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Der Geiger Nemanja Radulović "Gute Musik kann man überall finden"

Am 18. Dezember gibt Nemanja Radulović mit der Camerata Salzburg ein Konzert im Münchner Prinzregententheater. Auf dem Programm stehen unter anderem Antonio Vivaldis unverwüstliche "Vier Jahreszeiten". Im Interview spricht der Musiker mit der auffälligen Frisur über dieses Werk - sowie über kalte Winter und coole Outfits.

Geiger Nemanja Radulovic | Bildquelle: Marie Staggat / DG

Bildquelle: Marie Staggat / DG

BR-KLASSIK: Nemanja Radulović, Sie spielen Vivaldis "Vier Jahreszeiten" - einen der Klassiker schlechthin. Wie schafft man es, sich mit einem so bekannten Stück neu auseinanderzusetzen, ohne dass man es bewusst anders macht, nur um es anders zu machen?

Nemanja Radulović: Ich habe mir genau diese Frage selbst gestellt, bevor ich mich vor einigen Jahren an dieses Werk gemacht habe. Mein Label bot mir an, das Stück aufzunehmen, und - nun ja, jeder spielt die "Vier Jahreszeiten", aber ich wollte das nicht. Dann habe ich mir schließlich die Noten vorgenommen und gesehen, dass sie tatsächlich sehr viele Möglichkeiten bieten: Man kann ein ganzes Leben damit verbringen, diese Möglichkeiten zu entdecken. Deshalb denke ich: Es gibt einen Grund, warum dieses Werk so bekannt ist. Und unser Blickwinkel vom Ensemble Double Sens auf das Stück soll auch eine Verbindung zur heutigen Zeit herstellen. Wir wollen zeigen, dass es heute gar keine Jahreszeiten mehr gibt, denn das Klima ändert sich - deshalb kann man bei uns manche Frühlings-Momente im Herbst hören und Sommer-Anklänge im Winter. Es ist interessant, es mal so zu sehen.

Barock im Hier und Jetzt

BR-KLASSIK: Das ist ja interessant: Der Klimawandel und die Vier Jahreszeiten. Wie hat sich das in Ihrer Interpretation niedergeschlagen?

Nemanja Radulović: Sehr viel, aber vor allem strebten wir eine sehr natürliche Interpretation an. Alles hat sich verändert, seit dieses Werk komponiert wurde, die Tempi, die Möglichkeiten der Instrumente, das Wetter - und die Jahreszeiten. Und so suchen wir nach einer modernen, zeitgemäßen Version - ohne den Notentext zu verlassen, es ist kein Crossover, aber es ist eben modern und nicht so barock.

BR-KLASSIK: Also keine Historische Aufführungspraxis. Haben Sie sich denn auch damit mal beschäftigt? Haben Sie mal auf Darmsaiten gespielt?

Nemanja Radulović: Ich liebe es, die barocke Spielweise zu hören. Aber das bin nicht ich - das ist nicht mein Interpretationsstil. Vielleicht mache ich das eines Tages. Gerade möchte ich jedoch anders spielen, im Hier und Jetzt sozusagen. Wenn man sich anschaut, wie George Enescu gespielt hat, oder David Oistrach. Das ist ein ganz anderer Stil als der von Hilary Hahn zum Beispiel. Und es ist toll zu sehen, wie sich die Zeit und die Künstler weiterentwickeln.

Belgrader Winter

Nemanja Radulović spielt Paganini bei U21-Das Verhör | Bildquelle: BR Nemanja Radulović | Bildquelle: BR BR-KLASSIK: Erinnern Sie sich noch an richtig kalte Winter und vermissen Sie das?

Nemanja Radulović: Ja. Ich versuche in mein Heimatland Serbien zurückzukehren, denn auch wenn es sich dort schon stark verändert hat, gibt es noch immer Schnee. Ich erinnere mich: Vor einigen Jahren war ich in Belgrad für ein Konzert, es war Februar, und meine Musikerkollegen aus Frankreich waren so überrascht. In Paris waren es nämlich fünf Grad - in Belgrad jedoch Minus zwanzig, obwohl dazwischen nicht einmal 2.000 Kilometer liegen. Ich habe also nach wie vor diese kalten Winter und genieße sie sehr.

Wir können unsere Inspiration aus verschiedenen Traditionen ziehen.
Nemanja Radulović

BR-KLASSIK: Wieviel von der Musiziertradition Ihrer serbischen Heimat und der Volksmusik steckt in Ihrer Art mit klassischer Musik umzugehen?

Nemanja Radulović: Ich bin sehr offen für ganz unterschiedliche Musikstile, nicht nur für Klassik, sondern auch traditionelle Musik, Pop, Rock oder Heavy Metal. Ich mag einfach gute Musik, und die kann man überall finden. Ich unterscheide da nicht nach bestimmten Stilen. Für mich gibt es Musik, die ich gern spiele und Musik, die ich nicht so gern spiele. Ich denke, wir können unsere Inspiration aus verschiedenen Traditionen ziehen, aus unterschiedlichen Kulturen und Genres.

Die besondere Magie eines Konzerts

BR-KLASSIK: Sie haben eine ganz neue, erfrischende Art aufzutreten. Sie inszenieren sich stärker, als wir das von klassischen Geigern gewohnt sind - auch wenn Künstler wie Paganini dieses Virtuosentum bereits inszeniert haben. Ist das für Sie etwas, was die Klassische Musik wiederentdecken muss?

Nemanja Radulović: Nun, manchmal habe ich den Eindruck, dass in der Welt der Klassischen Musik alles abgelehnt wird, was nicht unmittelbar mit der Musik in Verbindung steht. Ich denke aber, dass das falsch ist, denn auch das Drumherum erzeugt diese besondere Magie eines Konzerts. Natürlich sollte die Musik im Vordergrund stehen. Trotzdem muss sich der Musiker auf der Bühne wohlfühlen. Nur dann kann erfolgreich mit dem Publikum kommunizieren und seine Stimmung auf die Menschen übertragen. Und wenn man sich eben mit Stiefeln und Lederhosen wohlfühlt, dann kann man auch so auftreten. Allerdings sollte es auch wirklich zu einem passen. Wenn man es krampfhaft versucht, wirkt es am Ende nur unglaubwürdig und lächerlich. Darum ist es sehr wichtig, dass man sich auf der Bühne so zeigt, wie man wirklich ist und nicht nur etwas vorspielt.

Die Fragen stellte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

Infos zum Konzert

Sonntag, 18. Dezember 2016, 11.00 Uhr
München, Prinzregententheater

Antonio Vivaldi:
"Die vier Jahreszeiten", Konzerte für Violine und Orchester op. 8
Antonín Dvorák:
Serenade E-Dur op. 22 für Streichorchester

Nemanja Radulović (Violine)
Camerata Salzburg

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