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Musiker im Exil "Ich weiß nicht, ob ich noch am Leben wäre"

War es früher die Flucht vor den Nazis oder dem Stalinismus, so bewegen heute die Zustände in Krisenländern wie Venezuela oder Syrien Künstlerinnen und Künstler dazu, ins Exil zu flüchten. Nicht nur haben sie Schreckliches erlebt und ihre Heimat verloren – sie stehen vor der Aufgabe, sich eine neue Existenz in der fremden Kultur aufzubauen. Eine Herausforderung für jeden einzelnen.

Wilbert Pepper | Bildquelle: © Alvise Predieri

Bildquelle: © Alvise Predieri

Wilbert Pepper hat schon mit so namhaften Dirigenten wie Gustavo Dudamel, Claudio Abbado oder Simon Rattle zusammengearbeitet. Der heute 23-jährige Kontrabassist hat als Junge im Teresa-Carreño-Youth-Orchestra in Venezuela mitgespielt. Neben dem Simon-Bolivar-Orchester zählt es als Teil des Musikförderprogramms El Sistema zu den berühmtesten Ensembles des Landes. Es ging alles so gut los: Der junge Wilbert besucht eine gute Schule, spielt bis zu dreißig Stunden Kontrabass in der Woche und darf mit dem Orchester nach Europa und Asien auf Tournee gehen.

Die Regierung instrumentalisiert das Orchester

Als Wilbert Pepper älter wird, merkt er, wie die Chavez-Regierung das Orchester immer stärker instrumentalisiert, besonders, als sich die Wirtschaftskrise verschärft: "Als alles kaputt gegangen ist, wollte die venezolanische Regierung, dass die Welt nur das Gute von Venezuela sieht – und das ist die Musik", sagt er. Es folgen Propaganda-Auftritte für Wilbert und seine Orchester-Kollegen: In China geben sie ein Konzert für den Sohn des venezolanischen Staatspräsidenten Maduro. Beim Mambo sollen sie ein freundliches Gesicht machen und tanzen, so wünschen es sich die Verantwortlichen von El Sistema.

Und ich habe gesagt: Nein, ich bin kein Clown. Sie nehmen Geld von Venezuela. Da bin ich nicht dabei.
Wilbert Pepper

Nach der Tournee sollen sie für die Regierung von Venezuela spielen. Da ist Wilbert Pepper 19 Jahre alt und schon nicht mehr im Orchester: "Ich bin einfach nicht mehr gekommen. Ich wollte nicht in diesem Kreislauf sein." Doch die Situation spitzt sich zu. Das Land steckt wirtschaftlich in der Krise, es gibt Unruhen auf den Straßen, Verhaftungen, Tote. Die Suche nach Essen wird für den jungen Musiker und seine Familie zum täglichen Kampf: "Es gibt so viele Waffen, so viel Hunger. Waffen und Hunger sind keine gute Mischung." Von der Krise zum Bürgerkrieg scheint es kein großer Schritt mehr zu sein. Wilbert Pepper flieht nach Europa.

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Thema Musik Live
Donnerstag, 14. Februar, 20:05 Uhr

Gäste: Michael Haas (Musikwissenschaftler und Produzent), Falko Hönisch (Sprecher des SEPO), Armin Nassehi (Soziologe), Mirjam Zadoff (Direktorin des NS-Dokumentationszentrums)
Avi Avital (Mandoline) und David Adorján (Violoncello) spielen Musik von Johann Sebastian Bach, Reinhold Glière, Zoltán Kodály, Erwin Schulhoff und Jörg Widmann
Moderation: Meret Forster

Fuß fassen im neuen Land

Syrian Expat Philharmonic Orchestra | Bildquelle: © picture alliance / AP Photo Bildquelle: © picture alliance / AP Photo Auch die Harfenistin Lousana Alzaim ist vor den Zuständen in ihrem Heimatland geflohen, ihr Instrument musste sie in Syrien zurücklassen. 2015 kam sie nach Bremen. Dann fand sie Unterschlupf beim Syrian Expat Philharmonic Orchestra (SEPO), einem fünfzigköpfigen Ensemble. Syrische Profi-Musiker spielen dort mit, sie leben in Deutschland, Schweden, Holland, Frankreich und Dänemark. Das Orchester bringt sie zusammen. Im Repertoire ist hauptsächlich traditionelle und moderne syrische Musik. Aber auch mit Nena, Samy Deluxe und Philipp Poisel sind die Musiker schon aufgetreten.

Wenn wir anfangen zu spielen, dann leben wir in einer anderen Welt, dann vergessen wir alles.
Lousana Alzaim

Fuß fassen in einem neuen Land - auch viele Komponisten müssen und mussten einen Neustart im Exil versuchen. Das ist in der heutigen vernetzten Welt einfacher als früher, aber problemlos läuft es in den seltensten Fällen. Wie gut der Neuanfang klappt, hängt von den einzelnen Musikerinnen und Musikern ab, meint Michael Haas, Musikwissenschaftler, Produzent und Mitglied bei exil.arte. Auch der Ort des Exils spielt eine wichtige Rolle: "Man spricht oft von 'innerem Exil', es gibt jedoch auch eine 'innere Rückkehr'. Komponistinnen und Komponisten haben nicht nur eine Heimat verloren, sie haben auch ein Publikum verloren. Sie komponieren dann im Exil oft für dieses verflossene Publikum Werke, die in der Schublade enden."

Inbegriff des Exilkomponisten: Walter Arlen

Der Komponist Walter Arlen, 1920 in Wien geboren, floh mit 18 Jahren vor den Nazis nach Chicago und wurde tatsächlich seiner Musiksprache nach Amerikaner. Die Lieder, Texte und Themen, die er musikalisch bearbeitete, blieben jedoch ganz europäisch. Walter Arleb sei der Inbegriff eines Exilkomponisten, meint der Musikwissenschaftler Michael Haas: "Er komponierte Werke, die ein amerikanischer Komponist seiner Generation nie hätte schreiben können. Auch ein österreichischer Komponist seiner Generation in Österreich hätte diese Inhalte nie so bearbeitet. Arlen komponiert also wie ein österreichischer Komponist im amerikanischen Exil: eine Synthese von europäischer Ästhetik mit amerikanischer Musik, ähnlich Samuel Barber, Aaron Copland und sogar André Previn."

Mit Stipendium nach Deutschland

Wilbert Pepper | Bildquelle: © Daniel Häker Bildquelle: © Daniel Häker Der venezolanische Kontrabassist Wilbert Pepper hat Glück und kann 2016 sein Heimatland verlassen: Er bekommt ein zweiwöchiges Stipendium der Internationalen Jungen Orchesterakademie im Rahmen des Bayreuther Osterfestivals. Inzwischen wohnt er in Deutschland und baut sich hier ein Leben als Musiker auf. Er ist offen für neue Einflüsse, hat einen Sprachkurs besucht, fühlt sich neben der Klassik in orientalischer Musik, Rap oder Pop und Rock zuhause. Zu Probespielen bei professionellen Orchestern war er bereits eingeladen - bislang ohne Ergebnis. Aber er lässt sich nicht unterkriegen. Viele seiner Auftritte spielt Wilbert Pepper wegen des Geldes, er unterstützt seine Familie in Venezuela. Das hat Priorität – künstlerische Ambitionen müssen hinter finanziellen Zwängen anstehen. Damit ist er nicht allein: Er weiß von vielen ehemaligen Kollegen von El Sistema, die sich inzwischen als Straßenmusiker in Mexiko und Chile durchschlagen. Und wie wäre sein Weg als Musiker in Venezuela weitergangen?

Ich weiß nicht, ob ich noch am Leben wäre. Wenn ich in Venezuela wäre, wäre ich zu den Demonstrationen gegangen. Und sie erschießen die Leute.
Wilbert Pepper

Sendung: Thema Musik Live am 14. Februar 2019 ab 20:05 Uhr Uhr auf BR-KLASSIK

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