BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik: "Il Primo Omicidio" an der Staatsoper Berlin Blutiger Brudermord

Alessandro Scarlatti gilt mit seinem vielfältigen Werk als wegweisender Reformer der Barockmusik. Im Rahmen der Barocktage in Berlin ist nun an der Staatsoper Unter den Linden sein Oratorium "Il Primo Omicidio" über den ersten, biblisch verbürgten Brudermord von Kain an Abel zu erleben. Der italienische Regisseur Romeo Castellucci hat den blutigen Stoff in Szene gesetzt. Die musikalische Leitung hat René Jacobs.

"Il Primo Omicidio" inszeniert von Romeo Castellucci an der Staatsoper Berlin unter musiklaischer Leitung von René Jacobs. | Bildquelle: © Monika Rittershaus

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Der erste Mord. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Die Sünde, von Adam und Eva in die Welt gebracht, setzt sich fort in ihren Kindern. Das könnte ein süffiger Opernplot sein, der Titel klingt auch danach, allein, Alessandro Scarlatti hat 1707 ein Oratorium dazu komponiert, nach einem Text in italienischer Sprache, nicht auf Latein. Und weil er ein extrem produktiver Künstler war mit 117 Opern und 38 Oratorien und über 60 Kantaten, geriet manches in Vergessenheit.

Mord trotz Bruderliebe

René Jacobs hat, so lesen wir im Programmheft, "Il Primo Omicidio" in der Bibliothek der Musikhochschule Basel entdeckt, die Partitur war extrem schlicht gehalten, ein Werk für sechs Stimmen und Instrumente. Jacobs hat den Streichern zwei Oboen, Blockflöten, Posaunen, Cembali, Lauten und Harfe hinzugefügt. Adam und Eva, Kain und Abel, Lucifer und Gott besingen die Spannungen von Gut und Böse, Reinheit und Sünde, Strafe und Verzeihen. Die Brüder, Abel im Sopran, Kain im Alt, beschwören ihre Liebe zueinander, kurz vor dem Mord.

Posen von Barockgemälden

"Il Primo Omicidio" inszeniert von Romeo Castellucci an der Staatsoper Berlin unter musiklaischer Leitung von René Jacobs. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Barocke Ästhetik trifft auf die klare Farbsprache im Stil eines Mark Rothko. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Romeo Castellucci hat das Oratorium im ersten Teil bewusst abstrakt inszeniert mit Anspielungen auf die Kunstgeschichte des Barock. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete italienische Regisseur, geboren in Cesena, hat Malerei und Szenografie an der Kunsthochschule in Bologna studiert. Die Sänger nehmen immer wieder Posen von Gemälden ein. Vom Schnürboden fährt ein auf den Kopf gestelltes Altarbild hinab, auch da hilft das Programmheft weiter, es stammt von Simone Martini und zeigt eine Verkündigungsszene. Die statischen Bewegungen der Sängerinnen, Eva, Kain, Abel und Adam singen Frauen, Lucifer ist ein Baß und Gott ein Countertenor, und die wechselnden, unscharfen Farbcluster im Hintergrund, sie erinnern an Gemälde von Rothko, bewirken fast etwas Meditatives. Das ändert sich im zweiten Teil fundamental. Jetzt kommt der Mord, auch musikalisch düster angekündigt.

Kinder übernehmen das Bühnengeschehen

In einer grauen Ödnis mit Gestrüpp und Sträuchern, jenem Feld, das Kain im Schweiße seines Angesichts beackern sollte, erschlägt der Erstgeborene den vermeintlichen Rivalen. In diesem Moment verlassen die Sänger die Bühne in Richtung Orchestergraben. An ihrer Stelle übernehmen Kinder, gekleidet wie die erwachsenen biblischen Gestalten, die Handlung. Sie markieren den Gesang, der kleine Kain verzweifelt an seiner Schuld, die kleine Eva sitzt wie eine Pietá vorn und betrauert ihren erschlagenen Sohn, den Kinder jetzt waschen und zu Grabe tragen.  Kinder als Symbol der Unschuld übernehmen die Welt der Schuldigen.

Entdeckung stößt auf Begeisterung

Bild von "Il Primo Ocidicio" an der Staatsoper Berlin | Bildquelle: © Monika Rittershaus Kinder übernehmen das Schauspiel auf der Bühne. | Bildquelle: © Monika Rittershaus Da gerät die Inszenierung, die Anfang des Jahres in Paris Premiere feierte, doch ins Fahrwasser aktueller Anspielungen. Kain rennt mit einer großen Plastiktüte über das Feld und sammelt Steine, für das Schlussbild verschwinden alle Kinder unter einer Plastikplane, Chiffre für unseren Umgang mit der Natur. Im Programmheft verweist René Jacobs auf die Schuld der Saudis am Khashoggi-Mord, was dies mit Kain und Abel gemeinsam hat, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Musikalisch ist "Il Primo Omicidio" jedoch für alle Freunde der Barockopern eine echte Entdeckung, René Jacobs hat das Genter B‘rock Orchestra nicht zu rau klingen lassen, die Solisten haben das Publikum entzückt und so endete der knapp dreistündige Abend mit Jubel und Applaus. 

Sendung: Piazza am 2. November 2019 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

    AV-Player