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Kritik – "Die Walküre" an der Bayerischen Staatsoper "Fast ein historischer Moment"

Es geht wieder los: Nach mehr als einem halben Jahr ohne Publikum im Saal hat die Bayerische Staatsoper am 13. Mai erneut ihre Pforten geöffnet. 700 Plätze, also etwa ein Drittel, standen zum Verkauf. Eintritt nur mit zertifiziertem Test und Maske. Zum Neustart gab es eine konzertante Aufführung des ersten Akts von Richard Wagners "Walküre" – prominent besetzt mit Jonas Kaufmann, Lise Davidsen und Georg Zeppenfeld als Solisten. Am Pult stand Asher Fisch. BR-Klassik-Redakteur Bernhard Neuhoff war Zeuge dieses ganz besonderen Abends.

Die Walküre (1. Akt) als konzertante Aufführung an der Bayerischen Staatsoper in München | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Kritik

Der 1. Akt der "Walküre" an der Bayerischen Staatsoper

Warum eigentlich der Aufwand? Ist das nicht völlig irre? An die 100 Musiker spielen, so laut sie können – und ein einzelner Mensch singt dagegen an, lässt sich tragen von den Klangstrudeln des Orchesters, droht darin zu ertrinken, zu versinken und überstrahlt schließlich alles, die tremolierenden Streicher und die messingblitzenden Hörner und was da sonst noch bläst und schlägt – ein einzelner Mensch, der nichts hat als seinen Körper, jahrelange Übung und die Inspiration des Augenblicks.

Oper, das unmögliche Kunstwerk

Völlig irre? Ja natürlich. Die Zitate sind ja sprichwörtlich: Die Oper ist das unmögliche Kunstwerk, ein absurdes Ding. Schlichtweg bekloppt, auf die positivst mögliche Weise. Wenn Jonas Kaufmann aus voller Kehle und auch ein wenig kehlig "Wälse" ruft, weil er ganz dringend ein Schwert braucht, und wenn Lise Davidsen endlich einen passenden Namen für ihn gefunden hat und das Nationaltheater beim Wort "Siegmund" mit ihrem massigen Sopran überflutet, weil sie in ihren Zwillingsbruder schockverliebt ist, dann spürt man endlich wieder, was das ist: Oper. Nämlich etwas, was sich zwischen Körpern im Raum ereignet.

Über die Kraft des Live-Erlebens

Die Walküre (1.Akt) als konzertante Aufführung an der Bayerischen Staatsoper in München | Bildquelle: Wilfried Hösl Lang ersehnter Moment: Im Zuschauerraum der Bayerischen Staatsoper darf wieder Publikum sitzen. | Bildquelle: Wilfried Hösl Verrückt war das schon immer, aber wie verrückt, das weiß man erst seit der Erfindung des Mikrophons. Mit Verstärker und guten Boxen ist sowieso jeder Mensch lauter als 100 Musiker, das ist überhaupt kein Problem, dafür muss man kein Jonas Kaufmann sein. Aber alles an der Oper, gerade auch bei Wagner, ist genau darauf ausgerichtet, dass es keine Mikros braucht, dass das Unmögliche wirklich wird: Dass man einen atmenden Körper hört, keinen Lautsprecher. Das ist der Witz an der Sache. Nur weil es früher keine Mikrophone gab, wurde die Kunst des Operngesangs das, was sie ist. Und deshalb ist Oper in ihrer wunderbaren Verrücktheit ihrem Wesen nach live. Es kann natürlich auch sehr schön sein, von einer schönen Sache erzählt zu bekommen. Aber das ist halt nicht die Sache selbst. Streams sind oft toll, aber nie Oper.

Standing Ovation gleich zu Beginn

Standing Ovation gibt's gleich zu Beginn – einfach zur Begrüßung. Wir sind da, ihr seid da, das ist gut. Denn jetzt kann es wieder Oper geben. Bald auch wieder szenisch: Die Neuinszenierung von Aribert Reimanns "Lear“ wird am 23. Mai voraussichtlich vor Publikum Premiere haben. Intendant Nikolaus Bachler spricht von Vorsicht, Umsicht und Zuversicht. Und, nach einem halben Jahr ohne Publikum, von einem "fast ein bisschen historischen Moment." Und dann gibt Asher Fisch den Einsatz. Er formt natürliche Phrasen, macht Kammermusik, baut Steigerungen mit langem Atem und bringt den warmen Klang dieses großartigen Orchesters ganz ohne Druck zur Entfaltung. Nur am Schluss wünscht man sich etwas mehr Enthusiasmus. Trotzdem eine tolle Leistung.

Jonas Kaufmann in Bestform

Der erste Akt der "Walküre" ist wirklich das passende Stück für den besonderen Moment. Nicht nur, weil er von diesem Orchester in diesem Haus uraufgeführt wurde. Sondern auch, weil der Akt die Oper auf ihre drei Basiselemente reduziert: Tenor liebt Sopran, Bass stört. Und wie großartig ist dieses Dreieck hier besetzt! Georg Zeppenfelds Hunding ist perfekt textverständlich und hat eine ebenso furchteinflößende wie ehrfurchtgebietende Tiefe. Jonas Kaufmann ist in Bestform, ein sehr menschlicher, durchaus verletzlicher Held. Sein dunkler Tenor überzeugt nicht nur durch Kraftentfaltung, sondern mehr noch in den lyrischen Momenten dieses gebrochenen Helden.

Lise Davidsens umwerfender Sopran

Die Walküre (1.Akt) als konzertante Aufführung an der Bayerischen Staatsoper in München | Bildquelle: Wilfried Hösl Herausragend in der Rolle der "Sieglinde": die norwegische Sopranistin Lise Davidsen. | Bildquelle: Wilfried Hösl Buchstäblich umwerfend singt Lise Davidsen. Groß, fast wuchtig, aber stets fokussiert ist ihr Sopran – ein Naturereignis und zugleich ganz große Kunst. Doch dann bekommt der Abend einen überraschenden, nachdenklichen und nach innen gewandten Schluss. Drei Zugaben gibt es. Jeder der drei Solisten singt ein Lied, begleitet von Asher Fisch am eilig auf die Bühne gerollten Flügel. Als letzter Georg Zeppenfeld. Den Schlussmonolog aus "Die schweigsame Frau" von Richard Strauss hat er umgedichtet. Statt: "Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist", singt er: "aber wie schön erst – in diesen Zeiten". Das ist sehr rührend und in seiner Schlichtheit stimmt das absolut.

Sendung: "Allegro" am 14. Mai 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Samstag, 15.Mai, 19:37 Uhr

Doris Gramm

Bachler

Ich werde weinen wenn Herr Bachler uns verlässt. Ich bin seit 1972 Abonnentin aber
Mit keinem Opernhaus-chef war ich so glücklich und zufrieden.

MfG Doris Gramm

Samstag, 15.Mai, 14:27 Uhr

Graupera

Maite

Soy una gran admiradora de Jonás Kaufmann
Me encantaría poder escuchar a través de su radio, todo lo que emitan de él. Como puedo hacerlo?

Antwort BR-KLASSIK: Buenos días, unser tägliches Radioprogramm finden Sie auf folgender Übersichtsseite: https://www.br-klassik.de/programm/radio/index.html . Über die Suchfunktion (Lupensymbol oben rechts) können sie gezielt nach Inhalten mit Jonas Kaufmann suchen.

Freitag, 14.Mai, 22:02 Uhr

K.-P. Karkossa

Mikrofonlose Zeiten

Sehr geehrter Herr Neuoff, Eine für den Operngesang ausgebildete Stimme
hat einen "Sängerformanten" das heißt um 3000Hz hat sie ihren größen Energieanteil der weit über dem Orchester liegt. Das ist auch der Bereich der größten Empfindlichkeit des menschlichen Ohres. Deshalb "trägt" diese Stimme über den Orchesterklang. Mikrofone lagen zu Wagners Zeiten außerhalb jeder Vorstellung; außerem waren die Orchester kleiner und leiser. Es lag also nicht an mangelden Verstärkungsmöglichkeiten das man Sänger ausbildete, sondern die Tragfähigkeit der Stimme ist dann eine ganz normale Funktion. MfG

Freitag, 14.Mai, 21:09 Uhr

Eulalia Martínez

CDMX

Me encanta! ??Lo vi en 2011, en la Tetralogía de Wagner!! En el MET de Nueva York!!??

Freitag, 14.Mai, 18:03 Uhr

gero vierich

walküre

was zeichnet einen kritiker aus: er muss immer etwas zu meckern haben und glaubt dadurch besonders kompetent zu sein. nicht wahr herr neuhoff.

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