"Die Geschichte, wie es zur Wiederbelebung des Prinzregententheater kam, ist kurios. Die Tochter des Architekten Max Littmann wollte in ihrem Testament dem Theater 2,7 Millionen Mark zukommen lassen, unter einer Bedingung: wenn bis zum 24. Juni 1983 mit der Restaurierung begonnen würde. August Everding, seit Herbst 1982 Generalintendant, setzte alle Hebel in Bewegung und im Juni 1983 entschieden Kabinett und Landtag, dass die Wiederherstellung des Prinzregententheaters kommen wird. Doch damit nicht genug ...
Bildquelle: Archiv Prinzregententheater
Am 23. Juni, einen Tag vor dem Ultimatum, ließ Everding ein Gerüst aufstellen. Drei Kirchenmaler gingen hoch und kratzten herum. August Everding stellte eine große Stereoanlage mit Musik von Wagner an und - das Testament war erfüllt."
So erzählt es Prof. Karl Köwer in einer der zahlreichen Anekdoten während der Führung. Im aufwändig bemalten Westfoyer des Prinzregententheaters beginnen wir unseren Rundgang. Köwer ist ein Mann der ersten Stunde in der "Theaterakademie August Everding": seit dem Aufbau der Theaterakademie 1993 dort Künstlerischer Direktor und Leiter des Lehrbetriebs. Außerdem hat er schon bei August Everding studiert und den "Visionär" 40 Jahre lang begleitet.
Im Treppenhaus geht die Führung weiter. Die Ausstellung heißt nicht ohne Grund "Der Visionär". August Everding hat Vieles möglich gemacht: Fünf Jahre nach Restaurierungsbeginn wurde das Prinzregententheater im Januar 1988 feierlich wiedereröffnet. Kurze Zeit später drängten am Tag der offenen Tür 15.000 Menschen ins Haus. Ein großes Foto an der Wand zeigt lange Menschenschlangen vor dem Portal. "Die standen bis da runter, wo jetzt die U-Bahn ist. Die gab's damals noch nicht", sagt Karl Köwer. "Der MVV-Busverkehr war zusammengebrochen. Und während die Menschen warteten, unterhielt August Everding oben auf dem Balkon die Menge und rief immer wieder: Wie soll das neue Haus heißen? Prinzregententheater? Prinz oder Prinze?" Natürlich wurde es das Prinzregententheater, doch Everding kürzte es gerne mit "Prinz" ab. 1988 wurde zuerst die sogenannte "kleine Lösung" eingeweiht: eine kleinere Bühne, die die ersten Zuschauerreihen bedeckte und von einem eisernen Vorhang begrenzt wurde. Die Arbeiten für die vollständige Wiederherstellung des Prinzregententheaters wurden 1995 aufgenommen: Der eiserne Vorhang wurde durchbrochen, die Bühne somit erweitert und der alte Orchestergraben wiederhergestellt.
Hier lernt man alles übers Theater im Theater, mit dem Theater. Man lernt es für Kopf und Herz. Und immer ist der Mensch der Mittelpunkt.
August Everding bei der Wiedereröffnung des Prinzregententheaters, 1988 | Bildquelle: Archiv Prinzregententheater
Einen weiteren Traum erfüllte sich Everding mit der Gründung seiner Bayerischen Theaterakademie. 1996 sagte er in einer Rede voller Stolz: "Hier lernt man alles übers Theater im Theater, mit dem Theater. Man lernt es für Kopf und Herz. Und immer ist der Mensch der Mittelpunkt." Fünf Tage vor seinem Tod schrieb August Everding in einem Brief an den Staatsminister Hans Zehetmair, dass die Maskenbildnerschule an der Theaterakademie eröffnet wurde: der achte Fachbereich, der dort bis heute unterrichtet wird. Schauspiel, Musiktheater und Operngesang, Musical, Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und -kostüm, sowie Theater-, Film und Fernsehkritik sind die anderen sieben Studiengänge. Die "Theaterakademie August Everding", wie sie heute heißt, ist die größte Akademie für Bühnenberufe in Deutschland.
In mehreren Vitrinen in den Wandelgängen sind historische Fotos und Dokumente von August Everding zu sehen. Diese wurden vom Münchner Stadtarchiv und dem Bayerischen Staatsarchiv zusammengestellt. Darin enthalten unter anderem: Notizen, Kalenderblätter, Kinderfotos und ein Schulzeugnis. Ein Foto zeigt August Everding mit Krawatte im Mund. Karl Köwer kennt auch diese Geschichte: "Man muss wissen, dass August Everding zu seinen Kammerspiel-Zeiten 60 Zigaretten am Tag geraucht hat. Und dann hat ihm seine Frau gesagt, er muss etwas aufhören, entweder das Trinken oder das Rauchen. Er hat mit dem Rauchen aufgehört. Um seine Nervosität auszugleichen, die er sonst durch die Zigaretten kompensiert hat, begann er, an Krawatten zu knabbern. Es gibt die Geschichte, dass die Verkäufer das dann schon wussten und ihn gefragt haben: 'Brauchen Sie eine Krawatte zum Tragen oder zum Knabbern?'"
August Everding war Workaholic. Urlaub oder Freizeit waren für ihn Fremdwörter. Stattdessen war er durch und durch Theatermann, er inszenierte Schauspiel und international große Opern und gründete nicht zuletzt die Theaterakademie. Das Motto der Ausstellung ist deswegen auch: Kultur lebt nur dort, wo man mit ihr lebt. Die Fotos und Dokumente der Ausstellung geben nicht nur Aufschluss über das Leben und Wirken Everdings, sondern sie bilden ihn auch als Menschen in seiner Vielseitigkeit ab.
"Wenn man damals gefragt hätte‚ 'Wer ist denn unser Bundeskulturminister?', hätte jeder August Everding gesagt, obwohl es ihn nicht als Titel oder als Amt gab", meint Karl Köwer, "Das gibt's erst, seit August Everding tot ist. Wenn man vielleicht heute fragt 'Wer ist das gerade?', viele wüssten es nicht. Damals war klar: August Everding."
Die Ausstellung "Der Visionär" findet vom 31. Oktober 2018 bis 26. Januar 2019 im Foyer des Prinzregententheaters statt. Weitere Infos gibt es auf theaterakademie.de.
Sendung: "Allegro" am 31. Oktober 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK