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Kent Nagano über Olivier Messiaen "Seine Antwort werde ich nie vergessen"

Mit Messiaens Klangwelt kennt Nagano sich aus wie kein Zweiter – war doch Messiaen so etwas wie eine Vaterfigur für ihn. Und auch die "Poèmes pour Mi" verbinden ihn mit seinem französischen Mentor.

 Dirigent Kent Nagano | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

BR-KLASSIK: "Poèmes pour Mi" hat Messiaen seiner ersten Frau, der Geigerin Claire Delbos gewidmet, "Mi" war ihr Kosename. Es ist eine Hommage an die Liebe geworden. Was verrät denn dieser Zyklus von dem noch jungen Messiaen im Vergleich zu seinen späteren, großen Werken?

Kent Nagano: Wie bei fast allen große Komponisten – Mozart, Beethoven – ist auch bei Messiaen die Sprache schon relativ früh definiert. Er begreift Rhythmus als etwas Freies, denkt sehr stark ohne Taktstriche. So können seine Worte im Rhythmus organisch und frei sein. Man fühlt das schon in "Poèmes pour Mi". Er war sich immer treu. Vielleicht sind später kompliziertere Effekte dazu gekommen, aber sein Stil war immer da. Als er die "Poèmes" komponierte, war er noch sehr jung, 28 Jahre. Ich finde beeindruckend, dass er sich entschied, das Libretto selbst zu schreiben. Und ja, es ist eine Liebesgeschichte. Aber das Libretto bezieht sich auch auf das Neue Testament. Er hat also Liebe und Spiritualität zusammengebracht.

BR-KLASSIK: Seit über vierzig Jahren beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Werk von Olivier Messiaen. Sie waren in enger Freundschaft mit ihm über Jahre verbunden. Was hat er Ihnen zu diesem Stück denn anvertraut?

Kent Nagano: Wir haben nicht so viel über dieses Stück gesprochen. Nach meiner Schulzeit habe ich mich mit seinen Orchesterwerken beschäftigt. Ich fragte mich: Wie soll man das artikulieren? Wie die Orchesterfarben mischen? Wie sollen die Wörter und das Orchester zusammenkommen? Ich habe überall in Nordamerika nach jemandem gesucht, der mir das erklärt. Aber ich habe niemanden gefunden. Frustriert habe ich eines Abends einen Brief an Olivier Messiaen, Professeur, Conservatoire de Paris, geschrieben. Dem Brief habe ich einen Rundfunkmitschnitt des ersten Stücks aus "Poèmes pour Mi" beigelegt. Ich bat ihn um seine Kritik. Die Antwort von ihm werde ich nie vergessen. Sie war vier Seiten lang, mit Schreibmaschine getippt und voller Details: wo genau das Tempo langsam sein soll, wo das Orchester viel mehr auf den Text achten muss, Takt für Takt. Das war der Anfang eines lebenslangen Einflusses von Messiaen auf mich.

BR-KLASSIK: Das zweite Stück an diesem Abend, das Sie mit "Poèmes pour Mi" kombinieren, ist die "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz. Wie lange haben Sie überlegt, Messiaens Stück mit Berlioz' bekanntester Symphonie in Beziehung zu setzen?

Kent Nagano: Messiaen selbst hat Berlioz natürlich geschätzt. Er hat oft über die französische Form des Theaters diskutiert. "Poèmes pour Mi" ist keine Oper, auch kein Oratorium. Es ist trotzdem ein dramatisches Stück mit Theaterelementen. Es ist ein Zyklus, aber es ist auch eine Geschichte, eine Art theatralische Reise durch die verschiedenen Phasen von körperlicher Liebe. Das erste Feuer, das erste Kennenlernen. Wie baut man eine gemeinsame Zukunft auf? Dann das gemeinsame Altwerden: Was unterscheidet dann die Liebe von der Liebe zu Beginn der Beziehung? In diesem Sinne war "Poèmes pour Mi" nicht nur von Debussy beeinflusst, sondern auch von Hector Berlioz.

Sendung: "PausenZeichen" am 15. Februar 2019, ca. 20.40 Uhr auf BR-KLASSIK

Infos zum Konzert

Donnerstag, 14. Februar 2019, 20:00 Uhr
Freitag, 15. Februar 2019, 20:00 Uhr


München, Herkulessaal der Residenz

Olivier Messiaen:
Poèmes pour Mi - Fassung für Sopran und Orchester
Hector Berlioz:
Symphonie fantastique (Episode de la vie d'un artiste), op. 14

Jenny Daviet (Sopran)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Kent Nagano

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