Mehr als 150 Opern spielen in Sevilla, sagt Cecilia Bartoli. Seit 2012 leitet die italienische Mezzosopranistin die Salzburger Pfingstfestspiele und rückt in diesem Jahr die südspanische Stadt in den Fokus, um dem berühmtesten italienischen Opernklassiker mit Schauplatz Sevilla frischen Wind einzuhauchen – Gioacchino Rossinis "Barbiere di Siviglia". Die Rolle der Rosina singt sie selber, als Regisseur hat sie sich Rolando Villazon geholt. Am 3. Juni hatte die Oper Premiere in Salzburg. Das Ergebnis: ein umjubelter Triumph.
Bildquelle: Monika Rittershaus
Strahlendes Licht, glühende Hitze und berauschender Orangenblütenduft – dafür steht Sevilla, sagt uns zumindest das Programmheft dieser Produktion. Rolando Villazons Sevilla ist ein anderes; ein vergangenes und noch einmal sehnsüchtig beschworenes. Eins in einem nüchternen Art-Deco-Setting in Sepia, Schwarz und Silber. Ein Filmvorführer nutzt jede freie Minute, um sich Schwarz-Weiß-Klassiker mit seiner Diva anzuschauen – Cecilia Bartoli, als Piratin, als Cleopatra, überlebensgroß an die Häuserwände projiziert. Und dann kommt der Moment, den wir von Woody Allen kennen: die Filmhelden treten aus der Szene heraus und geben "Once upon a time in Sevilla". Den ganzen Abend hindurch gehen diese beiden Welten ineinander über. Arturo Brachetti, ein italienischer Variétékünstler, spielt die stumme Rolle des Filmfans melancholisch-verträumt und bindet die Szenen mit unwiderstehlichem Charme zusammen. Er wird für sein zauberisches Agieren im Zwischenreich von Illusion und Realität vom Publikum gefeiert.
Szene aus der Rossini-Oper "Il Barbiere di Siviglia" bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2022 | Bildquelle: Monika Rittershaus
Villazons Regiearbeit erinnert an eine der schönsten Opernproduktionen des großen Jean-Pierre Ponnelle – Rossinis "Cenerentola" vor vielen Jahren in München. Villazon choreographiert jede Note der Partitur. Nie steht die Musik für sich. In jedem Augenblick wird sie begleitet, getragen, kommentiert – durch Blicke, Gesten, Tanzschritte. Villazon setzt eine perfekt ablaufende Maschinerie in Gang – und kann sich auf hinreißende Sänger-Darsteller verlassen: Figaro Nicola Alaimo ist trotz seines umfangreichen Körpers (den er mit nie lächerlich machender Selbstironie immer wieder mit inszeniert) unglaublich anmutig auf dem Roller unterwegs und explodiert schier stimmlich in seiner ersten Arie. Don Basilio, auch das ein Filmzitat, kriecht vor seinen Auftritten immer erst als riesiger Schatten über die Häuserwände; die Dämonisierung gelingt großartig. Ildebrando d’Arcangelo ist eine Luxusbesetzung.
Edgardo Rocha als Graf Almaviva braucht ein wenig, bis die Koloraturen perlen, aber nach seinem funkensprühenden Duett im 2. Akt mit Cecilia Bartoli fürchtet man wegen des nicht enden wollenden Jubels kurz um die Fortsetzung des Abends. Die Diva klingt eine Spur herber als früher, aber sie gurrt und giggelt wie eh und je, und nach wie vor einzigartig sind Beweglichkeit und intonatorische Präzision. Von imponierender Kraft der fast 70-jährige Alessandro Corbelli in der Rolle des alten Bartolo, der seinen Traum von der jungen Ehefrau begraben muss – und den man in seiner Verlorenheit sofort tröstend in den Arm nehmen möchte.
Szene aus der Rossini-Oper "Il Barbiere di Siviglia" bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2022 | Bildquelle: Monika Rittershaus
Die fabelhaften Musiker und Musikerinnen des Originalklang-Orchesters Les Musiciens du Prince unter Gianluca Capuano geben alles zurück, was ihnen von der Bühne entgegenschallt: sie jauchzen und fauchen, schimpfen und jubeln auf ihren Instrumenten. Also alles eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Der Theaterzauberer Rolando Villazon beschließt diesen federleichten Abend mit einer kleinen Entzauberung: Während Rosina das glückliche Ende feiert, flirtet Almaviva schon mit einer anderen. Die unbedingte Liebe gibt's halt nur im Film.
Sendung: "Piazza" am 4. Juni 2022, ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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