte Andreas Kriegenburg eine Interpretation, die hoffnungslos überfrachtet wirkt - und die Sänger kommen nicht gegen die Lautstärke aus dem Orchestergraben an.

Die Kritik zum Anhören:

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Ganz schön hysterisch geht es in der "Frau ohne Schatten" zu - aber damals war ganz Europa überspannt, ja fiebrig erregt. Richard Strauss schrieb die Musik während des Ersten Weltkriegs, als der Kontinent völlig durchdrehte und der Wahnsinn zur Methode wurde. Entsprechend irre hört sich diese Oper an, und entsprechend verstiegen ist die Handlung um zwei Frauen, die sich weigern, schwanger zu werden: viel Psychoanalyse, eine Prise Traumdeutung, etwas Ehe-Hygiene, eine Spur schwüle Erotik, sentimentaler Geschlechterkampf, absurde Männerfantasien, jede Menge unterdrückte Aggressionen.

Überfrachtetes Sozialdrama

Kurz und gut: ein dankbares Feld für Regisseure und Dirigenten, denn die "Frau ohne Schatten" ist heutzutage wirklich nur noch genießbar, wenn sie zupackend interpretiert wird, sei es als Satire, als Tragödie oder als Farce - nur bitte nicht ernst nehmen, dann wird es unerträglich. Das war das Problem der Inszenierung von Andreas Kriegenburg an der Hamburgischen Staatsoper. Er zeigte ein reichlich überfrachtetes Sozialdrama: Eine arme Frau träumt sich in eine Märchenwelt und vergisst darüber ihre häuslichen Pflichten, speziell ihre Gebärmutter.

Gespenster unter Drogen

Eine Wendeltreppe ins Geisterreich | Bildquelle: © Brinkhoff/Mögenburg Eine symbolbeladene Wendeltreppe verbindet den schäbigen Alltag mit dem verheißungsvollen Geisterreich, aber es lohnt sich eigentlich gar nicht, die vielen Stufen ins Paradies zu erklimmen. Dort oben tummeln sich nämlich nur jede Menge weiße Gespenster in denkbar hässlichen Kleidern. Sie alle stehen offenbar unter Drogen und machen komische Bewegungen. Nun ist es ja tatsächlich so, dass sich Menschen aus ihrem Elend gern in bessere Welten hinein träumen; Bollywood-Filme sind dafür das beste Beispiel. Diese Botschaft allein ist jedoch für so ein vielschichtiges und sperriges Werk wie die "Frau ohne Schatten" arg dürftig.

Akupunktur-Nadeln in den Himmel

Am Ende tummelten sich jede Menge bunt gekleidete Kinder auf der Bühne, so ungefähr zehn pro Frau - als ob das heutzutage noch das Ziel einer Durchschnittsehe sein könnte. Ausstatter Harald B. Thor hatte eigentlich ein ausreichend abstraktes Bühnenbild entworfen: neben der Wendeltreppe einen Wald aus schief stehenden Rohren, wie ein Parcours aus lauter überdimensionalen Akupunktur-Nadeln, die jeweils die empfindlichen Stellen dieser Geschichte treffen und von ganz unten nach ganz oben reichen. Das hätte durchaus sinnreich sein können, wenn Regisseur Andreas Kriegenburg nicht allerlei wirren Schnickschnack - wie eine Passionsgeschichte - dazu erfunden hätte. So trug der Kaiser eine Dornenkrone und ein pfeildurchbohrter Heiliger Sebastian hatte seinen wenig erhellenden Auftritt.

"Die Frau ohne Schatten" - Andreas Kriegenburgs Hamburger Inszenierung in Bildern.

Durchgängig zu laut

Problematisch war auch das Dirigat von Kent Nagano, der eigentlich gewohnt ist, Orchestermassen zu ordnen. Von der Windmaschine über chinesische Gongs bis zu einer Rute ist alles dabei: Richard Strauss liebte es ja bekanntlich monumental und aufbrausend. Das darf natürlich auch mal laut sein, aber nicht durchgängig und ohne Rücksicht auf die Sänger. Von jeher gilt Nagano als Opern-Dirigent, der nicht den engsten Kontakt mit dem Bühnengeschehen sucht, sondern sich auch mal gern auf den Orchestergraben konzentriert. Das war diesmal besonders hörbar, leider. Alle Mitwirkenden wurden zum Schreien und Gellen verleitet, was ihre Stimmen schrill und ausdruckslos machte.

Schlussapplaus verblüffend einhellig

Hysterie - schwer in den Griff zu bekommen: Lise Lindstrom überzeugte zumindest darstellerisch | Bildquelle: © Brinkhoff/Mögenburg Hysterie kam dabei nicht auf, eher Ärger. Linda Watson als Amme und Emily Magee als Kaiserin hatten die schwerwiegendsten Probleme und waren kaum textverständlich. Lise Lindstrom, auch sie Amerikanerin, meisterte ihre Partie der Färberin immerhin schauspielerisch achtbar. Am überzeugendsten war der polnische Bariton Andrzej Dobber als Färber, der im inszenatorischen und musikalischen Tohuwabohu beneidenswert stoisch die Ruhe bewahrte. Der Schlussapplaus war verblüffend einhellig - womöglich lag das daran, dass sich manch einer noch an die vorletzte "Frau ohne Schatten" in Hamburg erinnerte, die ein Debakel war und nach nur elf Aufführungen und einer Saison abgesetzt wurde. Gemessen daran war dieser Abend allerdings ein Fortschritt, und was ebenfalls versöhnlich stimmt: Auch anderswo gibt es derzeit keine wirklich überzeugenden Interpretationen. Gar nicht so leicht, Hysterie in den Griff zu bekommen.

"Die Frau ohne Schatten" an der Hamburgischen Staatsoper

Regisseur: Andreas Kriegenburg
Musikalische Leitung: Kent Nagano

Premiere
16. April 2017
Weitere Vorstellungen:
Sonntag 23. April 2017, 18:00 Uhr
Samstag 29. April 2017, 18:00 Uhr
Donnerstag 04. Mai 2017, 18:00 Uhr
Sonntag 07. Mai 2017, 18:00 Uhr

Sendungsthema aus "Allegro" am 18. April 2017, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK