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Die Zukunft der Kulturnation Deutschland Wo die Reise nach Corona hingeht

Corona trifft die Kultur in Deutschland hart. Die Krise hat viel zerstört, aber auch neue Ideen und Konzepte gebracht. BR-KLASSIK hat Kulturschaffende nach ihren Befürchtungen und ihren Hoffnungen gefragt. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf unsere zukünftige Definition als Kulturnation aus?

Bildquelle: Maxim Schulz

Die Einschränkungen in der Kulturbranche sind gravierend: Theater, Opern, Konzerte, Messen, Ausstellungen, alles ist derzeit passé. Eine Studie schätzt den Schaden für die Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands auf 30 Milliarden Euro. Carsten Brosda, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, hofft, dass sich die Zerstörungen "halbwegs in Grenzen" halten werden. Broda ist auch Kultursenator in Hamburg. Die Corona-Krise wird wohl für viele Kulturschaffende zur größten Existenzkrise in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden.

Kulturszene wird sich verändern

Jonas Kaufmann | Bildquelle: © Gregor Hohenberg - Sony Classical Kunst und Kultur seien Lebensmittel, betonte vor kurzem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Kultur liegt derzeit zwar angeschlagen am Boden, doch sie lebt. Und gerade die kreativen Köpfe wissen, dass es weitergehen muss. Startenor Jonas Kaufmann ist sich sicher, dass es die Kunstform Oper und die Spitzenklassik weiterhin geben wird, wenn auch nicht in der früheren Breite. Denn leiden werde die Nachwuchsförderung: "Wenn es die Ausbildungsstätten, wenn es die Erst-Engagements-Theater nicht gibt, dann wird es noch viel schwerer werden, Musiker noch so lange in der Obhut eines kleineren und mittleren Engagements zu halten, dass sie sich entsprechend entwickeln und reifen können", so seine Befürchtung.

Keine internationalen Tourneen mehr

Tobias Wolff, der Intendant der Internationalen Händelfestspiele Göttingen, der ab der Spielzeit 2022/23 die Leitung der Oper Leipzig übernimmt, zeigt sich im Interview mit BR-KLASSIK überzeugt, dass eine starke europäische Ausrichtung notwendig ist. Dennoch ist ihm klar, dass es das internationale Tour-Geschäft, wie wir es von früher kannten, so nicht mehr geben wird. Sorgen macht er sich vor allem um die freie Szene, in der sich jetzt schon viele Menschen beruflich umorientieren mussten.

Konzerte in der Region statt Reisezirkus

Christian Thielemann | Bildquelle: imago/ Manfred Siebinger Auch Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg und Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, kann sich für die Zukunft mit dem Gedanken anfreunden, wieder mehr im regionalen Raum zu konzertieren. Ein Weitermachen wie bisher lehnt er ab. Thielemann geht davon aus, dass es den alten "Reisezirkus, wo wir um die halbe Welt fahren mit Orchestern und Tourneen" nicht mehr im bisherigen Ausmaß geben wird. Vielmehr hält er es für sinnvoll, wenn zum Beispiel auch seine Sächsische Staatskapelle Dresden Gastspiele in der Region gibt.

Künstler fühlen sich von der Politik vernachlässigt

Die ganze Branche müsse darüber nachdenken, "warum denn Politik auf uns so reagiert hat, wie sie reagiert hat", meint Andreas Schessl, Chef von MünchenMusik im BR-KLASSIK-Interview, "weil wir offensichtlich in den Köpfen vieler Menschen nicht so verankert sind, wie wir uns das so vorstellen."

Auf zeitgemäßer Ebene mit der Kultur auseinandersetzen

Dass es nach Corona im deutschen Kulturbetrieb genauso weitergeht wie bisher, bezweifeln die meisten der von BR-KLASSIK Befragten. Aus Sicht von Kulturmanager Folkert Uhde, künstlerischer Leiter der Montforter Zwischentöne und Intendant der Köthener Bachfesttage, versteht sich der deutschsprachige Raum als Wiege der klassischen Musikkultur. Mit Blick auf die enorme Entwicklung des Musiklebens in China, kann Uhde sich nicht vorstellen, dass die Europäer den Status als Kulturexporteure beibehalten können, wenn sie sich nicht auf einer zeitgemäßen Ebene mit der Tradition auseinandersetzten. Klassische Musik wird seiner Meinung nach von vielen wahrgenommen als etwas, zu dem sie nicht dazugehören, als eigene abgeschlossene Welt. Er und seine Kollegen "wollen dahin, wo uns keiner mehr die Frage stellt, ob es uns braucht".

Der Kulturbegriff wird reicher und diverser

Noch nie ist so anregend und intensiv in der Theaterszene diskutiert worden wie derzeit, so die Beobachtung von Thomas Oberender, dem Intendanten der Berliner Festspiele. Er ist davon überzeugt, dass der Kulturbegriff umkämpfter wird. Die Freiheitseinschränkungen im kulturellen Feld würden aufmerksam beobachtet und die Kultur als Begriff dehne sich aus: "Dass auf das, was wir im Internet erleben, eben der Kulturbegriff genauso zutrifft, wie auf das, was in der Philharmonie oder in der Pinakothek stattfindet." Für Oberender wird der Kulturbegriff reicher, diverser und das sieht er als große Herausforderung.

Die Innenstädte brauchen Kultur

Die zukünftige Kultur sieht die Chefin des Münchner Literaturhauses, Tanja Graf, im Zusammenhang mit der Belebung der Innenstädte. Die Innenstädte seien momentan nur durch Einkaufsangebote und Restaurants geprägt, die Verödung werde durch die Corona-Krise verstärkt und beschleunigt, so Grafs Eindruck. Wenn der Handel überwiegend online stattfindet, gäbe es kaum noch einen Grund, in die Stadt zu fahren. Die Innenstädte müssten also mit neuen kulturellen Treffpunkten belebt werden, erklärt die Literaturhaus-Leiterin. Tanja Graf geht davon aus, dass die Kultur in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen werde, nämlich als "Treffpunkt in den Innenstädten". Nicht nur das Literaturhaus, sondern alle Kultureinrichtungen müssten sich also kreative Lösungen einfallen lassen, damit Innenstädte attraktiv bleiben.

Sendung: Das Musik-Feature "Welche Kulturnation wollen wir in Zukunft sein?" am 05. März 2021 ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK