Als Dirigentin hat sie es ganz weit nach oben geschafft: Oksana Lyniv ist Chefdirigentin an der Oper Graz. Leicht wurde es ihr auf ihrem Weg selten gemacht, immer wieder stieß sie auf Hürden. Im Interview berichtet sie von einem belastenden Vorfall, bei dem sie von ihrem Mentor Kurt Masur mit sexistischen Äußerungen beleidigt wurde.
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BR-KLASSIK: Dass so wenig Frauen Generalmusikdirektorin oder auch einfach nur Dirigentin sind, ist krass. Es gibt kaum einen anderen Beruf, der so ungerecht behandelt wird, was die Geschlechterverteilung angeht. Empört Sie das?
Oksana Lyniv: Der Dirigentenberuf ist ja sowieso relativ jung. Er ist ja erst vor knapp hundert Jahren überhaupt entstanden und noch vor hundert Jahren war die soziale Stellung von Frauen ja nicht wirklich gut entwickelt. Erst jetzt, Mitte des 20. Jahrhunderts, wurden die Frauen selbstständiger in ihrem Sozialleben. Natürlich dauert das ein bisschen, bis die Frauen in diesen Beruf auch ankommen. Aber jetzt werden es ja immer mehr und auch immer mehr sind erfolgreich.
BR-KLASSIK: Hatten Sie das Gefühl, benachteiligt zu sein auf Ihrem bisherigen Weg?
Oksana Lyniv: Ja, der Start ist für jede Frau sehr schwierig. Auch noch vor 10, 15 Jahren, als meine Generation gerade mit dem Studium fertig war, gab es nur ganz wenige Frauen, die überhaupt erfolgreich im Dirigieren waren. Das war schwierig. Wenn ich mich bei Agenturen gemeldet habe, dann bekam ich zu hören: Mit Frauen dauert das sehr lang und es gibt auch keine Garantie, dass etwas daraus wird. Deswegen waren nur sehr wenige an einer Zusammenarbeit interessiert.
Es gibt jetzt ein gewisses Interesse und eine Neugier, Frauen am Pult vorzustellen.
Jetzt ist es eher andersrum: Man merkt, dass sehr viele Orchester Interesse haben, mal eine Frau zu einem Konzert oder zu einem Projekt einzuladen. Ich selbst bekomme sehr viele Anfragen. Ich kann gar nicht so viele Gastdirigate machen, wie ich Anfragen bekomme. Man merkt also: es gibt jetzt ein gewisses Interesse und eine Neugier, Frauen am Pult vorzustellen.
BR-KLASSIK: Sie hatten natürlich in Kirill Petrenko einen großartigen Förderer. Was waren denn die harten Punkte? Gab es jemanden, der Ihnen gesagt hat: „Du bist eine Frau, du bist ein Mädchen, du wirst es nie können“?
Oksana Lyniv: Zu Kirill Petrenko bin ich ja relativ spät gekommen. Das war ja schon 2013/2014. Ich war davor eigentlich schon fertige Dirigentin, ich beherrschte das Handwerkliche schon. Mit Petrenko - das war wirklich die schönste Zeit. Bei ihm konnte ich noch mal lernen, wirklich die Details in der Probenarbeit umzusetzen, ich lernte seinen unglaublichen Interpretations-Stil kennen, überhaupt das ganze Repertoire. Die schwerste Zeit war wirklich der Anfang. Nicht für jeden Dirigenten ist der Anfang schwer. Nur für Frauen. Jeder kämpft mit Unsicherheit und damit, dass er noch keine Erfahrungen hat. Es ist nur so, dass die Männer meistens mehr Unterstützung bekommen und bei Frauen hört man oft: "Sie kann das nicht, weil sie eine Frau ist“. Einem Mann gelingt etwas nicht, weil er noch zu jung ist - aber sehr begabt. Eine Frau hört einfach sehr selten solche motivierenden, unterstützenden Phrasen.
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BR-KLASSIK: Können Sie uns ein Beispiel von einer sehr diskriminierenden Äußerung geben?
Oksana Lyniv: Ich kann nur sagen, dass der Meisterkurs mit Kurt Masur sehr schwierig war. Das war in Leipzig während des Hochschulstudiums. Er hat sich von über 50 verschiedenen Bewerbern selbst nur neun Teilnehmer ausgesucht. Ich war die einzige Frau und alle anderen waren Männer. Beim Vordirigat hat er sich begeistert über meine Dirigiertechnik geäußert. Aber dann bei den Proben, die nächsten zwei, drei Tage, war es wirklich hart, weil man gemerkt hat, dass er sehr gemein und wirklich kritisch zu mir war und sehr beleidigende Phrasen geäußert hat. Heutzutage, wo es die MeToo-Bewegung gibt, wäre das unmöglich. Ich meine zum Beispiel seine Worte: "Was stehst du so sexy da? Denkst du, so wird dich jemals jemand ernst nehmen?“ Das wäre jetzt unmöglich. Aber ich war damals überhaupt nicht extra auffallend angezogen, sondern wirklich ganz schlicht mit einer bis zum Hals zugeknüpften Bluse und Hosenanzug. Ich war sehr ernst und es war auch ein sehr schwieriges Programm mit Werken von Liszt und Mendelssohn.
Es war wirklich sehr schwierig, diese Proben zu überstehen.
Das ganze Orchester mit jungen Studenten der Leipziger Hochschule war selbst erschrocken über die Art. Es war wirklich sehr schwierig, diese Proben zu überstehen. Er war ein Mentor für uns, ein großer Star in der klassischen Welt. Mein Professor aus Dresden war damals auch bei den Proben anwesend. Er kam danach natürlich zu mir und hat nur gesagt, dass es ihm sehr leidtut, dass Masur aus einer älteren Generation stammt und es für ihn schwierig ist, zu verkraften, dass jetzt Frauen dirigieren. Aber dann im Konzert, als wir alle dirigiert haben und mein Auftritt auch ein großer Erfolg war, hat er vor dem Publikum kokettiert und schön gesprochen. Das waren für mich zwei ganz verschiedene Gesichter damals im Meisterkurs.
BR-KLASSIK: Das ist echt hart. Das war ja ganz klar eine sexistische Äußerung. Haben Sie ihm direkt etwas erwidert oder ging das nicht?
Oksana Lyniv: Nein, habe ich nicht. Man ist so fassungslos. Stellen Sie sich vor, es sind 60 Orchestermusiker vor Ihnen, junge Menschen, Studenten. Dann sitzen da wiederum noch zehn Teilnehmer des Kurses und hinter Ihnen ist ein Saal mit Zuschauern. Es war so unterwartet und irgendwie unfassbar. Da kann man wirklich nichts sagen und nicht sprechen. Solche Erfahrungen waren sehr hart. Zu dieser Zeit war er schon um die 80 Jahre alt und wir wissen ja alle, dass bis in die Achtzigerjahre keine einzige Frau in seinem Orchester gespielt hat.
BR-KLASSIK: Frau Lyniv, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und die Offenheit.
Sendung: "Leporello" am 15.11.2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Montag, 19.November, 16:03 Uhr
Skeptiker
Wo beginnt Sexismus?
Was für ein Unsinn! - Stein des Anstoßes ist also das Masur-Zitat: "Was stehst du so sexy da? Denkst du, so wird dich jemals jemand ernst nehmen?“. Das ist sicherlich kein höflicher, freundlicher Satz, flapsig formuliert und aus dem Zusammenhang gerissen. - Aber sexistisch soll das sein? Das ist absurd und zeugt von fehlendem Urteilsvermögen aufseiten des BR. ("Das ist echt hart. Das war ja ganz klar eine sexistische Äußerung.") - Peinlich wie unter dem Etikett MeToo versucht wird, banalste Dinge zu kriminalisieren.