Vom Club ins Museum: Das international bekannte Avantgarde-Elektroduo Mouse On Mars bespielt seit Freitag den Kunstbau am Münchner Lenbachhaus. "Spatial Jitter" nennt sich ihre Soundinstallation: eine unendliche Etüde über die Körperlichkeit von Klängen.
Bildquelle: Lenbachhaus, Simone Gänsheimer
Der Raum macht die Musik – und die Musik den Raum. Normalerweise verstauben solche Sätze in Programmheften, oder Ausstellungstexten. Hier kann man sinnlich erleben, dass sie mehr sind als Floskeln. Man kann es hören, und spüren, körperlich, wie der Sound ständig die Raumsituation verändert, ihn erst ausleuchtet, weit macht, um ihn im nächsten Moment zusammensurren zu lassen, wegsausen, wendig wie ein lädierter Luftballon.
Hören bedeutet nicht nur, dass man seine Ohren benutzt.
Klang sei eben mehr als man mit dem Recorder einfangen könnte, meint Jan St. Werner im Interview. Zusammen mit Andi Thoma bildet er seit 1993 das Elektropop-Duo Mouse On Mars. Die Arbeit "Spatial Jitter" im Kunstbau am Lenbachhaus, das in den vergangenen Jahren immer wieder die Kunstsparten durcheinandergewirbelt hat, ist der erste Schritt der beiden in die Museumswelt. "Man kann das, was hier passiert, zwar aufnehmen", sagt Werner, "aber das hat nichts mit der Erfahrung zu tun, die man vor Ort macht. Hören bedeutet ja nicht, dass man seine zwei Ohren benutzt. Hören ist eine körperliche Erfahrung, bei der verschiedene Informationen verarbeitet werden, visuelle, aber auch taktile. Schließlich sind Klänge ja Luftbewegungen."
Dass Hören eine körperliche Erfahrung ist, dürfte jedem klar sein, der in seinem Leben auch nur einen Fuß in einen Club gesetzt hat. Jener Ort übrigens, den Mouse On Mars normalerweise bespielen. Ganz offensichtlich eine erkenntnisstiftende Erfahrung. Reicht aber auch, sich mal Bruckner im Konzert zu geben, eine Vollblechbeschallung, die alle Körperzellen in Vibration versetzt. Oder einfach den Feuermelder testen und schön das Trommelfell punktieren lassen! Das, was die Avantgarde-Elektroniker im Kunstbau veranstalten, bündelt solche Erfahrungen, ist eigentlich eine unendliche Etüde über dieses Thema.
Wir wollen nicht, dass die Leute schreiend rausrennen.
Ganz extreme Sounds hätte sie allerdings gemieden, erzählt Werner. "Wir wollen nicht, dass die Leute schreiend rausrennen. Wir wollen auch niemanden traumatisieren. Aber wir wollen schon an diese Grenze kommen, wo ein Klang gar nicht mehr so eindeutig als Klang zu definieren ist." Klänge haben eben einen Körper, eine Ausdehnung, eine Oberfläche – das macht "Spatial Jitter" eindrücklich klar. Die Sounds sind mal spitz, mal rund, mal diffus. Sie stubsen, schubsen, sticheln und stechen, oder sind einfach da, nebeln auf Kniehöhe durch den Kunstbau. Kurz: Sie berühren, in einem ganz unmetaphorischen Sinn.
Die Soundinstallation "Spatial Jitter" im Kunstbau am Lenbachhaus | Bildquelle: Lenbachhaus, Lukas Schramm
Der Gefahr, zu viel zu machen, die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher zu überfordern, seien sie sich durchaus bewusst gewesen, so Werner. "Wir haben also versucht, uns zurückzunehmen, gleichzeitig aber eine ständige Bewegung am Laufen zu halten." Das ist den beiden gelungen: In ein akustisches Spiegelkabinett haben Jan Werner und Andi Thoma den nackten Kunstbau verwandelt. Haben ein Verwirrspiel von Soundreflexionen komponiert. Subtil orchestriert durch wechselnde Lichtstimmungen. Und aufgeführt von einem Ensemble futuristisch anmutender Performer, ergo Lautsprecher, sämtlich selbstgebaut: darunter meterhohe schwarzen Staffellagen, mit drehbaren Köpfen, die den Klang wie Laserstrahlen in den Kunstbau funken, an jedem Ort im Raum also eine andere akustische Situation erzeugen.
Wir haben nicht die Zauberharmonie gesucht.
Noch auffälliger ist der schwenkbare Hornlautsprecher, der sich aufbäumt und kreischt, wie ein hungriges, tonnenschweres Saurierküken mit schmerzhaftem Stimmbandödem. Schönklang und New-Age-Happyness seien nicht das Ziel ihrer Arbeit gewesen, bestätigt Werner. "Wir haben nicht die Zauberharmonie gesucht, die Angehörigen aller Kulturkreise die Tränen in die Augen treibt. Uns ging es eher darum, eine fragmentarische Realität abzubilden."
Mit diesem Versuch, der Verbindung von Klang, Raum und Licht, knüpfen die beiden übrigens an eine lange Tradition an. Gerade hier: Matthias Mühling, Direktor des Lenbachhauses, verweist auf den Blauen Reiter, das Gravitationszentrum des Museums. Schon die damaligen Avantgarden hätten nach einer Verbindung der Künste gesucht, einer Einheit von Zeit und Raum, Sehen und Hören. Allen voran Wassily Kandinsky – ein Synästhetiker, wie Mühling betont. "Und in dieses Richtung geht es auch hier, wenn man sich konzentriert und in den Körper hineinhört." Kandinsky hätte das also gefallen. Vielleicht. Und auch unabhängig von Kandinsky: Wer das eigene Hören neu entdecken möchte, ist hier am richtigen Ort.
Die Installation "Spatial Jitter" ist noch bis zum 18. September 2022 im Kunstbau am Lenbachhaus zu sehen.
Sendung: Leporello, 8. April 2022 um 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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