Ob Musikerbiografien oder Partituren – auch in der Musik spielt das Buch eine große Rolle: Man denke nur an Musikerbiografien und Autobiografien, an Sachbücher und natürlich an Partituren. Gedruckte Musik braucht schließlich auch Papier und einen Umschlag. Unser Autor Tobias Stosiek hat sich einen ganz persönlichen Weg durch die Geschichte der Musikbücher gebahnt.
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Das erste Buch, an das ich mich überhaupt erinnere, ist ein Musikbuch. Genau gesagt: eine Sammlung von Kinderliedern, quietschbunt illustriert und ziemlich friedens- und umweltbewegt. Was zur Folge hatte, dass meine Zwillingsschwester und ich schon im zarten Alter von vier Jahren Protestsongs durch die Gegend krakelten, als gehörten wir zur Kindergartenfraktion der Grünen.
Die Lehre aus dieser meiner ersten musikalischen Sozialisation ist eine zweifache. Die erste lautet: "Atomkraft? Nein danke!" Und die zweite: "Musik gehört ins Buch." Letzteres ist allerdings fragwürdig. Aufklappen und durchblättern kann man die meisten Partituren. Inzwischen sogar durchwischen – auch im Konzert ersetzt das Tablet ja immer häufiger das Notenheft. Und trotzdem sind Partituren keine Bücher. Zumindest dann nicht, wenn sie jenseits ihres musikalischen Gehalts keine Geschichte erzählen.
Das krasseste Gegenbeispiel hat schon über 400 Jahre auf dem Buckel, ist also ein echtes Fossil unter den Musikbüchern. Der Bußpsalmenkodex des Bayerischen Herzogs Albrechts V: seinerzeit zu einem neuen Weltwunder ausgerufen und mittlerweile einer der größten Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek.
Das gesamte Wissen, die Kenntnisse der Zeit sind darin abgebildet.
Partitur, Bilderbibel, Enzyklopädie – der Bußpsalmenkodex ist so etwas wie ein multifunktionales Gesamtkunstwerk. Und diente nicht zuletzt der Repräsentation. Groß ist, wer großes schafft – oder in Auftragt gibt, also Albrecht V. Das ist quasi die Story, die dieses Musikbuch eigentlich erzählt.
Bei so viel Kulturpessimismus und Einheitsgehuber – kein Wunder, dass der "Zupfgeigenhansl" bei den Nazis ziemlich beliebt war.
Dass es auch anders geht, zeigt das "Great American Songbook". Eine Sammlung von Songs aus den 1930er- bis 60er-Jahren, sozusagen der Kanon der amerikanischen Jazzmusik. Kanon heißt in diesem Fall nicht Museum. Sondern es gilt: Original ist, was originell ist. Traditionspflege bedeutet, immer wieder neue Wege zu finden, über die altbekannten Melodien zu improvisieren. Ein Konzept also, das Veränderung begrüßt, anstatt sie zu fürchten. Und ein Musikbuch, das sagt: "Mach mit!" – und "Mach weiter!"
Sendung: "Allegro" am 23. April 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK