In der Nacht auf Montag wurden in Los Angeles die Oscars vergeben. In der Kategorie "Best Score" überzeugte die Musik zum Animationsfilm "Soul" die Academy, entstanden im Teamwork zwischen dem Filmmusik-Duo Trent Reznor und Atticus Ross und dem Jazzmusiker Jon Batiste. James Newton Howard konnte auch bei seiner zehnten Nominierung keinen Preis mit nach Hause nehmen. Und bei der Verleihung, die diesmal in einer alten Bahnhofshalle stattfand, fehlten nicht nur viele Gäste sondern auch eine ganz entscheidende Zutat.
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Die Untermalung der Oscar-Zeremonie lag heuer ganz in den Händen von "Questlove", angesehener Hip-Hop-Produzent und Schlagzeuger. Vier Stunden lang bemühte er sich in goldenen Crocs hinterm DJ-Pult stehend um stimmungsvolle musikalische Akzente bei einer eher faden Show. Eins der größten Probleme: Keine Live-Musik der für den Besten Song nominierten Künstler, die sonst immer allesamt auf der Bühne im Dolby Theatre ran dürfen und nicht selten hochemotionale Auftritte hinlegen. Außerdem: wenig Gäste, die üblichen langatmigen Dankesbekundungen rückten noch stärker ins Zentrum als sonst.
Der Musiker Questlove am DJ-Pult in der Union Station | Bildquelle: © Richard Harbaugh/AMPAS/ZUMA Wire/ZUMAPRESS.com
Cineastischer sollte diese Show werden, trotz Corona-Pandemie wollte die Branche die Macht von Kreativität und großen Emotionen zelebrieren. In der Union Station in LA, einer alten Bahnhofshalle, denn ein viel größeres, nur vereinzelt besetztes Dolby Theatre wäre natürlich allein schon ein Stimmungskiller gewesen. Doch das mit dem großen Kino, das klappte nur für die ersten Minuten, die wie ein Filmvorspann angelegt waren und bei denen die Kamera in kunstvollen Einstellungen die erste Laudatorin des Abends, Regina King, auf dem Weg in die Union Station begleitete. Am Ende war das einzige weitere Highlight der lässig geschwungene Hintern von Glenn Close bei einer spontanen Tanzeinlage.
Trotzdem war diese Oscar-Verleihung wichtig – zum zweiten Mal überhaupt konnte sich eine Frau den Regie-Oscar sichern: Chloé Zhao für "Nomadland". Die chinesischstämmige Amerikanerin ist damit auch die erste Person of Color, die diesen Preis entgegennehmen durfte. Nach viel Kritik und Umbesetzungen in der Academy zeigte sich die Verteilung der Preise diesmal erheblich diverser als in vergangenen Jahren. Außerdem setzte die Academy mit den wichtigen "Beste Regie" und "Bester Film"-Preisen für "Nomadland" ein starkes Zeichen für das Independent Kino.
Oscar für den Besten Song: Tiara Thomas, H.E.R., D'Mile | Bildquelle: © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Chris Pizzello
In den weniger beachteten Musikkategorien "Bester Song" und "Bester Score" gab es keine großen Überraschungen: R&B Künstlerin H.E.R., die auch schon bei den Grammys gefeiert wurde, nahm zusammen mit Tiara Thomas und D-Mile den Preis für die Nummer "Fight for you" aus "Judas and the Black Messiah" entgegen. Eine berechtigte Entscheidung, die zeigt, dass die Academy zeitgemäße Trends und Klangsprache anerkennt. Der bass- und beatlastig produzierte Track hat nicht mehr viel mit den musicalhaften Balladen gemein, die diese Kategorie traditionellerweise dominieren.
Gleich zwei jazzige Soundtracks waren in der Kategorie "Best Score" nominiert. Hat hier die Academy eine neue Liebe entdeckt? An beiden war das Duo Trent Reznor und Atticus Ross beteiligt: Die nostalgisch im Vintagesound gehaltene Musik zu "Mank" haben sie allein geschaffen, die zum Disney-Pixar Film "Soul" zusammen mit dem Jazzmusiker Jon Batiste, der auch die Band der Late Night Show von Stephen Colbert leitet.
Zwei Oscars für Disney-Pixars "Soul" | Bildquelle: © Walt Disney Pictures/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com
Das Duo Trent Reznor/Atticus Ross ging also schon mit einem statistischen Vorteil ins Rennen dieser Oscar-Nacht und konnte sich nach einem Golden Globe auch den Oscar für den "Soul"-Soundtrack sichern. In dem erklingen zwei musikalische Welten, ganz so wie es im Film den Helden von der realen Welt New Yorker Straßenschluchten und schummriger Jazzclubs in eine merkwürdige, sterile Dimension eines "Vorseits", eine Vorstufe zum Jenseits, verschlägt. Für die eine Welt stehen die jazzigen Nummern, die Jon Batiste beigesteuert hat, für die Zwischenwelt die elektronischen Klangflächen von Reznor und Ross. Auch wenn die Musik für sich betrachtet nicht so originell wirkt wie zum Beispiel die des auch nominierten Emile Mosseri für "Minari", der Ambient-Klänge mit zartem koreanischen Gesang verbindet - es zählt am Ende ja die Wirkung im Film. Und "Soul" ist ein fantasievolles Gesamtkunstwerk, dass an die surreal-künstlerische Welt von "Alles steht Kopf" anknüpft und dabei auch noch die Leidenschaft für Musik feiert. Zu Recht gab's auch den Oscar für den besten Animations-Film.
Traurig verlief der Oscar-Abend für James Newton Howard, der zum zehnten Mal die Chance hatte, endlich einen Oscar mit heim nehmen zu dürfen. Mit seinem tollen Western-Soundtrack mit Bon Jovi-Einschlag zu "Neues aus der Welt" ging er ebenso leer aus wie Terence Blanchard, der musikalische Partner von Regisseur Spike Lee, der in seiner Musik zu "Da 5 Bloods" pompös-militärische Orchesterklänge und zarte fernöstliche Klänge zauberhaft verwebt. auch sie hätten beide längst eine Auszeichnung verdient.
Sendung: "Leporello" am 26. April 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK