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Kommentar: Die Selbstinszenierung des Teodor Currentzis Und noch ein neuer Beethoven

Eine Neueinspielung aller Beethoven-Symphonien haben sich der griechische Dirigent Teodor Currentzis und sein Orchester MusicAeterna vorgenommen. Die erste CD mit der Fünften ist nun erschienen. Nur 30 Minuten Musik zum vollen Verkaufspreis. Aber ein Genie wie Currentzis kann es sich ja erlauben, oder? Die erste Folge der neuen BR-KLASSIK-Reihe "Zugabe".

Bildquelle: BR

Öfter mal was Neues zum Beethoven-Jahr: Teodor Currentzis startet mit seinem Orchester MusicAeterna eine neue Beethoven-Gesamteinspielung! Mit der Fünften! Wahnsinn! Braucht es die? Ohne Ironie: Ja, unbedingt, wenn man Currentzis‘ Eigenarten mag, seine Überwältigungseffekte, sein hingehauchtes Pianissimo. Die Fünfte vibriert bei ihm nur so vor Energie, hat Zugkraft und Biss.

Man muss alles vergessen!
Teodor Currentzis über die Aufführungstradition der Fünften

Typisch Currentzis: Im Booklet stellt er gleich mal die gesamte Aufführungstradition der Fünften Symphonie in Frage. "Man muss alles vergessen", schreibt er – darunter macht er's nicht. Und tut so, als sei das etwas Neues. Dabei haben Originalklang-Freaks wie Harnoncourt, Norrington, Gardiner oder Paavo Järvi doch längst mit eingefahrenen Hörgewohnheiten bei Beethoven aufgeräumt.

Nur 30 Minuten Musik für den vollen Preis

Rekordverdächtig ist vor allem die Spieldauer der CD – in ihrer Kürze: Mehr als eine halbe Stunde Musik ist mit Beethovens Fünfter nämlich gar nicht drauf auf dem Album. Diese Neuerscheinung geht bestenfalls als Klassik-Single durch. Bisschen mager das Ganze. Und ziemlich dreist, hätte Currentzis doch Platz für gut 80 Minuten. Eine klassische Mogelpackung: gleicher Preis für weniger Inhalt – nicht gerade verbraucherfreundlich.

Der überholte Mythos vom Maestro

Einer wie Currentzis kann sich das halt leisten. Er beherrscht die Selbstinszenierung, kreiert einen Medien-Hype um sich – ja, heizt den selbst noch an durch mystisch raunende Kommentare. So beschreibt er als Ziel dieser Aufnahme, "das musikalische Drama der Fünften Symphonie auf allen nur erdenklichen Ebenen zur Katharsis zu führen." Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Klingt gut. Verkauft sich vielleicht auch gut. Verrät aber viel über die Selbststilisierung von Currentzis zum Klassik-Revolutionär. Keine Frage, seine Beethoven-Interpretation ist impulsiv und rasant, subjektiv und frei – eine Katharsis hat sie bei mir aber nicht ausgelöst. Eher ein ungutes Gefühl: Da ist er wieder, der Geniekult, der Mythos vom Maestro. Und ich hatte eigentlich gehofft, das läge endlich hinter uns.

Sendung: "Allegro" am 19. Juni 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK