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Ystad Sweden Jazz Festival Der Norden swingt

Für ein paar Tage - oder mindestens ein paar Stunden - ist das südschwedische Ystad der Lieblingsort mancher Musiker. Bekannt aus den eher düsteren Wallander-Krimis, lockt die Idylle an der Ostsee Jazz-Stars wie den Posaunisten Nils Landgren oder den Schlagzeuger Wolfgang Haffner an. Zum neunten Mal fand das "Ystad Sweden Jazz Festival" jetzt statt, 10.600 Besucher waren in diesem Jahr dabei.

Ystad Sweden Jazz Festival 2018 | Bildquelle: Roland Spiegel

Bildquelle: Roland Spiegel

Roland Spiegel im Kollegengespräch über das Ystad Sweden Jazz Festival

Ein Ort, an dem mancher gerne bleiben möchte. Der amerikanische Saxophonist Bill Evans schwärmte am Ende seines Konzerts gegenüber dem Publikum auf der Bühne des Hotels Saltsjöbaden, er würde jetzt am liebsten noch eine ganze Woche dranhängen. Und der deutsche Schlagzeuger Wolfgang Haffner, den stürmischen Applaus im vollbesetzten, 125 Jahre alten Theater genießend, sagte gar: "Hier zieh ich her". Seit 2010 bietet das "Ystad Sweden Jazz Festival" international ansprechende Musik an besonders schönen Spielstätten.

Keine Spur von Trübsinn

Ystad Sweden Jazz Festival 2018 | Bildquelle: Roland Spiegel Bildquelle: Roland Spiegel Etwas trübsinnig mutet der 19.000-Einwohner-Ort in den Wallander-Filmen zuweilen an. Doch im August, bei Traumwetter, erlebt man etwas anderes: eine idyllische Altstadt, die in prachtvoll gelblichem Frühabendlicht erstrahlt, historische Innenhöfe wie den Per Helsas Gard, wo sich eine Jazzbühne unter einem Birnbaum findet, eine 750 Jahre alte Klosterkirche, in die noch abends zarte Helligkeit dringt – und vor allem ein poetisch-altmodisches Theater von 1894 mit 400 Plätzen, in dem man Musik so plastisch erleben kann wie selten sonst. Konzerte haben hier eine besondere Intimität.

Schluss-Dialog mit einem Vogel

Ystad Sweden Jazz Festival 2018 | Bildquelle: Roland Spiegel Bildquelle: Roland Spiegel Gesang und Trompete bildeten diesmal die Schwerpunkte im gut durchmischten Angebot, und eines der spektakulärsten Konzerte war der Solo-Auftritt des norwegischen Trompeters Nils Petter Molvaer. Er begrüßte sein Publikum morgens um 5.20 Uhr zum Sonnenaufgang am schwedischen Stonehenge: Das sind 59 große Steine, die vor rund 1.400 Jahren an der Küste in der Nähe Ystads in Form eines Schiffes aufgestellt wurden. Auf einem Podest, vor dem heftig blasenden Wind geschützt durch eine durchsichtige Stellwand, saß Molvaer inmitten elektronischer Geräte, immer im Kontakt zu seinem Laptop, und spielte eine Stunde lang zu vorfabrizierten Rhythmen und soft mäandernden Harmonien flüsternde, gurgelnde, spitz aufjuchzende Töne. Die Musik wirkte eher so wie das, was man von ihm seit Jahren kennt, reagierte bei weitem nicht so flexibel und so archaisch auf den magischen Ort, wie zu hoffen war, und wurde erst in den allerletzten Minuten verblüffend stimmig, als ein Vogel helle, korrespondierende Töne von sich gab und mit der Musik in Dialog zu treten schien.

Big Band im Theater

Trompeter Avishai Cohen mit der Bohuslän Big-Band | Bildquelle: Kenny Fransson Bildquelle: Kenny Fransson Das Herz des Festivals schlägt aber im neoklassizistisch-charmanten Theater. Dort fanden auch diesmal die musikalisch ergiebigsten Konzerte statt. Besonders hervorzuheben: das Gastspiel des israelischen Trompeters Avishai Cohen (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bassisten) mit der für gekonnte zeitgenössische Sounds berühmten schwedischen Bohuslän Big Band. Die Big Band hatte Kompositionen Cohens vorbereitet, die der Solist mit dem Hipsterbart und den vielen Ringen an den Händen dann mit ganz kleinen Gesten dirigierte. Er schafft es, ganz lange Bögen zu spannen, ohne dass Leerlauf entsteht, seine Trompetenlinien sind bluesig und protzen nie mit hohem Tempo – und immer sind seine Soli musikalische Erzählungen. Anrührend in dem Stück "Life and Death", das er seinem vor ein paar Jahren verstorbenen Vater gewidmet hat – und voll Zärtlichkeit und Trauer bei dem Stück "Will I Die, Miss, Will I Die" über einen kleinen Jungen aus Syrien nach einer Senfgasattacke.

Der Drummer mit dem Lächeln

Der jamaikanische Pianist Monty Alexander, Ehrengast des Festivals, ließ das Publikum eineinhalb besonders leise und intime Stunden erleben; im Trio mit J.J. Shakur (Bass) und Jason Brown (Schlagzeug) spielte er meist sparsam und fast meditativ, nicht auftrumpfend, sondern stets in sich gekehrt, erzählte mit funkelnden Augen von seiner Begegnung mit Frank Sinatra und bekannte dem Publikum am Ende, dass er noch vor kurzem, nach einem Schlaganfall, nicht wusste, ob er jemals wieder spielen könne. Er kam den Zuhörern an diesem Abend ganz nah. Auf völlig andere Art schaffte das auch die Band des deutschen Schlagzeugers Wolfgang Haffner, diesmal nur als Quartett besetzt, mit Christian Diener am Bass, Christopher Dell am Vibraphon und dem jungen Keyboarder Simon Oslender. Das Quartett spielte Haffner-Klassiker wie "Star" und iberisch Gefärbtes aus dem Programm der aktuellen CD, darunter Chick Coreas "Spain" in reizvoller Zeitlupen-Version, und steigerte sich Stück für Stück in eine immer ansteckendere Lust an den Tönen hinein. Gelassen zog der Boss von den Drums aus die Fäden und lächelte mit kindlicher Freude, wenn ein Stück Fahrt aufnahm. Das taten viele seiner Nummern bei diesem Gastspiel in Ystad ausnehmend gut, und die Standing Ovations am Ende waren vielleicht die lautesten des Festivals.

Tom-Waits-Imitat und einförmiger Chorgesang

Ystad Sweden Jazz Festival 2018 | Bildquelle: Markus Fagersten Bildquelle: Markus Fagersten Nicht alle Konzerte waren so überzeugend wie diese. Die Musik der koreanischen Sängerin Youn Sun Nah, stimmlich hochartistisch vom imitierten Möwengeschrei bis hin zum röhrenden Tom-Waits-Imitat, verpuffte manchmal durch die behagliche Konventionalität ihrer Band. Und die Begegnung des Pianisten und Festival-Programmgestalters Jan Lundgren mit dem Ratinger Kammerchor (aus Ratingen bei Düsseldorf) entkam erst am Ende der Falle des süßlichen Ummantelns klassischer Allerweltshits von Albinoni, Debussy und anderen mit beliebigen Vokalisen. Da sang der Chor "Die Gedanken sind frei" und ein schwedisches Volkslied – und das wirkte weit weniger artifiziell als das bemühte und leider recht einförmige Hauptprogramm dieser Zusammenführung.

Bilder vom Ystad Sweden Jazz Festival

Eine Sängerin mit ganz großer Aura wäre dieses Jahr der ideale Schlusspunkt für das Festival gewesen: die 1980 in Georgia geborene Lizz Wright. In einem langen Kleid mit Leopardenmuster erschien sie auf der Bühne und zog mit ihrem dunklen Timbre wunderbar kraftvolle Linien durch Blues- und Gospel-getränkte Songs wie "Grace" und "Still I never get tired of lovin' you". Töne ohne Zierrat, von bannender Natürlichkeit, begleitet von einer Band voller rockig-souliger Dynamik. Wie gut hätte diese warmtönende Musik mit ihren großen Statements für Liebe und Würde als Ausklang für ein schönes Festival gepasst. Leider fühlten sich die Festivalgestalter in Ystad bemüßigt, noch etwas drauf zu setzen – und das ausgerechnet in der Ystad-Arena, einer letztes Jahr eingeweihten, 1.500 Plätze fassenden, supermodernen Handball-Halle. Der Sound dort ist alles andere als optimal, das All-Star-Aufgebot rund um Pianist Jan Lundgren und Posaunist Nils Landgren klang unvorteilhaft blechern und bot ein austauschbares Greatest-Hits-Programm. Das hätte man, zumindest als Festival-Besucher, nicht unbedingt gebraucht nach Tagen voller ergiebiger Klänge an einem Ort, der auch bei tropischer Hitze nachdrücklich zum Bleiben einlädt.                    

Sendung: "Leporello" am 07. August 2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK

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