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Die Sängerin Houria Aïchi Eine moderne Troubadessa des Maghreb

Eine moderne Troubadessa des Maghreb in Fürth: Houria Aïchi besingt in ihren Liedern gleichermaßen ihre algerische Heimat und den Pariser Großstadt-Dschungel. Sie erzählen vom Brückenschlag zwischen Orient und Okzident.

Houria Aïchi | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Bildquelle: Bayerischer Rundfunk

Bei den PASSAGEN-Konzerten in Fürth

Houria Aïchi mit dem Ensemble L'Hijâz'Car

Im Mittelalter zogen Troubadoure und Minnesänger - oder die weiblichen Cantaderas - durch die Lande, um von Liebesleid und Liebesglück, von Politik, von Affären und Skandalen zu berichten. Auch heute gibt es sie noch in vielen Teilen der Welt, die afrikanischen Griots, die serbischen Rhapsoden, die kurdischen Dengbej oder die puppenspielenden Dalang in Indonesien, die zum Klang ihrer Instrumente Geschichten erfinden, Gerüchte verbreiten und die Sagen der Vergangenheit lebendig erhalten. Und auch die in Paris lebende Algerierin Houria Aïchi und die jungen Franzosen vom Ensemble L'Hijâz'Car gehören zu diesen Kreativen - alle auf ihre Weise.

Die Berber und ihre Musik - eine Geschichte der Marginalisierung

Houria Aïchi | Bildquelle: Kays Djilali Houria Aïchi | Bildquelle: Kays Djilali Houria Aïchi wurde in der Stadt Batna in den Aurès-Bergen Algeriens geboren und wuchs mit den Traditionen der Berber auf. Ein Soziologiestudium an der Sorbonne zog sie in den 1970er-Jahren nach Paris, wo sie bis heute lebt. Ihre Stimme wurde Ende der 1980er-Jahre entdeckt, fünf preisgekrönte Alben sind inzwischen erschienen. Sowohl in Frankreich als auch in ihrer algerischen Heimat genießt sie Kultstatus: Ihre Stimme war unter anderem im Bertolucci-Film "A Tea in the Sahara" (1990) zu hören.

Die Musik Algeriens und Marokkos ist inzwischen weltweit bekannt - vor allem durch Popularmusik-Repertoires wie den Raï, Chaabi (Volksmusik in Pop-Arrangements) und die Trancemusik Gnawa, die auf Sufi-Praktiken zurückgeht. Weniger bekannt im Westen ist die Chaoui Musik: Diese Art der Berbermusik hat ihre Wurzeln direkt in der zerklüfteten Berglandschaft des Aurès-Gebirges in Nordostalgerien, wo auch Houria Aïchi aufgewachsen ist. Die dortigen Bewohner, die sogenannten Chaouis, widmen sich vor allem der Zucht von Schafen und Ziegen.

Normalerweise wird Chaoui-Musik von einem Ensemble aus Zorna (Schalmei), Gasba (Flöte), Rahmentrommel und mehreren Sängern intoniert. Die Texte beziehen ihre Inspiration aus dem harten Alltagsleben in den Bergen, besingen die Liebe und historische Ereignisse wie beispielsweise den algerischen Befreiungskrieg. Die moderne Chaoui-Musik ist in Algerien und unter den geschätzt zwei Millionen algerisch-stämmigen Franzosen sehr beliebt - inzwischen hat sie eigene Subgenres herausgebildet, die vom Rock, der Gnawa-Musik, aber auch vom Reggae oder sogar vom Electro-Funk beeinflusst sind.

Musikalische Geschichtenerzähler - Musikalische Zwischenwelten

Sowohl Houria Aïchi als auch die Band L'Hijâz'Car sind Geschichtenerzähler. Houria Aïchi singt von Heimat, Fremde und Fremdheit  - einem hochaktuellen Thema - in der musikalischen Sprache der Berber. Auch wenn ihre Kunst in der oralen Tradition ihrer Heimat ihren Ursprung hat (sie lernte die Gesangstechniken von ihrer Großmutter), so gehört ihre Stimme weder der Tradition noch der Moderne, sondern beiden Welten. Houria Aïchi lebt irgendwo in einer Zwischenwelt, zwischen der Weltmetropole Paris und der ländlichen Welt ihrer algerischen Heimat. Von Zeit zu Zeit kehrt sie nach Algerien zurück, um sich der aufgestauten Nostalgie zu entledigen und ihre Imaginationen mit der Realität abzugleichen. Dabei ist sie sich der Macht ihrer Stimme, Dinge zu verändern, bewusst - gerade in einer traditionellen Gesellschaft in der Frauen wenig Möglichkeiten haben, sich auszudrücken. Gesang ist daher gerade für sie existentiell.

Houria Aïchi und L'Hijâz'Car | Bildquelle: Evangeline Kim Houria Aïchi und L'Hijâz'Car | Bildquelle: Evangeline Kim Houria Aïchi musiziert mit der Band L'Hijâz'Car - einer Formation, die musikalische Abgründe und Brüche nicht weltmusikalisch verschleiert, sondern sie auslotet - angetrieben von der Motorik einer Bassklarinette, zeitgenössischem Jazz, slides auf der Oud und vorwärtsstürmenden Rockrhythmen. Der Sound von L'Hijâz'Car ist oft kreischend, grell und unangepasst.

Das Ergebnis "ist Berbermusik, weil Houria tief von der Berberkultur geprägt ist und genau die emotionalen Grenzen dieser Lieder kennt“, sagt Grégory Dargent, der Leiter von L'Hijâz'Car. "Meine Arrangements beschäftigen sich mit der einfachen Frage: Wie kann man diese Reiterkultur der Aurès-Berge in der Gegenwart aufleben lassen? Ich denke, es ist keine lokale Berbermusik mehr, sondern vielmehr EIN möglicher Weg, den diese Musik in der Zukunft einschlagen könnte."

Herkunft der Berber

Die Berber kann man zu Recht als die "Ureinwohner" Nordafrikas bezeichnen. Sie lebten bereits in den Küstenregionen des Mittelmeers, noch bevor die Phönizier, die Römer, die Araber, Vandalen, Franzosen und Spanier und andere Eroberer kamen. Die Bezeichnung der Ethnie stammt wohl von dem abwertenden griechischen Begriff bárbaros. Die meisten Berbergruppen, zu denen auch die Tuareg gehören, leben heute aufgeteilt zwischen Marokko und Algerien in Rückzugsgebieten: dem Rifgebirge, dem Atlasgebirge und Teilen der Sahara. In Marokko sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Berber, in Algerien circa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Geschichte der Berber ist eine von Marginalisierung und von Unterdrückung. Gleichzeitig umgibt sie die Aura des Rebellischen, der wilden Freiheitskämpfer aus den Bergen. Der Guerillaführer Abdel-Krim (1882-1963) ist wohl der bekannteste Vertreter, der sich in den 1920er-Jahren erfolgreich den spanischen und französischen Kolonialisten widersetzen konnte. Gleichzeitig umgibt die Berber der Mythos des Exotischen, Authentischen und Unverfälschten. Das Kunsthandwerk, die Teppichknüpfkunst, kunstvolle Tätowierungen, schwerer Silberschmuck, Minztee und Musik gehören zu den Attributen, die das marokkanische Tourismusministerium heute gezielt für die Werbung einsetzt.

Passagen Konzert

Freitag, 21. Oktober 2016
20.00 Uhr Kulturforum Fürth

Die Troubadessa des Maghreb - Houria Aïchi mit dem Ensemble L'Hijâz'Car

Houria Aïchi - Gesang
L'Hijâz'Car
Grégory Dargent - Oud, Banjo
Jean-Louis Marchand - Baßklarinette, Metallspiel
Nicolas Beck - Tarhu, hajouj
Vincent Posty - Kontrabass
Etienne Gruel - daf, bendir, derbouka
Antony Gatta - Perkussion

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