Fantastische Musik, aber kein wirklich gutes Stück: Bei den Münchner Opernfestspielen hatte im Prinzregententheater "Capriccio" Premiere, die letzte Oper von Richard Strauss. Die Starbesetzung mit Diana Damrau und Pavol Breslik zahlt sich aus. Die Inszenierung von David Marton setzt den Schwächen des Stücks jedoch zu wenig entgegen.
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Altwerden ist nichts für Feiglinge. Das gilt auch für Komponisten. Sicher, es gibt bemerkenswerte Fälle, wo die Musik mit zunehmendem Alter immer besser, immer inspirierter, immer aufregender wurde. Beethoven zum Beispiel. Bei anderen brennt die Flamme im Spätwerk kleiner, aber heißer. Zum Beispiel bei Brahms. Und wie ist das bei Richard Strauss? Hier endet die allgemeine Einigkeit. Tatsache ist, dass seine späten Opern sehr selten gespielt werden und seine frühen Opern zwischen "Salome" und "Frau ohne Schatten" sehr häufig. Um ein wahrer Strauss-Fan zu sein, muss man an dieser Stelle sofort versichern, dass das aber echt ungerecht ist. Dass gerade die späten Opern, "Capriccio" zum Beispiel, wahre Wunderwerke seien. Nur halt so überaus raffiniert und subtil, dass das breite Publikum… und so weiter.
Szene aus der Oper "Capriccio" bei den Münchner Opernfestspielen 2022 - mit Diana Damrau und Michael Nagy | Bildquelle: Wilfried Hösl
Was daran richtig ist: Strauss hat zwar im Alter viel weniger riskiert und die in jungen Jahren eroberten Mittel nicht mehr erweitert, sondern den Kreis bewusst enger gezogen. Trotzdem braucht die Musik seiner letzten Oper den Vergleich mit dem Frühwerk nicht zu scheuen. Da gibt es betörende Farben, witzige Zitate und immer wieder dieses unwiderstehliche Schwelgen und Gleiten, das einem den Boden unter den Füßen wegzieht und dabei einen geradezu körperlich intensiven Genuss bereitet. Trotz toller Musik ist "Capriccio" keine gute Oper. Ständig steht das Stück auf der Kippe zur redseligen Langeweile. Das liegt am Libretto. Zwar geht es auf eine Idee von Stefan Zweig zurück. Doch der wurde von den Nazis ins Exil gezwungen und hatte sich zum Zeitpunkt der Uraufführung bereits umgebracht. Also dokterten ein schriftstellernder Theaterwissenschaftler, zwei Dirigenten und der Komponist selbst am Textbuch herum.
Was dabei hätte entstehen sollen, war eine Oper über die Schwierigkeit, eine Oper zu schreiben, Figuren, die ihre Geschichte selbst erfinden, Theater auf dem Theater, wie zwei Spiegel, die sich selbst bespiegeln. Das hätte sehr reizvoll werden können – auch wenn es ein Maximum an Verdrängung braucht, um ein so komplett wirklichkeitsbefreites Stück ausgerechnet während der realen Gewaltorgien des 2. Weltkriegs zu komponieren. Dieser moralische Einwand verblasst allerdings angesichts der tristen Effektlosigkeit, mit der die vorhersehbaren Gags auf der Bühne verpuffen.
Szene aus der Oper "Capriccio" bei den Münchner Opernfestspielen 2022 - mit Diana Damrau (links) | Bildquelle: Wilfried Hösl
Man sieht ein Rokoko-Theater samt Bühne im Querschnitt. Die schöne Gräfin, Diana Damrau im Goldglitzerkleid spielt sie arg gemütvoll, muss sich zwischen einem Dichter und einem Komponisten entscheiden. Das fällt ihr verständlicherweise schwer, da die Rivalen alle beide nicht viel mehr als allegorische Aufziehmännchen sind. Regisseur David Marton, dessen Inszenierung bereits in Lyon und Brüssel zu sehen war, versucht nur halbherzig, der Proseminar-Anmutung dieser endlosen Diskussionen über das Verhältnis von Wort und Ton szenisch irgendwas entgegen zu setzen. Man sitzt mal im Parkett, mal im Stuhlkreis auf der Bühne und erörtert die Vor- und Nachteile verschiedener Opernstile. Die Kostüme verweisen auf die Zeit der Uraufführung 1942. Doch die Realität des 2. Weltkriegs, der wohl da draußen wütet, wird nur verklausuliert angedeutet. Ein Ballettmädchen wird gedrillt, später sieht man eine Art Flüchtlingszug. Das alles bleibt vage, zahnlos und über weite Strecken statisch. Am besten gelingt noch die große Spiegelszene: Die Gräfin sieht sich selbst zugleich als Mädchen und alte Frau. Nur hat Strauss eine ähnliche Spiegel-Szene in jungen Jahren schon unvergleichlich viel besser komponiert – im "Rosenkavalier". Da hatte er ja auch ein gutes Textbuch. Altwerden ist eben nichts für Feiglinge.
Dirigent Lothar Königs ist kein Klangmagier, aber ein versierter Kapellmeister, der bis auf ein paar Unsicherheiten während der italienischen Arien die Fäden zuverlässig in der Hand hat. Gesungen wird durchgehend exzellent. Michael Nagy als Graf tut es kraftvoll, fast etwas zu robust. Pavol Breslik als Komponist lässt dagegen auch stimmlich seinen Charme spielen. Seinen Konkurrenten, den Textdichter, singt der großartige Vito Priante mit warmem, perfekt fokussiertem Bariton. Und Diana Damrau hat ein fantastisches Piano und in der Höhe nichts, oder fast nichts, von ihrer Mühelosigkeit verloren. Stimmlich reifen und trotzdem jung bleiben – Diana Damrau gelingt das bewundernswert.
Sendung: "Allegro" am 18. Juli 2022, um 6:05 Uhr, auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Freitag, 22.Juli, 12:03 Uhr
Klaus Thiel
Nochmals CAPRICCIO
Sehr gefiel mir, wie Königs das Mondschein-Zwischenspiel zärtlich "wie in Anführungs-Zeichen" musizierte - als wüsste er zu gut, dass diese Musik seinerzeit im "Krämerspiegel" aus dem Wort "Till Eulenspiegel" entstand.
Freitag, 22.Juli, 11:43 Uhr
Klaus Thiel
Capriccio
Das Einbeziehen der Aktualität von 1942 allein bringt nichts, außer dass es irritiert. Jonathan Miller hat 1993 in der Berliner Staatsoper sogar zitiert, dass eine seinerzeit hochgeschätzte Star-Sopranistin sich von SS-Offizieren ins Theater eskortieren ließ. Mich schmerzt stets, dass Strauss seine letzte Oper ausgerechnet dem Mann widmen musste, den er 1935 korrekt als "Bübchen von Minister" bezeichnet hatte - und der ihn von Herzen hasste. David Marton hat wenigstens die immanente Langeweile der Oper wirksam gebrochen - scheint mir. Und auch die große Pause ist sinnvoll - sonst "macht man unbemerkt ein Schläfchen", am besten im musikalisch dürren Ballettchen.
Dienstag, 19.Juli, 15:19 Uhr
Wilfried Schneider
KRITIK – "CAPRICCIO" AN DER BAYERISCHEN STAATSOPE
Na ja, Capriccio ist eine Oper für Menschen, die vom Musiktheater mehr verlangen, als nur unterhalten zu werden. Wer diese Oper einmal zum Beispiel mit Sawallisch oder, in letzter Zeit, mit Thielemann gehört hat, wer Sinn für die raffinierte Schönheit dieser Musik hat und wer Freude an den "Hinterfotzigkeiten" des Librettos und der Partitur hat, wird wohl kaum mit der Meinung z. B. des Herrn Betz übereinstimmen. Abgesehen davon halte ich die billige und heute leicht von der Hand gehende Kritik von Ideologen, die nicht wissen wollen oder nicht nachvollziehen können, welchen Gefahren und welcher Willkür Menschen, die in Diktaturen leben mussten, ausgeliefert sind, für (vorsichtig ausgedrückt) ziemlich unverschämt. Ich hoffe, dass diese Herrschaften derartige Lebensumstände niemals kennenlernen müssen.
Dienstag, 19.Juli, 10:48 Uhr
Oliver Betz
Warum holt man Capriccio aus der Schublade
Ich kann der Kritik nur zustimmen: Auch wenn die Orchestrierung sehr schön ist, das Libretto und die unendlichen Rezitative sind wirklich schwer erträglich. Ab mit der Oper in die Schublade und drin lassen. Es gibt so viele bessere und schönere Opern als diese. Man möchte den Monaco Franze zitieren.