Im Fokus der Oper "Die Teufel von Loudun" stehen erotische Fantasien einer Nonne und Ausschweifungen eines Priesters. Daraus entsteht eine Gemengelage, die sogar einen Exorzismus nach sich zieht – Teufelsaustreibung. Im Rahmen der Münchner Opernfestspiele kommt Krzysztof Pendereckis radikales Werk nun auf die Bühne der Bayerischen Staatsoper. Aus diesem Anlass stellt BR-KLASSIK-Opernredakteur Volkmar Fischer das Werk vor..
Bildquelle: Wilfried Hösl
Die westfranzösische Kleinstadt Loudun liegt zwischen Nantes, Angers, Tours und Poitiers. Dort wird 1616 ein Vertrag geschlossen: Hugenotten bekommen Religionsfreiheit und eine Reihe von Rechten zuerkannt. Doch Kardinal Richelieu, erster Minister König Ludwigs XIII., ist Loudun ein Dorn im Auge. Er will die Autonomie des Gemeinwesens demonstrativ brechen, die Schleifung der Stadtmauern vorantreiben. Soll etwa unter dem Schutz der Befestigungsanlagen eine Hugenotten-Kolonie gedeihen? Eine Insel des Widerstands? Richelieu schickt seine Häscher und Schergen los – eine Horde von "Seelenteufeln".
Martin Winkler als Vater Barré und Ausrine Stundyte als Jeanne | Bildquelle: Wilfried Hösl
Im Zuge dessen will der Klerus sich Urbain Grandier vom Hals schaffen: kein gewöhnlicher Geistlicher, sondern ein liberaler Geist. Ein vernünftiger Aufgeklärter, dessen Gesprächspartner Bürgermeister und Stadtrichter sind. Natürlich tritt er für die Verschonung der Stadtmauern ein. Es gilt, den Mann zu beseitigen: Grandier, den "Gran Dieu" von Loudun! Man beschuldigt ihn der Ketzerei, Hexerei und Zauberei, der schwarzen Magie, Blasphemie und Teufelsbündelei. Der Priester soll ein Schuldgeständnis unterschreiben doch er hat nichts zu gestehen, außer seinen Beziehungen zu Frauen, was niemanden interessiert. Woher das Beweismaterial für die Berechtigung der Vorwürfe nehmen? Es wird auf Biegen und Brechen herbeigeschafft.
Aber nicht nur Grandier hat die glücklichsten Tage seines Lebens hinter sich – auch die Priorin des Ursulinenklosters, Jeanne. Sie erträgt den Makel ihres Buckels in der Hoffnung, sie habe zur Kompensation wenigstens schöne Augen. Sie erträgt ihre unbefriedigte Sexualität, ihre unerhörte und ungestillte Leidenschaft für Grandier. Die Leute Richelieus verfolgen mit der seelischen und körperlichen Zerstörung Jeannes nur das eine Ziel: Geständnisse abzupressen, die einen unbequemen Zeitgenossen Kopf und Kragen kosten sollen. Im Prozess werden die Wunsch- und Wahnvorstellungen der Priorin von den Handlangern zur benötigten Teufelsbesessenheit aufgeputscht. Sie werden als Vorwand benutzt, Grandier zu stürzen.
Ulrich Reß als Vater Mignon, Martin Winkler als Vater Barré und Ausrine Stundyte als Jeanne | Bildquelle: Wilfried Hösl
Der klerikal sich aufspielende Inquisitoren- und Exorzisten-Apparat verbündet sich mit den Denunzianten und Intriganten der Kleinstadt. Hand in Hand stellen sie eine alte Doktrin der Kirche, ein Credo des Heiligen Chrysostomus auf den Kopf: "Daemoni etiam vera dicenti non est credendum / Dem Teufel ist nicht zu glauben, wenn er auch die Wahrheit spricht." Was ein vom Teufel besessener Mensch freiwillig oder unter Druck aussagt, kann für juristische Zwecke als unumstößliche Wahrheit benutzt werden. Anders gesagt: Die Lüge des Teufels wird als willkommene Wahrheit gehandelt, wenn sie der destruktiven Strategie des Terrors und des Justizmordes gilt. Im Mittelalter sowieso – aber eben auch noch im Zeitalter der Aufklärung, siehe Loudun.
Krzysztof Penderecki ist nicht der erste Pole, der sich vom Stoff angezogen fühlt: "Mutter Johanna von den Engeln" lautet der Titel einer während des Zweiten Weltkriegs erschienenen Erzählung von Jaroslaw Iwaszkiewicz – und eines Films von Jerzy Kawalerowicz. Die Handlung wird hier nach Polen verlegt, während der originale Schauplatz der wahren Begebenheiten, Loudun, eine westfranzösische Kleinstadt im heutigen Departement Vienne ist. Zur episch-dramatischen Mischform der Oper haben jedoch die beiden Libretto-Vorlagen britischer Herkunft beigetragen: eine historische Dokumentation von Aldous Huxley (1952) und das darauf basierende Theaterstück von John Whiting (1961).
BR-KLASSIK überträgt die Premiere von "Die Teufel von Loudun" live aus der Bayerischen Staatsoper am Montag, 27. Juni 2022, ab 18:30 Uhr. Im Radio und im Video-Livestream. Sowohl die Radio- als auch die Videoübertragung sind drei Wochen nach Ausstrahlung unter br-klassik.de zum Anhören und -schauen verfügbar. Einen Vorbericht zur Premiere finden Sie hier.
Szene aus "Die Teufel von Loudun" an der Bayerischen Staatsoper, die am 27. Juni 2022 Premiere hat | Bildquelle: Wilfried Hösl
Über nahezu lückenloses Faktenmaterial verfügte Huxley für seine "Devils of Loudun". Denn schon 1634, im Jahr der Verbrennung Grandiers, erschien die erste Chronik des Prozesses, präsentiert vom hugenottischen Pfarrer Aubin, einem damaligen Augenzeugen. Ein Jahrzehnt später kam die autobiografische Erzählung der Priorin Jeanne hinzu. Warum fiel die Wahl des Librettisten Penderecki für seine Oper auf die deutsche Sprache? Weil er mit Erich Frieds deutscher Übertragung des Schauspiels von John Whiting gearbeitet hat. Interessant sind die Unterschiede: Erich Fried erfindet etwa einen Kloakenreiniger, der im Stück eine distanzierende und reflektierende Funktion hat. Shakespeares Totengräber aus "Hamlet" lässt grüßen. Dass Penderecki auf den Kloakenreiniger bewusst verzichtet, ist ein Bekenntnis zur historischen Wahrheit. In die gleiche Kerbe schlägt er durch die Entscheidung, Grandiers Lateinlektüre erotischer Schriften zu eliminieren – so publikumswirksam sie auch für die Oper gewesen wäre.
Penderecki hat mit den Szenen des Dramas geradezu jongliert: Den Schluss stellt er einfach an den Anfang! Als Rache-Projektion. Und dass der Prolog das Ende vorwegnimmt, schadet dem Finale nicht: Die Verbrennung Grandiers wird in der Oper sichtbar, während in der Vorlage nur ein Gespräch darüber stattfindet. Auch die für Jeanne wichtige Weigerung des Pfarrers, Beichtvater im Kloster zu werden, hat Penderecki weit vorverlegt. Überhaupt interessiert er sich sehr für die weibliche Hauptfigur: Jeanne greift zu einem Betrugsmanöver, indem sie ihre verdrängten sexuellen Gelüste in eine Massenhysterie der Nonnen verwandelt.
Ausrine Stundyte als Jeanne in "Die Teufel von Loudun" | Bildquelle: Wilfried Hösl
Huxley und Whiting geht es auch um eine Warnung vor dem Hintergrund von Stalins sogenannten Säuberungsprozessen in der Sowjetunion und der im Kalten Krieg von Senator Joseph McCarthy in den USA durchgeführten Hexenjagd auf Kommunisten. Bezeichnenderweise wurde die deutsche Premiere von Whitings Dramatisierung 1962 im Berliner Schiller-Theater auf klerikalen Einspruch hin abgesetzt. Auch Pendereckis gesellschaftliches Engagement steht außer Frage. "Die Teufel von Loudun" sind ein humanistisches Bekenntnis zu Toleranz. Penderecki klagt allgemein Ignoranz an. Die Oper statuiert ein Exempel für menschliche Barbarisierung, die entsteht, wenn Transzendenz zweckbestimmt instrumentalisiert wird.
Mit der für ihn damals, Ende der 1960er Jahre, typischen atonal-postseriellen Musik arbeitet Penderecki in den "Teufeln" grundsätzlich sparsam. Gestisch, theaterspezifisch ist die Komposition aber jederzeit. Liegeklänge, Cluster und psalmodierende Repetitionen bestimmen die Kloster- und Kirchenszenen. Die 30 Kurz-Szenen der Oper werden plastisch und atmosphärisch umrissen, auch wenn die Charaktere musikalisch kaum individuell gezeichnet sind. Der Deklamationsstil von Jeanne und Grandier scheint austauschbar. Umso prägnanter gelingen Orchester- und Chorpart, mit deren Magie Penderecki eine entscheidende Vertiefung des Geschehens erreicht. Die Dämonenszene wirkt beinahe wie Filmmusik: Das Höllische ist nichts anderes als eine Außenprojektion derer, die sie abwehrend beschwören, in Wirklichkeit aber selbst entfesseln. Aufwühlende Hektik verbreiten die heulenden Glissandi der orgiastischen Besessenheit. Penderecki beweist seine gestalterische Kraft bei den krassen Vorgängen – schneidend grell ist die Musik hier. So wird Geschichtliches seiner Zeitbezogenheit enthoben.
Sexszene aus "Die Teufel von Loudun" mit Ausrine Stundyte aus Jeanne und Nadezhda Karyazina als Ninon | Bildquelle: Wilfried Hösl
Ein Schlüsselsatz Grandiers lautet: "Seht das an, was ich bin, und lernet, was Liebe heißt". Zwischen Krzysztof Pendereckis erstem musiktheatralischen Werk "Die Teufel von Loudun" und seiner drei Jahre zuvor komponierten "Lukas-Passion" besteht eine unterirdische Verbindung – stilistisch wie inhaltlich. Aus dem Oratorium wird eine oratorische Oper, aus dem Leidensweg Christi eine tödlich endende Kampagne gegen einen Pfarrer. Für uns drängt sich ein Moment des Mitleidens in den Vordergrund: Unser Mitgefühl siegt über alle Schreckensmomente des Bühnengeschehens. Wenige Opern der Nachkriegszeit sind so oft nachgespielt worden wie "Die Teufel von Loudun".
Im Jahr 1975 kommt es zu einer realen Teufelsaustreibung in Klingenberg am Main. Die Studentin Anneliese Michel ist angeblich von Dämonen besessen. Ein Pfarrer im unterfränkischen Ettleben, Ernst Alt, wird mit Wissen seines Bischofs als Exorzist tätig. Die besessene Frau zerreißt währenddessen ihren Rosenkranz und brüllt fauchend mit fremden Männerstimmen. Nach wiederholter Teufelsaustreibung stirbt die 23-jährige Frau an Auszehrung. Ein Aschaffenburger Gericht verurteilt die Eltern des Mädchens und zwei Exorzisten, weil sie jede ärztliche Hilfe für die seelisch und körperlich Kranke abgelehnt haben. Ob man es glaubt - oder nicht.
Sendung: "Münchner Opernfestspiele live" am 27. Juni 2022, ab 18:30 Uhr, auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Donnerstag, 23.Juni, 00:50 Uhr
Rafael Segura
Live Übertragung
Wird diese Übertragung später aufrufbar sein? Da ich im Ausland mit einer 7
Stunden Zeitverschiebung bin, ist mir nicht möglich die Livesendung zu geniesen.
Sehr geehrter Herr Rafael Segura, danke für Ihre Frage: Sowohl die Radio- als auch die Videoübertragung werden über BR-KLASSIK drei Wochen ab Ausstrahlung verfügbar sein. Beste Grüße, das Online-Team von BR-KLASSIK.
Mittwoch, 22.Juni, 20:31 Uhr
Stephan Freyd
Die Teufel von Loudun
Finde es großartig, dass dieses Meisterwerk wieder gespielt wird. Leider gibt es nur die Uraufführung von 1969 ohne Schlusschor auf CD. Ist eine DVD- Veröffentlichung geplant? Würde mir dies sehr wünschen.