Im Münchner Werksviertel soll nach dem gefloppten "Fack Ju Göhte"-Musical "Die fabelhafte Welt der Amélie" für ein volles Haus sorgen. Ein riskantes Vorhaben, denn am Broadway fiel das Musical glatt durch.
Bildquelle: © Franziska Hain
Kritik
"Die fabelhafte Welt der Amélie" in München
Die Leute aus der Unterhaltungs-Industrie sind natürlich Berufs-Optimisten, sonst wären sie ja fehl am Platz. Und deshalb ließ sich Deutschlands größter Musical-Veranstalter, die internationale Stage Entertainment, auch nicht weiter frusten, als in München im vergangenen Jahr das experimentelle "Fack ju Göhte"-Musical nach nur neun Monate floppte. Nur 58 000 Zuschauer wollten die Produktion sehen, offiziell hieß es, die Besucherzahlen seien "zufriedenstellend" gewesen, was in dem Geschäft eine Umschreibung für "enttäuschend" ist. Doch der ungewöhnliche Theaterraum im angesagten, aber auch etwas schäbigen Münchener Werksviertel, direkt am Ostbahnhof, war nun mal mit viel Aufwand eingerichtet worden. Also soll dort ab jetzt "Die fabelhafte Welt der Amélie" für mehr Begeisterung sorgen.
Am Broadway fiel das Musical durch, obwohl der gleichnamige, vielfach preisgekrönte, fünffach Oscar-nominierte französische Film in Amerika durchaus ankam. Dennoch, die Bühnenfassung bekam 2017 keine einzige Nominierung für die begehrten Tony-Awards, die wichtigste Auszeichnung der Branche, kam auf nur gut sechzig Prozent Auslastung, schon nach zwei Monaten war Schluss. Branchenblätter berichteten, die Investoren hätten dabei zwölf Millionen Dollar verloren. Womöglich dachten sich die Macher von der Stage Entertainment, "Amélie" würde in einem intimeren Rahmen besser funktionieren.
Bildquelle: © Franziska Hain
Ausstatter Andrew Edwards richtete ein typisches Pariser Bistro ein, das "Café des deux Moulins", mit Zigarettenverkauf und sehr langer Theke. Darüber, in der ersten Etage, sitzt die bescheidene, fünfköpfige Band unter Leitung von Philipp Grass, die über zweieinhalb Stunden gepflegte Kaffeehaus-Atmosphäre mit viel Akkordeon und Streichern beisteuert. Komponist Daniel Messé hat sich wohl vom sommerlichen Treiben an der Seine inspirieren lassen. Dort wären seine Nummern sicher auch von gewisser Poesie, das Richtige, um nach einem anstrengenden Arbeitstag gepflegt zu chillen und dabei dem Plätschern des Wassers zu lauschen. Als Musical-Partitur wirkt das leider zunehmend öde, da kann auch die darunter gemischte Filmmusik von Yann Tiersen wenig dran ändern.
Bildquelle: © Franziska Hain
Leider gilt das auch für die zähe Handlung: Statt die Theatergesetze zu beachten und "Amélie" auf ein, zwei dramatische Situationen zu beschränken, will das Musical den ganzen Film abbilden, der bekanntlich in vielen mal komischen, mal absurden Szenen das traurig-einsame Leben der Titelfigur buchstäblich von der Zeugung bis zur ersten Liebe nacherzählt. Doch auf der Bühne gewinnt durch die vielen Zeitsprünge und langatmigen Erzählungen keine Figur wirklich Format, und die in Hessen geborene Sandra Leitner in der Titelpartie ist sicherlich eine sympathische, aufgeweckte Musicaldarstellerin, kann aber in der Rolle naturgemäß nicht ansatzweise so verzaubern wie Audrey Tautou, die mit dem Film ihre Weltkarriere startete.
Es ist dem Abend jederzeit anzumerken, wie verzweifelt Regisseur Christoph Drewitz in diese Produktion partout Poesie, Leichtigkeit und Flair hineinbringen wollte. So lässt er Amélie und ihren Angebeteten Nino auch als Puppen auftreten, um ihre schwere Kindheit zu illustrieren. Das ist gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht, wie auch die mal klamaukigen, mal zotigen Witze allesamt nicht zünden. Oder findet jemand heutzutage noch einen wackelnden Dildo auf dem Tresen lustig oder Macho-Bemerkungen des Klempners, wonach das "Leck gestopft" wurde? Die Peinlichkeiten reihten sich aneinander: Ein Stangenlauch-Ballett, alberne Zorro-Persiflagen, sehr bemühte Mitmach-Aktionen. Einziger Lichtblick: Eine fetzige Elton-John-Parodie. Schade, dass auch die Tonregie erhebliche Probleme hatte. An den Darstellern lag es nicht, dass diese Fassung der "Amélie" wenig überzeugte. Trotzdem stehende Ovationen des Premierenpublikums.
Sendung: "Allegro" am 15. Februar 2019 ab 6:05 auf BR-KLASSIK