Irgendwann musste sie sich entscheiden: Gitarre oder Mandoline. Anna Torge entschied sich für die Mandoline, auch, weil es an dem kleinen Instrument so viel zu entdecken gibt.
Bildquelle: Kerstin Groh
BR-KLASSIK: Wie war denn Ihr Weg zu diesem tollen Instrument, zur Mandoline?
Anna Torge: Der Weg war sehr zufällig. Ich komme aus einer großen Familie. Wir sind sechs Kinder zu Hause gewesen, und jeder bei uns durfte ein Instrument lernen. Die zwei Älteren hatten Blasinstrumente gelernt. Dann wollte ich gerne ein anderes Instrument lernen und habe mit Gitarre angefangen. Als junges Kind habe ich Gitarrenkurse besucht, wo auch Mandoline angeboten wurde. Und dann habe ich Mandoline als Schnupperinstrument mal für ein Wochenende gelernt. Die Lehrerin, die mich dort unterrichtet hatte, fand, dass ich das ganz gut mache und meinte dann zu meinem Gitarrenlehrer, ob er mir nicht fachfremd Mandolinenunterricht geben könnte - sie würde ihn dabei unterstützen.
Wir haben so relativ improvisiert angefangen. Ich bin dann ziemlich früh in das bayrische Landesjugendsinfonieorchester gekommen, habe da sehr viel gelernt und habe dort dann auch eine neue Lehrerin kennengelernt. Zu der ich regelmäßig ein paar hundert Kilometer mit dem Zug gefahren bin, um einfach spezieller für die Mandoline mich ausbilden zu lassen. Und ich glaube, der entscheidende Punkt war dann beim Jugend musiziert Bundeswettbewerb, dass ich mit beiden Instrumenten teilgenommen habe - mit Gitarre und Mandoline. Bei Gitarre habe ich den zweiten Preis bekommen, bei Mandoline den ersten. Im Studium habe ich dann beschlossen, dass ich nicht beide Instrumente gleich intensiv machen kann.
BR-KLASSIK: Sie haben gesagt, bei der Mandoline gibt es viel mehr zu entdecken als bei der Gitarre. Also was macht sie für Sie so besonders, wo Sie Lust darauf haben, da alles Mögliche zu entdecken und herauszuholen?
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Anna Torge: Wenn ich eine Kritik lese von der CD oder von einem Konzert von mir und jemand dann schreibt, das klang wie gesungen und das wäre doch sehr ungewöhnlich, weil ich ja nur Einzeltöne anschlagen kann, dann freut mich das sehr. Also was gibt es alles zu entdecken? Die Kultur ist riesengroß. Das fängt bei der ganzen Geschichte an. Die Mandoline war immer in verschiedenen Bereichen unterschiedlich beheimatet, und das zeigt sich auch in einer Art, wie die Instrumente gebaut wurden. Welche Besaitung, welche Stimmung, mit was wird die Mandoline angeschlagen. Diesen Reichtum kenne ich in dieser extremen Vielfalt bei anderen Instrumenten nicht so.
BR-KLASSIK: Was ist denn Ihr privater Reichtum zu Hause? Ich habe gehört, ihr israelischer Kollege, Avi Avital, hat neun Mandolinen zuhause. Wie viele haben Sie bei sich gebunkert?
Anna Torge: Ich habe nicht gezählt. Weil ich auch nicht alle regelmäßig so spiele. Ich habe oben auf dem Dachboden ein paar liegen. Ich hatte auch mal in Paris in einem Antiquitätenladen eine alte Mandoline gekauft und diese dann herrichten lassen. Aber erst durch das Einspielen stellt sich dann heraus, ob die Mandoline mir wirklich liegt und ob ich da so meinen Klang drin finde oder nicht.
BR-KLASSIK: Und wie klingt die, die sie da aufgeschnappt haben?
Anna Torge: Die ist leider ein bisschen dumpf geblieben, wie wenn die zu fest, zu dick, zu schwerfällig gebaut worden wäre. Ich habe das Glück, eine alte Mandoline von 1770 im Original zu haben. Die wiegt fast nichts, und die schwingt unglaublich und bringt einen sehr schönen Ton, der einfach weit trägt in einem größeren Konzertsaal. Und diese leichtere Bauart liegt mir jetzt in einer Art, wie ich spiele, einfach mehr.
BR-KLASSIK: Ist das auch ihre Lieblingsmandoline, diese Leichte?
Anna Torge: Also die Leichteren - ich habe da drei Lieblingsmandolinen, ja.
BR-KLASSIK: Und zu dieser dumpfen noch mal. Man kann da aber im Nachhinein nichts mehr korrigieren, oder? Da ist dann einfach der Spieler daran, dass der dann das Beste herausholt. Man kann am Instrument nicht noch mal was Ändern?
Anna Torge: Doch, könnte man schon. Nur ich war mir unsicher, wie weit dieser Aufwand sich dann lohnt. Die Mandoline ist jetzt nicht wie eine alte Geige. Die sind sensibler oder empfindlicher in der Bauart. Wenn irgendetwas drankommt, dann gehen die auch schneller so richtig kaputt. Diese Geigentradition wie bei Stradivari kenne ich bei Mandoline nicht so. Dass diese Mandoline von 1770 bis jetzt überlebt hat und dass die nach wie vor spielbar ist, das ist schon sehr, sehr, sehr selten. Und wenn man jetzt historische Mandolinen spielt, dann sind es meistens Nachbauten, die dann auch nicht so empfindlich sind. Wenn dann irgendetwas bricht, dann ist das einfach vorbei. Und da habe ich mich dann auch nicht drangetraut.
BR-KLASSIK: In der Begründung, warum die Mandoline jetzt Instrument des Jahres geworden ist, schreiben die 14 Landesmusikräte: Sie schafft es, Brücken zu bauen. Das klingt jetzt aber immer ziemlich floskelhaft, finde ich. Welche Brücken baut dieses Instrument denn für Sie ganz persönlich?
Anna Torge: Dass die Mandoline in den letzten 30 Jahren wieder so groß rauskam, liegt vor allem daran, dass es ein paar einzelne Leute gab, die die Tradition der Mandoline wieder erforscht haben. Die Möglichkeit, heute so Mandoline zu spielen wie Avi Avital und viele andere tolle Kollegen und Kolleginnen, das funktioniert nur, weil ein paar Leute sich drangesetzt, geforscht und die alten Mandolinenschulen studiert haben. Auch, dass Instrumentenbauer gesagt haben: Okay, wir probieren, Nachbauten zu machen.
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Diese Brücken sind sehr stark auf der menschlichen Ebene, und das liegt an so einem unglaublichen Miteinander, weil jeder eine neue Facette mit hineinbringt und jeder was Neues entdeckt und dadurch die Kultur der Mandoline sich unglaublich weiterentwickeln kann. Das wäre nicht möglich, wenn das bei zwei, drei Leuten geblieben wäre. Und wenn wir jetzt heute auch die Möglichkeit haben, uns immer weiter zu professionalisieren auf der Bühne, aber auch im pädagogischen Bereich, dann funktioniert das nur durch den Austausch und durch das Miteinander. Und das Schöne ist, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, uns weltweit mehr zu vernetzen. Das ist ein unglaublicher Reichtum. Wir alle bauen Brücken, die wir hier aktiv sind, aber auch Veranstalter*innen, die die Mandoline auf die Bühne bringen. Dazu gehören auch Radio und CD-Produktionen.
BR-KLASSIK: Welche Brücken wollen Sie denn in diesem besonderen Jahr für die Mandoline schlagen? Was steht bei Ihnen an dieses Jahr?
Anna Torge: Ich hatte letztes Jahr eine CD-Produktion mit dem Deutschlandfunk, zusammen mit Gerald Hambitzer, Markus Möllenbeck und Andreas Nachtsheim, die Cembalo, Barockcello und Barockmandoline spielen. Wir haben Werke aufgenommen von dem Komponisten Abbate Ranieri Capponi, der auch aus Italien kam und wunderschöne Werke komponiert hat. Ich finde es schön, wenn die dieses Jahr herauskommt, aber ich habe es nicht in der Hand.
Sendung: "Allegro" am 5. Januar 2023, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Donnerstag, 05.Januar, 13:27 Uhr
Gunther Maier
Was die Mandoline besonders macht
Warum "kann" Frau Torges "auf der Manoline nur Einzeltöne anschlagen"? Wenn man über den klassischen Tellerrand hinaus schaut, sieht man sehr schnell, dass die Mandoline auch ein Akkordinstrument, ein Begleitinstrument und auch ein Rhythmusinstrument sein kann.
Mit freundlichen Grüßen
Gunther Maier