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Kritik - "La fanciulla del West" an der Bayerischen Staatsoper Gerechtigkeit für ein Meisterwerk

Das war der erfolgsverwöhnte Puccini nicht gewohnt: Obwohl der legendäre Caruso bei der Uraufführung an der MET die männliche Hauptrolle sang, schaffte es seine Wildwest-Oper "La fanciulla del West" nicht ins Repertoire. Bis heute ist sie das Stiefkind unter Puccinis Meisterwerken geblieben. Die Bayerische Staatsoper hat sich trotzdem an das Stück herangewagt.

Szene aus "La fanciulla del West" an der Bayerischen Staatsoper in einer Inszenierung von Andreas Dresen | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl

Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl

Der Western hatte auch schon mal bessere Tage. Das Genre schwächelt seit Jahren. Selbst im Kindergarten interessieren sich kleine Jungs mehr für Star Wars als für Zorro. Und der einst allgegenwärtige Marlboro-Cowboy ist sowas von out, gestriger geht kaum. Vielleicht ist genau das eine Chance für Puccinis unbekanntes Meisterwerk.

Da bleibt kein Auge trocken

Szene aus "La Fanciulla del West" von Giacomo Puccini in der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk 2019 Minnie und die Männermeute | Bildquelle: Bayerischer Rundfunk 2019 "La fanciulla del West" ist in ein ziemlich tiefes Rezeptionsloch gefallen: Ein reifes Werk eines bis heute beispiellos erfolgreichen Komponisten, das es nur alle Jubeljahre auf die Bühne schafft. Dafür gibt es mehrere Gründe: Vor allem das Fehlen von Hits. Zugabentaugliche Nummern wie "Nessun dorma" sucht man vergeblich. Ein weiterer Grund ist sicher auch die Handlung, die zu einem gewissen Klischee-Overkill tendiert. Puccini, sonst so effektsicher beim Coachen seiner Textdichter, hat mit diesem speziell für das amerikanische Publikum konzipierten Wildwest-Melodram dann doch etwas allzu tief in die Kiste gegriffen: Saloons, rauchende Colts, Lynchjustiz und als Showdown ein gezinktes Pokerspiel um Tod und Sex. Am Schluss macht Minnie, das Mädchen aus dem Westen, durch die Kraft ihrer reinen Liebe einen Banditen zum Menschenfreund und eine mordgierige Männermeute zu versöhnungsbereiten Resozialisierungs-Helfern – da bleibt kein Auge trocken. 

Eine Frau beherrscht die Männerhorde

Natürlich kann das schnell ins Rührstückhafte kippen. Aber zum Glück für das Stück sind die Western-Klischees heute eben nicht mehr so omnipräsent wie früher. Und so kann man sich endlich relativ unbefangen auf die Stärken der Figurenkonstellation konzentrieren: Da ist ein Männerbund, die Goldschürfer, dessen Gruppendynamik zwischen Brutalität und Sentimentalität wirkungsvoll dramatisiert wird. Dann zwei männliche Hauptfiguren, beide ambivalent: der unsympathische Sheriff, natürlich Bariton, der sich dann aber doch an sein Wort hält. Und der sympathische Outlaw, natürlich Tenor, der zwar Minnies Herz erobert, sich aber als Bandit entpuppt. Und dann die Hauptfigur – Minnie, eine Frau, die ganz auf sich gestellt die scheinbar übermächtige Männerhorde beherrscht.

Die Inszenierung in Bildern

Auf den zweiten Blick eigentlich gar nicht so schlecht, diese Story. Und dann erst die großartige Musik: nervös, flackernd, immer auf dem Sprung, mit Suspense und kraftvoller Dramatik. Was für eine reiche, experimentierfreudige Harmonik! Was für ein farbiger, immer überraschender Orchesterklang! Toll, das endlich wieder mal auf der Bühne zu erleben.

Handlung ohne Western-Klischees

Minnie bedroht Jack Rance | Bildquelle: © W. Hösl Auch den Sheriff hat Minnie im Griff | Bildquelle: © W. Hösl Regisseur Andreas Dresen tilgt sorgfältig alle Western-Klischees, umschifft so alle Risiken und stellt sich bedingungslos in den Dienst der Geschichte. Man kann das brav nennen, aber geschickt gemacht ist es durchaus. Dresen verlegt die Handlung unauffällig ins Heute, vermeidet dabei Verrenkungen ebenso wie weiterführende Ideen. Die Bühne ist dunkel und weitgehend abstrakt. Die Personenregie setzt auf die Profilierung von Typen: John Lundgren als fies-glatzköpfiger Sheriff in Bomberjacke, Brandon Jovanovich als charmant verpeilter Kleinkrimineller und Anja Kampe als starke Frau mit großem Herz und beiden Beinen im Leben. 

Gut, aber nicht überragend

Gesungen wird gut, aber nicht überragend. John Lundgren füllt mit seinem kraftvollen, gut fokussierten Bariton die Rolle, Brandon Jovanovich hat ein sehr angenehmes, etwas geheimnisloses Timbre, vermeidet geschmackssicher tenorale Schluchzer, bleibt aber die großen Gefühle schuldig. Anja Kampe gestaltet intensiv, überzeugt in der Mittellage, kann aber die Stimme nicht mehr so berückend aufblühen lassen wie früher. Trotzdem bringt sie durch musikalische Impulsivität und charismatische Bühnenpräsenz die stärkste darstellerische Leistung des Abends. 

Großartiges Orchester

Großartig klingt das Bayerische Staatsorchester. Vor lauter Freude an der Farbenpracht der Partitur lässt Dirigent James Gaffigan die Musiker leider oft viel zu laut spielen – leicht haben's die Sänger wirklich nicht. Trotz aller Einschränkungen: ein hörens- und sehenswerter Abend, der eine tolle, nicht unproblematische Oper endlich wieder zugänglich macht.

Informationen zu Terminen, Besetzung und Tickets finden Sie auf der Homepage der Bayerischen Staatsoper

Sendung: "Allegro" am 18. März 2019 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 18.März, 16:10 Uhr

Dr. Dietmar Ebert

Kritik La fanciulla del West

Ich hatte wie fast immer "Bayern 4 Klassik" eingeschaltet, wusste zunächst nicht, welche Musik gespielt wurde, hatte dann aber bald erkannt, dass es das "Mädchen aus dem goldenen Westen" war.
Das war mitten im 1. Akt. Die Musik und das Gespräch mit Andreas Dresden haben mich dann so gefangen genommen, dass ich unbedingt die Oper bis zum Ende hören wollte, obwohl ich Anderes an dem Abend geplant hatte. Ich wurde nicht enttäuscht und war am Ende völlig fasziniert, von Puccinis sehr modernem Parlando-Stil. Ich kann nur vom Höreindruck urteilen, teile aber von dem, was ich gehört habe, den Eindruck von Bernhard Neuhoff sehr. Mag sein, dass Puccini mit seinem Librettisten wenig Glück hatte, aber was er musikalisch daraus gemacht hat,
vor allem wie er orchestriert hat, ist genial. Die Rundfunkübertragung hat mir große Lust gemacht, Puccinis selten gespielte Oper in München anzuschauen.

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