BR-KLASSIK

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Eine Bilanz Das Musikjahr 2015

Die Geschichte der Musik ist seit Menschengedenken eine politische Geschichte. Musik macht mobil, Musik eint und wirkt gemeinschaftsbildend, Musik transportiert Botschaften, Protest, Lebensgefühl. In diesem Sinn wird das Musikjahr 2015 als ein sehr politisches in die Geschichte eingehen. Michael Atzinger mit einem Rückblick.

Tod des "Leipziger Revolutionärs" Kurz Masur

Musik und Politik: Kurt Masur, der geniale Musiker und charismatische homo politicus, verband beides. 27 Jahre lang prägte er als Gewandhauskapellmeister das Musikleben Leipzigs – und 1989 war er einer der federführenden Akteure der friedlichen Leipziger Revolution. Kurz vor Weihnachten ist Kurt Masur 88-jährig in den USA gestorben.

Keine politische Hetze vor dem Münchner Nationaltheater

Münchner Musikfreunde konnten sich 2015 glücklich schätzen - nicht nur, weil Generalmusikdirektor Kirill Petrenko samt seinem Bayerischen Staatsorchester von führenden deutschen Kritikern der Titel "Dirigent" beziehungsweise "Orchester des Jahres" verliehen wurde -, sondern weil der Max-Joseph-Platz vor dem Münchner Nationaltheater weder Pegida noch AfD gehörte. Dass sich deren kulturlose Hetzer in anderen Städten ausgerechnet Areale vor Musiktempeln für ihre Parolen aussuchten, wollte das Ensemble des Mainzer Staatstheaters nicht hinnehmen: es reagierte auf eine AfD-Kundgebung vor seinem Haus mit einer wirkungsvollen Darbietung von Beethovens „Ode an die Freude“ bei geöffneten Fenstern – was "wegen grober Störung nach dem Versammlungsgesetz" als Straftat geahndet wurde und dem Theater eine Anzeige der Polizei einbrachte.

Und doch kein Hügel-Verbot für Eva Wagner-Pasquier

Selbst Christian Thielemann wird es mittlerweile zuviel: Der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, der noch vor einigen Monaten um ein offenes Ohr für Pegida-Anhänger geworben hatte, schlägt nun eine Bannmeile um das historische Zentrum von Dresden vor. Von einer solchen sah sich im Sommer auch an einem anderen wichtigen Thielemannschen Einsatzort, Bayreuth, eine Noch-Festspielchefin bedroht: Eva Wagner-Pasquier: Die Mär von einem Hügelverbot für sie machte die Runde - von niemandem ausgesprochen, von niemandem bestätigt, aber in allen Medien geheimnisvoll raunend weitergereicht. Das war aber auch schon der politischste Aspekt dieser Bayreuther Festspiele. Kein Mitglied des Wagners-Clans hatte noch kurz vor dem Auftakt ein gehässiges Buch veröffentlicht; die Körper-Tattoos der Sängerinnen und Sänger waren wohl alle politisch korrekt. Und die kurzfristige Umbesetzung der Isolde war … äh, nun - jedenfalls kein Politikum. Genauso wenig wie der schadhafte Stuhl der Bundeskanzlerin. Selbst musikalisch ist alles im Lot: Thielemann wurde im Juni Musikdirektor in Bayreuth, Petrenko zur selben Zeit designierter Chefdirigent der Berliner Philharmoniker.

Salzburg leidet - nicht nur - unter Sparzwang

Die Festspielstadt Salzburg litt nicht nur an einem Interimsintendanten, der zuviel zu ungenügend inszenierte, sondern auch am Sparzwang: Die Zahl der Aufführungen tendierte mit 188 praktisch gegen Null. Anna Netrebko strahlte (wenn auch in einer Produktion von 2014), Placido Domingo ließ sich feiern für 40 Jahre auf der Bühne – und Regie-Altmeister Peter Konwitschny triumphierte mit einer Oper von Wolfgang Rihm.

Maestro Jansons verlängert beim BR-Symphonieorchester

Mariss Jansons beschenkte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit einer Vertragsverlängerung - und wurde zu Weihnachten auch von der Bayerischen Staatsregierung beschenkt: mit dem Kabinettsbeschluss zum Bau eines neuen Konzertsaals, der auch Heimstätte für die BR-Klangkörper sein wird.

Das Motto des Jahres stammt von der Dresdner Semperoper

Was war noch? Lang Lang hat keine neue CD, wohl aber ein Parfum auf den Markt geworfen - "Amazing" - allerdings mit viel zu viel Jasmin in der Herznote.  Dagegen hat die überaus bezaubernde Herznote der Madame Marguerite alias Catherine Frot die Kinozuschauer berührt - die Geschichte der so naiven wie unbeirrbaren dilettierenden Operndiva war der Musikfilm des Jahres. Das musikalische Motto des Jahres schließlich ist wieder ein politisches, stammt von der Dresdner Semperoper und empfiehlt sich für eine Wiederaufnahme 2016: "Herz statt Hetze - wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“.  

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