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Nikolaus Bachler zur neuen Spielzeit an der Staatsoper Lass los, nimm Abschied

Die Opernstars gehen bei ihm ein und aus, und doch kommt es Nikolaus Bachler nicht auf die großen Namen an. Für ihn zählt am Ende immer die Qualität. Dass man sich auf dem Weg dorthin von althergebrachten Erwartungen und Überzeugungen trennen muss, gehört dazu: Kill your Darlings.

Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Markus Jans

Bildquelle: © Markus Jans

BR-KLASSIK: Mit Mateja Koležnik, Katie Mitchell und Marina Abramović zeichnen gleich drei starke, profilierte Künstlerinnen bei den Opern-Neuinszenierungen für das Bühnengeschehen verantwortlich. Hat sich das zufällig so ergeben oder drückt sich da ein irgendwie gestalterischer Wille aus?

Nikolaus Bachler: Wenn sich der ausdrücken würde, dann würde er sich die ganzen Jahre schon ausdrücken, weil ich nicht darauf achte. Es geht um Künstler, es geht um die richtigen Personen für ein mögliches Projekt und nicht darum, ob das ein Mann oder eine Frau ist.

BR-KLASSIK: Trotzdem ist es auffällig, wie wenig Frauen in dem Geschäft reüssieren. Auch für Sie?

Nikolaus Bachler: Nein, weil das auch nicht stimmt. Ich glaube, wir haben mindestens so wichtige und große Regisseurinnen wie Regisseure. Bei den Dirigenten gibt es einiges an Nachholbedarf, da gibt es aber auch bei uns immer wieder Dirigentinnen. Da kann ich keine Veränderungen erkennen.

Lass los, nimm Abschied

BR-KLASSIK: "Kill your Darlings" heißt das Motto der nächsten Saison. Welche Darlings müssen Sie denn killen, um so ein Programm zusammenzustellen?

Nikolaus Bachler: "Kill your Darlings" heißt auf Deutsch ja nichts anderes wie: "Nimm Abschied" oder, vielleicht noch besser gesagt: "Lass los". Das ist einer der zentralen Begriffe jeder künstlerischen Arbeit: immer wieder loszulassen, immer wieder neu zu schauen, immer wieder neu zu beginnen, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, immer wieder die Fragen wichtiger zu nehmen als die Antworten. Ob das jetzt – das zentralste Stück vielleicht – "Die tote Stadt" ist, wo jemand sich nicht von seiner Vergangenheit verabschieden kann, oder auch ein Aufruf ans Publikum oder vielleicht noch mehr ein Aufruf an die Experten: Haltet nicht an euren Sehgewohnheiten fest. Oder: Schaut vielleicht mal genauer hin. Oder: Seid mal offener für das, was ihr da seht. Das muss euch ja nicht immer gefallen, aber die Offenheit ist wichtig und insoweit müssen wir alle unsere Darlings killen. Es gibt einen sehr schönen Satz von Fritz Kortner, der hat gesagt: "Das war jetzt ein sehr schöner Einfall und darum machen wir ihn nicht". Es ist immer wieder das "Nochmal um eine andere Ecke schauen".

Weg vom Kernrepertoire

BR-KLASSIK: Worauf freuen Sie sich am meisten in der kommenden Saison?

Nikolaus Bachler: Ich freue mich auf das gesamte Programm, weil letztlich machen wir es ja auch. Es hat die Besonderheit, dass es eigentlich fast nur – von Falstaff abgesehen – unbekannte Dinge sind. Es sind nicht die gängigen Werke, es sind Rand-Stücke oder überhaupt Uraufführungen oder Erstaufführungen. Und es ist nicht das sogenannte "Kernrepertoire". Das ist für uns interessant und hoffentlich auch fürs Publikum.

Eine ausführliche Vorschau zur Spielzeit 2019/20 finden Sie unter diesem Link

BR-KLASSIK: Besonders spannend finde ich einen Abend bei dem zunächst ein Orchesterwerk auf dem Programm steht – Katie Mitchell wird den Abend gestalten: zwei Werke von Bartók, dann das Konzert für Orchester – und dann die Oper "Herzog Blaubarts Burg". Was hat es mit diesem Konzert für Orchester auf sich, wie wird das zum Bühnengeschehen?

Nikolaus Bachler: Das Konzert für Orchester ist wahrscheinlich vielleicht sogar das wichtigste Werk von Béla Bartók. Katie Mitchell will mit dem Konzert für Orchester in einem Film die Vorgeschichte zu "Blaubart" erzählen.

Ansonsten ist es ein Abenteuer, über das wir auch nicht mehr wissen.
Nikolaus Bachler über '7 Deaths of Maria Callas'

BR-KLASSIK: Sehr ungewöhnlich ist auch die Performance von Marina Abramović, die sich mit Maria Callas auseinandersetzt. Was erwartet uns da? Sicher kein gewöhnlicher Opernabend?

Marina Abramovic | Bildquelle: picture-alliance/dpa Marina Abramović | Bildquelle: picture-alliance/dpa Nikolaus Bachler: Nein. Marina Abramović beschäftigt sich schon ihr ganzes Leben lang mit Maria Callas und wollte vor 30 Jahren – wie sie mir gesagt hat – schon mal einen Film darüber machen. Sie beschäftigt sich speziell mit den Todes-Szenen der Rollen von Maria Callas, deswegen heißt es ja auch "7 Deaths of Maria Callas". Es gibt sieben Sängerinnen, es gibt sieben Szenen, es gibt Aktionen der Abramović, es gibt Filme über die jeweiligen Szenen und es gibt Live-Performance. Das Ganze wird ein komponierter Abend, den Marko Nikodijević zu den diversen Arien verbindet. Ansonsten ist es ein Abenteuer, über das wir auch nicht mehr wissen.

Man kann immer nur das machen, woran man im Moment glaubt.
Nikolaus Bachler

BR-KLASSIK: Haben Sie sich so eine Saison schon länger gewünscht, in der so viel passiert von dem Sie sich noch relativ wenig vorstellen können? Ich könnte mir vorstellen, dass das besonders reizvoll ist.

Nikolaus Bachler: Nein, das glauben immer nur Kritiker. Die schreiben dann: Das war jetzt der bewusst gestaltete Erfolg. Man kann überhaupt nichts vorausplanen. Man kann auch keinen Erfolg vorausplanen, auch nichts Ungewöhnliches. Man kann immer nur das machen, woran man im Moment glaubt. Man kann Bedingungen für relativ wahrscheinliche Erfolge schaffen, dafür bürgen Namen wie Jonas Kaufmann oder Anna Netrebko.

BR-KLASSIK: Die künstlerische Beziehung zu solchen Stars muss gepflegt werden. Ist das bei Ihnen persönliche Aufgabe des Intendanten, dass Sie sich mit diesen Leuten auseinandersetzen, dass Sie das aufbauen dass Sie die halten? An denen saugt ja sozusagen die ganze Welt, alle wollen sie haben.

Nikolaus Bachler: Nein, dem würde ich widersprechen. "Stars" ist ein Begriff der Medien und der hat mit uns überhaupt nichts zu tun, das interessiert weder Jonas Kaufmann noch mich.

BR-KLASSIK: Das glaube ich Ihnen nicht.

Nikolaus Bachler: Dann glauben Sie es mir halt nicht, aber ich sage es Ihnen, wie es ist: Das sind Arbeitsbeziehungen, die in dem Fall glückhaft sind, die auf eine sehr lange Dauer zurückgehen, weil man vieles miteinander macht. Dass ein Sänger eine große Popularität hat oder eine große Wirkungsbreite, das ist nicht das wirklich Wichtige. Das wirklich Wichtige ist die Qualität und die versteckt sich in vielen Dingen. Aber ich bin keine Agentur, auch wenn man es manchmal so darstellt

Respekt auf Augenhöhe

BR-KLASSIK: Es wird ja viel über Führung im Bereich der Kunst diskutiert. Einer ihrer Mitarbeiter, der Solopaukist des Bayerischen Staatsorchesters, hat sich in der Debatte um Daniel Barenboim eingeschaltet, auch auf BR-Klassik. Einer der Berliner Kollegen hat gesagt: "Wenn er so ein ganz netter Opa wäre, dann würde er auch nicht so tolle Spannungsbögen bei Bruckner aufbauen können". Was würden Sie aus Ihrer Führungserfahrung sagen? Wie notwendig ist es, auch mal unangenehm zu werden, wenn man in künstlerischer Verantwortung für ein Kollektiv steht und das Kollektiv zu irgendetwas bewegen muss?

Nikolaus Bachler: Die ganze Debatte ist obsolet, wenn man sich dazu bekennt, dass es eben um die Sache geht. Und dass es um Respekt geht und um Augenhöhe. Dass die Menschen unterschiedliche Funktionen in unterschiedlichen Instituten haben. Das haben sie aber nicht nur am Theater, das haben sie auch in der Wirtschaft. Aber es geht letztlich um ein ethisches Klima in einem Institut, dafür muss man sorgen. Und dann ist alles andere Nebengeräusch.

Das Programm der neuen Spielzeit finden Sie auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper.

Sendung: "Leporello" am Montag, den 18. März 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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