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Kritik – musicAeterna in Salzburg Currentzis, der Schlangenbeschwörer

Wie kommt ein Orchester aus St. Petersburg derzeit nach Salzburg? Mit dem Bus nach Helsinki, von dort weiter mit dem Flieger. Das musicAeterna Orchester, gegründet und geleitet von Teodor Currentzis, ist so nach Salzburg gereist. Umstritten ist es, weil es vom russischen Regime gesponsert wird. Im Großen Festspielhaus dirigierte Currentzis gestern ein ungewöhnliches Programm: Mit Werken von Dmitrij Schostakowitsch und Henry Purcell konfrontierte er Barock und Moderne.

Dirigent Teodor Currentzis | Bildquelle: © Anton Zavyalov

Bildquelle: © Anton Zavyalov

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Mit Teodor Currentzis war es noch nie ganz einfach: Schon immer hatte er faszinierende und sehr unsympathische Seiten. Faszinierend war und ist oft das künstlerische Resultat, sehr unsympathisch der egozentrische Machtanspruch, der sich auch in seiner Art zu dirigieren ausdrückt. Positiv gesagt: Currentzis ist ein Charismatiker, negativ gesagt: Er hat das Gehabe eines Gurus.

Von Putins Geld gesponsert

Seit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine ist es weiß Gott nicht einfacher geworden mit Currentzis. Er ist Grieche, wurde aber in Russland ausgebildet. Seine ganz auf ihn eingeschworenen Ensembles, Chor und Orchester von musicAeterna, in St. Petersburg ansässig, werden von Putins Geld gesponsert: Die VTB-Bank, die weitgehend im Besitz des russischen Staates ist und auf der Sanktionsliste der EU steht, gehört zu den wichtigsten Geldgebern. Mit Unterstützung von Gazprom unternehmen die beiden Ensembles Tourneen durch Russland. Mittelbar profitieren von Putins Kunstförderung also auch die Salzburger Festspiele – und das Konzert gestern Abend, also auch alle im Publikum.

Currentzis schweigt zum Krieg

Ein Dilemma – weil die Familien der Musikerinnen und Musiker dranhängen, kann das Orchester nicht eben mal in den Westen rübermachen. Currentzis schweigt zum Krieg. Die Salzburger Festspiele winden sich durch, man bleibt im Verteidigungsmodus, statt offensiv die Widersprüche zu benennen. Kunst und Moral, Kunst und Politik, anders gesagt: die Kunst und das übrige Leben sind nicht dasselbe und lassen sich doch immer nur vorübergehend trennen. Und das muss man auch, vorübergehend, denn anders bekommt man keine Klarheit in diese schwierige Gemengelage.

Englischer Frühbarock und russische Moderne

Musikalisch war der gestrige Abend nämlich exzellent. Schon allein, weil Currentzis und sein Orchester zwei stilistisch so weit auseinanderliegende Werke so idiomatisch beherrschen: Henry Purcell, englischer Frühbarock, und Dmitrij Schostakowitsch, russische Moderne. Zwei Sprachen, die Jahrhunderte und Welten auseinanderliegen. Beide, Purcell und Schostakowitsch, erzählen vom Sterben: In der 14. Symphonie, die eigentlich ein Liederzyklus ist, vertonte Schostakowitsch Gedichte, die um den Tod kreisen, das russische Wort Smert, Tod, ist allgegenwärtig. In "Dido and Aeneas", der Kurzoper von Henry Purcell, stirbt Dido eine Art Liebestod, weil sie von ihrem Geliebten verlassen wird.

Seelenabgründe des 20. Jahrhunderts

Bei Schostakowitsch dringen die Streicher in die Seelenabgründe des 20. Jahrhunderts ein: Panik und Sarkasmus, weltabgewandte Trauer – die beiden phänomenalen Gesangssolisten Nadezhda Pavlova und Matthias Goerne loten eine beklemmende, aber auch magisch anziehende Gefühlswelt aus. Und Currentzis und sein Orchester gestalten mit einer Genauigkeit und emotionalen Intensität, die jede Sekunde in Bann zieht.

Mit allen Wassern der historischen Aufführungspraxis gewaschen

Kate Lindsey | Bildquelle: Rosetta Greek Kate Lindsey als Dido | Bildquelle: Rosetta Greek Nicht ganz so überzeugend gelingt nach der Pause der Purcell. Das zur Alte-Musik-Combo gewandelte Orchester ist mit allen Wassern der historischen Aufführungspraxis gewaschen, aber Currentzis macht dann eigentlich doch sein Ding. Er geht auch bei Purcell in die Extreme, mal kaum hörbar, dann wieder rockend und stampfend. Überragend ist der MusicAeterna Chor – und auch die Solisten sind ausgezeichnet: Etwas hauchig und sehr dunkel im Klang singt Kate Lindsey die Dido. Diese Stimme ist von Anfang an nicht ganz von dieser Welt, sehr individuell im Timbre und manchmal etwas zu ätherisch, dabei aber sehr berührend. Großartig auch der Aeneas des markanten Konstantin Krimmel und die mitfühlende Belinda von Nuria Real.

Diskussion um Currentzis wird weitergehen

Currentzis gibt mal den Schlangenbeschwörer, mal den Einpeitscher. Das ist mitreißend, aber manchmal dick aufgetragen. Purcells Musik braucht Natürlichkeit und lockeren Swing, das muss nicht so holzschnittartig klingen. Unsympathisch ist die fast schon gouvernantenhafte Art, mit der Currentzis die Sängerinnen und Sänger dirigiert, einen Souffleur brauchen sie eigentlich nicht. Trotzdem: Es gibt nicht viele Dirigenten, die so viel Triftiges zu so weit auseinanderliegender Musik zu sagen haben wie Currentzis bei diesem Gipfeltreffen zwischen Schostakowitsch und Purcell. Am Schluss gibt es Jubel. Und die Gewissheit, dass die Diskussion um Currentzis weitergehen wird. Sein Orchester plant einen "Tristan" mit bekannten deutschen Wagner-Stimmen, darunter auch Matthias Goerne, der in Russland und Baden Baden gespielt werden soll. Dass Currentzis sich von Putins Regime abwendet, ist ein frommer Wunsch. So bleibt nur das Benennen der Widersprüche. Denn am Ende ist die Kunst ja eben doch ein Teil des Lebens.

Sendung: "Allegro" am 18. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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